Mittwoch, 31. Dezember 2008

Trauriger Jahresausklang

Amman: Der Nahe Osten ist in Aufruhr. Hier in Jordanien stellen die Palästinenser etwa die Hälfte der Bevölkerung, in jedem Haus, in jeder Firma, in jedem Restaurant arbeiten Menschen, die um ihre Verwandten im Gaza-Streifen bangen. Überall laufen die Fernsehnachrichten, jedes Gespräch beginnt mit der Frage "Was sagt ihr zu dem Massaker?" An der Uni melden sich Studenten vom Unterricht ab, weil sie Tag und Nacht vor der Uno-Vertretung in Amman demonstrieren. Neben den Angriffen auf Amerika richtet sich die Wut der Menschen auch gegen Ägypten, das seine Grenzen am Gazastreifen nicht öffne und überhaupt "mit Israel kollaboriere". Alle geplanten Silvesterfeiern in den großen Hotels in Amman, Petra und Aqaba wurden abgesagt, die ausgeladenen Künstler verzichten auf ihr Honorar zugunsten eines Hilfsfonds für die Menschen in Gaza. Es ist ein trauriger Jahresausklang und wenig Hoffnung auf einen Frieden in dieser Ecke der Welt.
Ich habe folgende Website noch nicht gecheckt, aber die "Palestine Media Watch" wird heute in der "Jordan Times" herausgestellt. Vielleicht schaut Ihr mal drauf:
www.pmwatch.org

Dienstag, 30. Dezember 2008

Kuba-Blog ist Kult

Foto: Privat

In Kuba gibt's kaum frische Früchte - und wenn, dann sind sie für Durchschnitts-KubanerInnen fast unbezahlbar. Touristen können das nur erahnen, für die Menschen dort ist Armut Alltag. Von diesem Alltag erzählt die Bloggerin Yoani Sánchez. Ihr Blog "Generación Y" (Link auf die ins Deutsche übersetzte Seite) hat inzwischen Kultstatus. Obwohl die Internetseite von den kubanischen Behörden für Einheimische gesperrt wurde und Yoani Sánchez selbst wie fast alle KubanerInnen keinen eigenen Internetanschluss besitzt. Die 33jährige Sprachwissenschaftlerin tarnt sich als Touristin und bloggt von Hotelcomputern oder übermittelt ihre Texte per Mail und Telefon. Ein Freund betreibt ihre Seite von Deutschland aus.

Bester Weblog 2008

Das Blog "Generación Y" hat im Ausland inzwischen eine große Fangemeinde. Yoani Sánchez heimst Lob und Preise ein. Die US-Zeitschrft Times kürte sie zu einer der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt; die spanische Tageszeitung El Pais verlieh ihr den Journalistenpreis "Ortega y Gasset". Zur Preisverleihung durfte Yoani Sánchez nicht ausreisen. Aber die Auszeichnungen schützen sie immerhin vor Verfolgungen in Kuba. Sie, die sich nicht als Dissidentin, sondern "nur" als Bloggerin sieht. Jetzt gab es weitere Ehren. Die Deutsche Welle nominierte "Generación Y" zum "Best Weblog 2008".

Freitag, 26. Dezember 2008

Die Frage der Vereinbarkeit



Grafik: Per Thomas, junger Künstler aus Bremen

In den vergangenen Wochen habe ich mehrfach Anfragen von Abiturientinnen bekommen. Sie sind 18, 19, vielleicht 20 Jahre alt. Sie schreiben für Schülerzeitungen oder ihre Regionalzeitungen. Sie möchten Journalistinnen werden. Weil ihnen das Schreiben Spaß mache, sagen diese jungen Mädchen.

Und dann fragen sie mich, die 28-Jährige: Wie könnte ich Journalistin werden? Und kann ich
"als Frau in diesem Beruf später einmal Kinder und Job vereinbaren?".
Keine Ahnung! Du als Frau... was soll das eigentlich heißen? Warum denn nicht?! Alle wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema deuten auf ein klares "Nein" hin, wenn man an traditionellen Rollenzuschreibungen festhält. Aber das sind Untersuchungen aus den 70er und 80er Jahren. Repräsentative neue Studien zu diesem Thema gibt es schlicht nicht. Und ich frage mich, was los ist. Diese Mädchen sind Jahrgang 1988, 1989, 1990 - sie sind in einem Gesamtdeutschland groß geworden und mit Internet sowieso. Und sie haben die traditionelle Geschlechterrolle verinnerlicht. Wenn eine Abiturientin die Barriere "Familienvereinbarung" als IHRE EIGENE, PERSÖNLICHE Herausforderung mitdenkt, bevor sie überhaupt die Reifeprüfung abgelegt hat, dann stimmt doch irgendwas ganz gewaltig nicht! Wo leben wir denn? Im Mittelalter?

Wo sind hier die Erwachsenen, die Lehrer, die Eltern, die JournalistInnen, die den potentiellen Nachwuchs für unser Berufsfeld auffordern, neue Wege zu gehen. Denkt doch nicht Barrieren mit, wo es um Eure eigene berufliche Entwicklung und Selbstverwirklichung geht, Mädels. Willkommen im Jahr 2009. (Naja, zumindest in wenigen Tagen.)

Mittwoch, 24. Dezember 2008

Von Weihnachtswünschen und guten Vorsätzen

"Je extremer eine Meinung, je mehr erregt sie die Aufmerksamkeit." wusste Hedwig Dohm schon 1909. Diese Erkenntnis gilt im Medienzeitalter mehr denn je, im besten wie im schlechtesten Sinne: Im schlechtesten Sinne verbirgt sich hinter einer extremen Meinung, die auf den Titelseiten prangt, nur der Wunsch aufzufallen. Heiße Luft füllt hier die Seiten, sonst nichts.
Im besten Sinne aber will eine extreme Meinung auf Missstände aufmerksam machen. Die Schläfrigen und Gesättigten unserer Mediengesellschaft sollen durch die Thematisierung schreiender Ungerechtigkeiten aufgeweckt und zum Nachdenken gebracht werden.

Zugegeben, manchmal gehen diese zwei Intentionen Hand in Hand - so kurz vor Beginn des Wahljahres geht es in der Politik natürlich auch darum, aufzufallen. Und dennoch ist zu wünschen, dass die Schläfrigen und Gesättigten über das, was Guido Westerwelle kürzlich gesagt hat, nachdenken:

"Deutsche Außenpolitik und deutsche Entwicklungshilfe muss sich an freiheitlichen Werten und an den Menschenrechten orientieren (...) Ich bin zum Beispiel dagegen, dass Länder Entwicklungshilfe vom deutschen Steuerzahler bekommen, die Frauen nur als Menschen zweiter Klasse behandeln und systematisch misshandeln oder wo Männer und Frauen hingerichtet werden, nur weil sie homosexuell sind."

Gut, man könnte Dr. Westerwelle erwidern: Da wäre die deutsche Außenpolitik aber ganz schnell arbeitslos. Ginge man nach der Einhaltung der Menschenrechte gäbe es für Deutschland weder viele Länder, die unterstützbar sind, noch viele Partner, mit denen zusammengearbeitet werden könnte. Und ist es nicht gerade die Aufgabe der Entwicklungshilfe, Menschenrechte zu fördern?
Außerdem: Wie steht es eigentlich um die Einhaltung der Menschenrechte in Deutschland???

Aber ich muss gestehen, mir hat allein die pure Vorstellung, die Politik könnte in Zukunft ihr Augenmerk vermehrt auf die Einhaltung der Menschenrechte und die Lage von Frauen und Homosexuelle richten, das Herz erwärmt.
Und darum geht es doch an Weihnachten.


P.S.: Die Presse dachte leider mehrheitlich gar nicht daran, die Westerwelle'sche Utopie in ihrer ganzen Bandbreite wiederzugeben - da wurden doch die Frauen einfach vergessen:
"Westerwelle macht sich für Homosexuelle stark" titelt das Hamburger Abendblatt, "Westerwelle will Strafen für schwulenfeindliche Länder" die Süddeutsche, ebenso die Augsburger Allgemeine. Und die Welt interessierte sich nur für "Westerwelles Schwarzbuch der Homophobie". Ich werde das Gefühl nicht los, dass sich in den Vorstellungen der Redaktionen auch dahinter nur Männer verbergen...

Montag, 22. Dezember 2008

Die vernachlässigte Form: Das Interview

Kommunikations-Grafik von Per Thomas, junger Künstler aus Bremen.


Das Interview ist vor allem in den Printmedien eine vernachlässigte Darstellungsform - so das Fazit von Michael Haller, Journalistik-Professor an der Universität Leipzig. Seine Untersuchungen haben gezeigt, dass die Leser unzufrieden sind. Es gibt zu viele schlechte Interviews, aufgemacht mit uninspirierten Einstiegsfragen, ein Geschwafel über Gott und die Welt, ein unerträgliches Sich-Anbiedern oder das Gegenüber Nebelbomben bis zu völligen Verdunklung abwerfen lassen. Höchste Zeit also, einer der wichtigsten Darstellungsformen eine ganze Fachtagung zu widmen.
Die fand Ende November in Berlin statt und war vom Netzwerk Recherche organisiert. Nicht nur wegen der Referenten und Referentinnen - darunter Anne Will, Maybrit Illner, Peter Merseburger oder Jörg Thadeusz - war die Tagung hochkarätig besetzt. Auch wegen des Inputs. Konzentrierte drei Tage referierten, diskutierten und reflektierten rund 40 Teilnehmer in der Evangelischen Medienakademie über die Kunst des Interviews, über die Relevanz journalistischer Interviews und über verschiedene Interviewstile.

Ob Recherche- und Hintergrundinterview, Expertenbefragung, Personality-Interview oder Polittalkshow - so verschieden wie die jeweilige Gesprächssituation oder das Infoziel sind auch die Stile und handwerklichen Regeln, die es zu beachten gilt. Immer gülitg sind aber folgende Regeln:



  1. Professionelle Interviews sind die Erfolgsgaranten für alle journalistischen Produkte.

  2. Eine perfekte und penible Vorbereitung ist dabei unerlässlich, aber auch Spontanität, Einfühlungsvermögen und Humor sind auf der Seite des Interviewers wichtig.

  3. Die Gesprächssituation sollte angenehm sein, auch wenn der Gesprächspartner kritisch in die Mangel genommen wird.
    Es geht eben nicht nur immer um die bloße Information, sondern auch darum, wie sie kommuniziert wird: Körpersprache, Zwischentöne - alles das sollten gute Interviewer auch mit Überraschungen und unkonventionellen Ideen herauskitzeln.
    Ziel darf nicht die eigene Darstellung sein, aber eben auch nicht das Anbiedern des Interviewten - sondern der klare Informations-, Unterhaltungs- und damit auch Lustgewinn.

„Die Journalisten müssen das Fragen wieder lernen!”, fordert Michael Haller.


Fragen lernen, Fragen stellen, Fragen zulassen - aber fair bleiben. Einig waren sich fast alle Experten, dass die Autorisierungspraxis der Qualitätssteigerung zuträglich ist. Und wenn der Interviewpartner tatsächlich ganze Passagen schwärzt, kann man sich auch immer noch trauen, ein Interview eben nicht zu publizieren!

Übrigens: Frauen haben in den meisten Interviewsituationen einen leichten Vorteil - sei es durch die geschlechtsspezifische Sozialisation, dass sie mit nonverbaler Kommunikation besser umgehen können, als auch durch ihre Rolle als Frau. Wer erst unterschätzt wird und dann mit sehr guter Vorbereitung glänzt, kann meist auch den größten Kommunikationsprofi knacken.

Sonntag, 21. Dezember 2008

Der Schuh wird politisch

Auch wenn es anfangs für einige so aussah, als seien „Schuhe in Männerhand“ Schnee von gestern. Der Journalist mit der großen Klappe Muntazer al-Zaidi , der George W. Bush im Dezember 08 seine Galoschen entgegen schmiss, wurde schlagartig kleinlaut, als ihn die Richter aufklärten, dass hierfür eine Haftstrafe von fünf bis 15 Jahren in Betracht kommt. Weltweit beschäftigen sich Medien mit dem Vorfall.
"Schon immer wollte er Bush mit einem Schuh schlagen, jetzt ist sein Traum in Erfüllung gegangen."
Über diesen Traum berichtete seine Tante den Medienvertretern vor Ort. Zu früh gefreut. Zunächst spielte er den strahlenden Sieger, der von Libyens Wohlfahrtsorganisation, die ausgerechnet von einer Frau, nämlich der Tochter Gaddafis, geleitet wird, eine Ehrenmedaille erhielt. Wobei Schuhe bislang nach allgemeiner Meinung ein typisches Frauenthema sind. Aber dem scheint nicht so. Ein Mann erfand schnell ein Schuhangriffs-Internetspiel und in einer türkischen Schuhfabrik wurden über 300000 Modelle des Typs 271 geordert. Also ein echter Konjunktur-Kick für die Wirtschaft. Nebenbei bot ihm ein saudischer Geschäftsmann angeblich zehn Millionen Dollar für die Latschen.
"Wenn er ein Thema anschneidet, dann nur, um zu demonstrieren, dass keiner so gescheit ist wie er", zitiert die StZ am 20.12.08 einen seiner Kollegen, der mit ihm im Libanon einen Pressekurs besucht hat.
"Leider hat er aus diesem Kurs im Libanon nichts mitgenommen. Dort hatten wir Unterricht in journalistischer Ethik."
Erfreulich, dass sich Medien kritisch äußern. Der Vorfall ist laut der arabischen Zeitung Asharq al-Awsat „eine Beleidigung für den Journalistenberuf“, denn Journalisten seien keine Mudschaheddin, sondern für die Informationsbeschaffung zuständig. Ihre Waffen seien kritische Fragen und nicht lederne Wurfgeschosse. Diese Erkenntnis ist bemerkenswert. Ziffer 1 i.V.m. den Ziffern 10 und 12 der Richtlinien für die publizistische Arbeit des Deutschen Presserats (Pressekodex) fordert, dass jeder Journalist die Menschenwürde - und damit das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien - achten muss. Medien verzichten darauf, religiöse, weltanschauliche oder sittliche Überzeugungen zu schmähen und andere wegen ihrer religiösen Zugehörigkeit zu diskriminieren. Und ausgerechnet der Schuh macht deutlich, dass arabische Medien in diesem Punkt mit uns einer Meinung sind. Punkt.

Samstag, 20. Dezember 2008

Gourmet-Bibel in Frauenhand



Deutsche Gastrokritikerin wird Chefredakteurin des französischen Guide Michelin Foto: Privat

Frankreichs Küchenchefs müssen jetzt ganz tapfer sein. Am 1. Januar 2009 übernimmt eine Frau die Regie des einflussreichen Guide Michelin. Auch das noch: Sie ist Deutsche. Juliane Caspar wird "Herrin der Sterne" wie die Badische Zeitung (BZ) heute titelt. Bis dato leitet die künftige oberste Testesserin Caspar die Ausgaben Deutschland, Österreich und Schweiz. Mit dem Wechsel an die Spitze des französischen Magazins sei sie die einflussreichste Gourmetkritikerin Europas. Denn der Guide Michelin gelte als die "Bibel" der französischen Gastrokritik, vermeldet unsere Freiburger Kollegin.
Leider können wir Juliane Caspar nicht im Bild zeigen. Sie testet auch weiterhin inkognito Restaurants. Deshalb lässt sie sich nur von hinten fotografieren. So ähnlich wie im gestellten Foto oben.
Karriere im In- und Ausland
Doch ihre Karriere-Stationen sind bekannt: Geboren in Bochum, Hotelfachfrau gelernt in Freiburgs 1-a-Adresse "Colombi", in Spitzenrestaurants im Ausland gearbeitet, ab 2002 Inspektorin beim deutschen Michelin, seit 2005 Chefredakteurin der deutschen und österreichischen Ausgabe des Guide und seit 2007 noch des Schweizer Ablegers.
Weil sie durchs viele Testen etwas zugenommen habe, halte sie sich mit Joggen fitt, erzählt Frau Caspar, die sich ansonsten nicht interviewen lässt. Diskretion ist in ihrem Metier schließlich Ehrensache. Auf die Frage der BZ-Kollegin, ob Kochen Männer- oder Frauensache sei, antwortet sie deshalb diplomatisch: "Ich kann keinen Unterschied feststellen."

Doch nicht so gut geimpft?

Die Diskussion um die Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV) - Viren, die Gebärmutterhalskrebs ausösen können - reißt nicht ab. Die Süddeutsche Zeitung meldet jetzt, dass die Ständige Impfkommission (Stiko) ihre Bewertung dieser Impfung überdenken muss. Anlass ist ein Manifest von 13 WissenschaftlerINNen, das die Wirksamkeit in Frage stellt. Anfang Dezember erst hatte der deutsche Krebsforscher Harald zur Hausen für seine Entdeckung der Viren den Medizin-Nobelpreis entgegen genommen. Seit 2006 können sich Frauen und Mädchen in Deutschland gegen HPV impfen lassen. Doch die Kritik ist ebenso groß wie es die geweckten Hoffnungen sind: Die Impfung wirkt nur gegen zwei der vielen HPV-Arten. Es gibt Berichte über Nebenwirkungen. 
Kampagne und Berichterstattung haben wir auch hier im Watch-Salon schon kritisiert ("Beschneidung und Hygieneunterricht...").  Das SWR2 Forum hat dem Thema am 17.12. eine Sendung gewidmet, in dem deutlich wurde, dass auch renommierte Wissenschaftler die Studienlage nicht immer überblicken. Leider gibt es die Diskussion nicht als Podcast, sondern nur als kostenpflichtigen Mitschnitt zu bestellen.

Dienstag, 16. Dezember 2008

Miese Männerschuhe

“Dies ist ein Abschiedskuss, du Hund”, hatte der Journalist al-Zaidi gebrüllt, als er seine Schuhe auf George W. Bush schleuderte“, meldet die Süddeutsche Zeitung am 16.12.2008. Demnach haben tausende Iraker am Tag zuvor für die Freilassung des TV-Journalisten demonstriert, der auf einer Pressekonferenz in Bagdad seinen Schuh ausgezogen und auf Bush geworfen hat.
Bush, Bagdad und die Demokratie
Aber mit der Pressefreiheit in Bagdad ist auch nur das frei, was dem Regime passt. Im Irak zählt das Schuhwerk zur untersten Klasse. Auch wenn Bush mit den Worten „So machen es halt die Leute in einer Demokratie“, cool und schlagfertig sein wollte, so ging dieser Schuss gründlich daneben. Dies lässt sich doch so (miss-)verstehen, dass in einer Demokratie auch mit Gewalt (Wurfgeschosse) und Demütigung (Schuhe werfen) Meinungen durchgesetzt werden. Demokratie hat aber mit Achtung, Menschenwürde und Respekt zu tun. Und wenn ein Politiker im Ausland unterwegs ist, was Bush gerne Frauen, in diesem Fall Condoleezza Rice, überlassen hat, da die USA das Zentrum der Welt für ihn darzustellen schien, sollte er zumindest ein wenig Ahnung von fremden Sitten und Gebräuchen haben.
Schuhe stehen für Ekel
Symbolisch ist ein Schuh im Iran das ekelhafteste aller Bekleidungsstücke. Es hat mit Dreck, Abscheu und schmutzigen Wegen zu tun. Ganz im Gegensatz zu den USA und vielen europäischen Ländern, in denen, insbesondere Frauen, Schuhe als wahre Kunstwerke, und nicht nur notwendiges Übel zur zügigeren Fortbewegung auf unwegsamem Gelände, betrachten. Spätestens seit der aus den USA stammenden TV-Kultserie „Sex and the City”, dürfte dies auch Männern bekannt sein.
Condoleezza klingt wie "Kundara"
Dass Condoleezza auf arabisch klingt wie „Kundara“, was Schuh bedeutete, das zu wissen kann von keinem erwartet werden. Hätte Bush darauf hingewiesen, dass in den USA vom Tellerwäscher (oder Schuhputzer) zum Millionär legendäre Karrieresprünge nicht unüblich sind, hätte er die Lacher auf seiner Seite gehabt. Oder wenn er etwas in die Richtung ”When there’s a shine on your shoes, there’s a melody in your heart“ zitiert hätte, dann hätte der Werfer dumm aus der Wäsche geschaut.
Strahlende Schuhe - glückliches Herz
Emotion, Poesie und Bildhaftigkeit (frei übersetzt: „strahlende Schuhe, glückliches Herz) prägt sich oft deutlicher ein als bürokratische Sprache. Ob der Zorn auf Bush gerechtfertigt ist oder nicht, sei dahingestellt. Für seinen Namen kann man nichts. Aber ranghohe Politiker und Entscheidungsträger können sich problemlos über auswärtige Gepflogenheiten informieren, bevor sie starten.

Sonntag, 14. Dezember 2008

Nicht schlecht - die Stiftungen

Amman: Was machen eigentlich all die politischen Stiftungen in ihren Auslandsbüros, habe ich mich schon oft gefragt und - schickt das Goethe-Institut vor allem deutsche Dichter und Sänger auf Rundreise? Hier in Jordanien bin ich positiv überrascht: Goethe hat z.B. in diesem Jahr 18 junge Journalisten aus der EU und der neuen Mittelmeer-Union zur ersten "Euro-Mediterranean Academy for Young Journalists" in Amman eingeladen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hatte 20 weibliche Mitglieder von Transportgewerkschaften aus Ägypten, Marokko, Algerien, Libanon und Palästina zu Gast, um deren Einfluss bei Eisenbahnen, Straßenverkehr, Häfen und Flughäfen zu stärken. Auch die Hanns-Seidel-Stiftung hat sich die Förderung von „Frauen und anderer benachteiligter Bevölkerungsgruppen“ durch Aus- und Fortbildung in den Sektoren Umwelt, Tourismus und gesellschaftspolitischer Erwachsenenbildung auf die Fahnen geschrieben.

Die Konrad- Adenauer-Stiftung präsentiert auf ihrer Homepage aktuelle Nachrichten und Hintergrundinfos aus dem Nahen Osten und lud kürzlich Journalisten aus dem Nahen und Ferneren Osten zu einem Kurs „Media and Reporting on Environment and Climate Change“ ein, an dem ich kurzfristig teilnehmen konnte. Der jordanische Umweltminister erntete ein Grummeln bei den ZuhörerInnen aus Indien, Pakistan, Sri Lanka, Ägypten, Libanon etc., als er meinte, man brauche in naher Zukunft Atomkraftwerke und 58% der Bevölkerung akzeptiere diese Form der Energiegewinnung. Von der rund ums Jahr zur Verfügung stehenden jordanischen Sonnenkraft sprach er nicht.

Bei der Besichtigung einiger Wasserprojekte am Toten Meer beeindruckten mich die KollegInnen nicht nur durch ihr schnelles Mitschreiben in den jeweiligen Schriftzeichen, von rechts nach links, von oben nach unten, sondern auch durch ihre gezielten Fragen und hartnäckige Nachfragen. Nur einige zogen es vor, sich stundenlang gegenseitig zu fotografieren.

Mittwoch, 10. Dezember 2008

my home, my castle, my pendlerpauschale

VON CRASSIDA

Warum soll die Steuergemeinschaft eine ökologisch so unsinnige und Stadtbewohnern gegenüber ungerechte Subvention finanzieren? Unterstützen, dass – wie etwa in München -weiterhin jeden Morgen eine halbe Million Autos – zu 90% immer nur mit einer (!) Person besetzt – sternförmig auf die Stadt zufahren? Dass die Leute abends im dichten Verkehr 90 Minuten nach Haus brauchen und danach zu nichts mehr zu gebrauchen sind?

In Großstädten wohnen viele gut ausgebildete Singles, Paare, Familien, die sich oft nicht mal die Hälfte des Wohnraums leisten können wie jene auf dem Land. Typisches Beispiel München: Eltern voll arbeitende Akademiker, zwei Kinder, wohnen beengt zur Miete, drei Zimmer für 1200 Euro (!). Eigentum für die meisten undenkbar. Kitas sind rar und kosten oft mehrere hundert Euro. Wer ein Auto hat, findet keinen Parkplatz oder muss Gebühren zahlen, fährt stattdessen Fahrrad oder teilt sich eine Monatskarte. Von den Lebensmitteln über die Mülltonne bis zum Wein in der Kneipe sind die Preise weit teurer als in kleinen Orten.

Typisches Beispiel bayerisches Land: Vater Handwerker oder Facharbeiter, Mutter Halbtagsstelle, zwei Kinder, wohnen im eigenen zweistöckigen Haus mit Balkonen, Terrasse und Wiese. Als Ortsansässige kamen sie dafür an ein subventioniertes Grundstück, gebaut haben sie über mehrere Jahre mit Hilfe von Verwandten und Nachbarn, vieles lief schwarz. Die Familie hat zwei Autos, der Vater fährt damit morgens 70 Kilometer zur Arbeit nach München, Mutter 15 Kilometer. Es gibt freie und meist kostenlose Kindergartenplätze.

Statt die Pendlerpauschale wieder für alle einzuführen, sollten sich die Landbewohner in ihren luftigen Häusern etwas einfallen lassen: Fahrgemeinschaften bilden, Verkehrsräte wählen, sich mit Nachbarorten verknüpfen, Jobsuchende oder Rentner einstellen, die die Menschen in Kleinbussen zur nächsten S-Bahn fahren und abends wieder einsammeln; Pendelbusse einrichten, die stündlich über die Dörfer fahren. Bedarf ermitteln, Pläne machen, dann öffentliche Gelder für öffentlichen Verkehr fordern.
Das Verfassungsgericht hat bei seinem Urteil betont, dass es sich bei den Wegekosten um "gemischte" Aufwendungen handelt, dass also sowohl private wie berufliche Gründe dafür verantwortlich sind, wie fern jemand von seiner Arbeitsstätte wohnt. Je weiter also entfernt, desto mehr Privatvergnügen. Ich habe keine Lust, die gepflegten Autos der Familien in den wuchtigen Neubausiedlungen bayerischer Dörfer zu subventionieren und plädiere für die Abschaffung jeglicher Pendlerpauschale.

Dienstag, 9. Dezember 2008

Innenohren und Gleichgewicht


“Ein starker Kuss kann ein Druckungleichgewicht zwischen den beiden Innenohren auslösen und zu einem geplatzten Trommelfell führen”, schrieb das englischsprachige Blatt “Shanghai Daily”, wie die StZ am 9. Dezember 08 zitiert. Gut, dass die Presse hier aufklären darf. Während der Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking galt ja das Motto “Stärken betonen, Schwächen verdecken und politische und soziale Ungerechtigkeiten vertuschen”
...Aber mit der Pressefreiheit in Bangladesch ist es auch nicht weit her. Tipp: „Massenmedien in Bangladesch und deren Pressefreiheit“, Autorin: Monowara Begum Moni, ISBN: 978-3-936904-02-4. Auch wenn es sonst "Freiheiten" ohne Ende gibt: Ein LKW kann in eine Menschenmenge rasen und der Fahrer wird nicht zur Verantwortung gezogen. Das gibt die Autorin, die 1989 mit dem Titel "Best Journalist of the Year" ausgezeichnet wurde, zu bedenken. Ganz schön mutig. Ich finde es bewundernswert und motivierend, wenn Journalistinnen mit offenen Augen und Ohren berichten.

Samstag, 6. Dezember 2008

Noch eine bloggende Professorin!

von Judith Rauch

Ausgerechnet in nature, dem Fachblatt für Hardcore-BiologInnen, fand ich den Hinweis auf das Blog von Female Science Professor. Hier schreibt eine Professorin der Naturwissenschaften seit Mai 2006 anonym über ihre Erfahrungen. Und so hat sie sich eingeführt:

I do not look my age, I do not look like a professor, I do not look like a scientist. My colleagues are, with a few exceptions, very kind and polite to me, and some (many? most?) even like me ... but they do not take me seriously.
Insbesondere Studentinnen scheinen die Glossen zu mögen, weil sie ihnen wertvolle Einsichten in die Spielregeln des Wissenschaftsbetriebs geben - den tief darin verwurzelten Sexismus inklusive. Die FSP-Postings sind so erfolgreich, dass sie jetzt als Buch unter dem Titel "Academeology" erschienen sind. Was ich besonders bemerkenswert finde: Dass die Autorin bis heute nicht enttarnt worden ist.

Discovering: Undercover


Undercover-Recherche - ein Spiel mit einer Maske.
FOTO: GUCCINO

Anfang November versammelte sich eine kleine Gruppe investigativ arbeitender Journalistinnen und Journalisten in der Theodor-Heuss-Akademie in Gummersbach. 2/3 Männer, 1/3 Frauen -darunter viele Berufseinsteigerinnen. Ein Wochenende auf dem Berg - das Netzwerk Recherche hatte die Fachtagung dem Stiefkind der investigativen Recherche, die Undercover-Recherche, gewidmet. Günther Wallraff, der wohl bekannteste Vertreter dieser Gattung, sollte in einer Werkstatt von seinen Methoden berichten. Daneben waren zahlreiche ReferentInnen geladen, die mit ihren verdeckten Recherchen für Aufsehen gesorgt hatten. Neben einer Riege männlicher Referenten waren allerdings nur zwei Referentinnen vorgesehen.
Überschaubare Frauenquote
Wallraff kam nicht - und auch nicht Andrea Röpke, die 2007 von der Journalistenvereinigung den Leuchtturmpreis für ihre mutigen Recherchen unter Neonazis erhalten hatte. Grund: Die Rechten hatten einen Rechtsstreit begonnen, Röpke musste schnellstmöglich reagieren. Blieb also nur noch eine - Nicole Althaus, die verdeckt im katholischen Beichtstuhl recherchiert.
Die geringe Frauenquote unter den Referentinnen - und das sei an dieser Stelle klar betont - liegt keineswegs an dem Rechercheunvermögen der das Seminar planenden Kollegen vom Netzwerk Recherche. Es gibt zum einen weniger Frauen unter den investigativ arbeitenden JournalistInnen - und noch viel weniger, die undercover recherchieren!
Das hängt zum einen mit den Themen zusammen: Undercover-Recherche wird vor allem dort eingesetzt, wo es konspirativ zugeht: In Sekten, im Rotlichtmileu, bei Neonazis, Rockern, in Zirkeln der Macht. Das sind meist alles Räume, zu denen Frauen häufig immer noch keinen Zutritt haben. Für eine investigativ arbeitende Journalistin, die sich dieser Themen annimmt, bleibt da meist nur die offene Recherche - eine Undercover-Recherche ist oft nur bei einem klassischen Frauenthema möglich. Mit Frauenthemen ist aber nicht unbedingt Auflage oder Quote zu machen.
Zermürbende Klagen:
Hinzu kommen die schier unbewältigbaren Schwierigkeiten, die Journalisten im Undercover-Einsatz begegnen: Klagen, - meist Schadensersatzklaren - die oftmals in die schwindelerregende Höhen gehen. Diesen Weg entdecken immer mehr undercover Ausgespähte. Rechtsextreme Parteien und braune Organisationen können sie die besten Anwälte nehmen, Tierversuchs-Firmen sowieso, frei arbeitende Journalisten können sich oftmals nicht mal eine Rechtsschutzversicherung von ihren spärlichen Honoraren leisten. So ging der Bericht von Friedrich Mülln, der undercover grausame Affenversuche in einem der größten Tierversuchslabore Europa dokumentierte, unter die Haut. Die Honorare der aufwendigen, monatelangen Recherchen des freien Journalisten deckten nicht einmal die angefallenen Kosten. Als das Unternehmen klagte, hätte das ZDF, wo sein Bericht in der Sendung Frontal21 lief, nicht hinter ihm gestanden. Mülln, nur durch die Gewerkschaft versichert, gewann den Prozess nach vielen Monaten dennoch. Aber er hat den Glauben an die Medien verloren. Heute arbeitet er für NGOs und Privatleute. Als Journalist möchte der Tierschützer nicht mehr tätig sein.
Ähnlich geht es "Thomas Kuban", der ebenfalls 2007 den Leuchtturm-Preis erhielt und seit Jahren verdeckt unter Neonazis recherchiert. Zahlreiche Konzerte hat er filmisch dokumentiert, setzt immer wieder sein Leben aufs Spiel. Aber die Sender seien der Szenen überdrüssig. Das Geschäft liefe immer schlechter, das Interesse an einer Berichterstattung nehme stetig ab, erzählte Kuban, der in Gummersbach ebenfalls verdeckt auftrat. Ideenlos ist der Undercover-Rechercheur aber nicht: Derzeit arbeitet er an einem Kinofilm, der voraussichtlich ab Februar seine Recherchen zeigen soll. Finanziert in Eigenregie.
Auch die Berichte von Medienjournalist Volker Lilienthal und dessen Rechtsanwalt Helmut Graf bestätigten die Schilderungen: Lilienthal deckte die Schleichwerbung in der ARD auf - und wurde verklagt. Sein Arbeitgeber und der DJV standen hinter Lilienthal, nach zermürbenden Monaten gewann Lilienthal. Aber der fade Eindruck bleibt: Um ein Undercover-Recherche-Ergebnis auch durchsetzen zu können, braucht es mehr als wasserdichte Recherchen: Viel Geld, beste Anwälte und einen Richter, dem an Pressefreiheit etwas gelegen ist.


Mut für mehr verdeckte Recherchen
Ganz anders dagegen die Berichte des ehemaligen STERN-Rollenreporters Gerhard Kromschröder. Als Türke, Neonazi, Rocker, Giftmüllkutscher und Beichtender in Betstühlen war in den 70er und 80er Jahren unterwegs. Die Recherchekosten zahlte der STERN - und natürlich gab es auch Rückendeckung in Rechtsstreitereien. "Der STERN hat sich mit meienr Arbeit identifiziert. Das ist heute möglicherweise nicht mehr so", erklärt sich der Journalist den Wandel. Staunen bei den Jüngeren - noch viel mehr Fragen bei den Berufseinsteigerinnen. "Für Frauen scheint es noch viel weniger Möglichkeiten zu geben, verdeckt zu recherchieren", glaubt eine Journalistikstudentin aus Dortmund. Dabei gäbe es Themen genug. Darin waren sich am Ende der Tagung die Teilnehmer einig. Neben Respekt und Hochachtung für die undercover arbeitenden Kollegen hat die Fachtagung Mut gemacht, diese Königsdisziplin der investigativen Recherche neu zu entdecken - und Solidarität mit jenen zu zeigen, die mit beispielhaftem Mut diese Methode einsetzen. Es wäre ein Gewinn für den Journalismus, wenn sich auch mehr Frauen dazu entschließen, undercover zu arbeiten. Jedoch, ruft Kromschröder in Erinnerung, sollte man nur verdeckt recherchieren, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, an die Informationen zu gelangen.

Freitag, 5. Dezember 2008

Schluss mit dem Gejammer!

Grafik: Per Thomas, junger Künstler aus Bremen.

Der Journalismus ist am Ende, die Medien haben abgewirtschaftet. Die Wirtschaftskrise ist in Deutschland noch nicht einmal richtig angekommen, da sind wir in der Medienbranche längst viel weiter: In einer Rezession lassen sich Massenentlassungen wie bei der WAZ (300 Stellen), bei Gruner & Jahr (120 Stellen), Umstrukturierungen beim Süddeutschen Verlag und ähnliche solcher Nachrichten aus anderen Medienhäusern gut rechtfertigen.
Schon titelt der "Journalist" in seiner aktuellen Ausgabe (12/08) mit "Harte Einschnitte" - die Titelgeschichte ist im Tenor einer Endzeitstimmung verfasst. Beim "Medium Magazin" kommt man um das Krisenthema freilich auch nicht herum, doch hier ringt sich wenigstens Medienjournalist Stefan Niggemeier ein paar positive Gedanken ab. "Es gab noch nie so viele Möglichkeiten für Journalisten", zitiert ihn das Magazin.

In der aktuellen Online-Ausgabe findet sich dann unter dem Titel "Die Pläne in München" ein Interview mit Richard Rebmann und Karl Ulrich, Geschäftsführung des Süddeutschen Verlags mit Medium-Magazin-Chefredakteurin Annette Milz. Immerhin stellen sich die Geschäftsführer den Fragen der Medienjournalistin - auf acht Seiten erklären sie dann ausführlich die Weichenstellungen für die Zukunft. Jaja, sie könnten auch anders, wenn sie könnten. Können sie aber nicht und darum wolle man das Ganze positiv sehen: Online first.

Online zuerst, das Medium der Zukunft. Erreichten laut einer Studie der Allensbach-Forscher 1980 die Tageszeitungen noch über 80 Prozent der über 29-Jährigen und immerhin über 70 Prozent der 14- bis 29-Jährigen, sind es jetzt gerade einmal 60 beziehungsweise 40 Prozent. Tendenz sinkend. Im Netz sieht es freilich anders aus. Laut ARD/ZDF-Onlinestudie sind
65,8 Prozent der deutschen Erwachsenen online, das sind immerhin 42,7 Millionen Bundesbürger. Bei den 14- bis 19-Jährigen sind es sogar 96 Prozent. Sie nutzen das Internet durchschnittlich zwei Stunden pro Tag. Fraglich dabei ist, ob sie sich in dieser Zeit bei Spiegel-Online, Faz.Net, Sueddeutsche.de oder taz.de informieren, ob sie in der ARD-Mediathek surfen - oder nicht doch eher in Social Networks wie StudiVZ unterwegs sind, sich alberne Videos bei YouTube anschauen oder illegal Musik runterladen und Online-Spiele zocken.
Haben wir es also mit ganzen Generationen von Informationsverweigerern zu tun? Wohl kaum. Der Großteil der jungen Erwachsenen möchte gut informiert sein, um Teilhabe an der Gesellschaft haben zu können. Und die Daten ihrer Mediennutzung sind doch mehr als erfreulich! Nur: Die Tageszeitungen werden an ihnen vorbeigeschrieben. Und nicht nur sie: Auch ein großer Teil der sonstigen Medienprodukten. Aber es hat auch etwas mit der gesellschaftlichen Entwicklung allgemein zu tun: In einer multikulturellen, multipluralistischen Gesellschaft stehen Medienprodukte, die eine heterogene Masse ansprechen, nicht im Kurs. Dumm ist nur, dass die Auflage die Werbung und damit die Existenz des Medienproduktes Zeitung ausmacht. Und was ist mit dem Internet? Auch hier geht es weitgehend um Klickraten, die aber gar nichts darüber aussagen, ob die Inhalte auch ankommen.

Wer jammert, beraubt sich selbst der Chance, etwas zu verändern. Die Krise schafft völlig neue Möglichkeiten. Denken statt Klagen, Initiative ergreifen statt still stehen. Wer über seine eigene Situation jammert, beschäftigt sich nur mit sich selbst - stattdessen sollten wir JournalistInnen auch einmal an unsere LeserInnen, HörerInnen, ZuschauerInnen denken.

Mittwoch, 3. Dezember 2008

China und der schöne Schein

"Die Chemikalie Melamin, die auch in den Bonbons der Marke White Rabbit gefunden wurde, kann bei Kleinkindern zu schweren Nierenerkrankungen führen", steht in einem Artikel der Stuttgarter Zeitung vom 3.12.08 unter der Rubrik "Aus aller Welt". Tatsache ist, dass sich Chinas Gesundheitsminister Chen Zhu lange nicht zu dem größten Molkereiskandal äußerte. Die verunreinigten Lebensmittel tauchten selbst in Baden-Württemberg auf. Insbesondere in importiertem Hirschhornsalz. Ein Lebensmittelzusatzstoff für Lebkuchen. Und die werden ja grade in der Weihnachtszeit bei Kerzenschein gerne gegessen. "Aufgrund der geringen Dosis in den weihnachtlichen Bäckereien bestehe jedoch keine Gefahr", so Agrarminister Peter Hauk in der StZ. Die Kontrolle der globalen Warenströme erfordere aber eine erhöhte Aufmerksamkeit. Allerdings.
"Gegenseitiger Respekt und Aufmerksamkeit" zählt nicht nur international zum guten Ton, sondern insbesondere in Ländern wie China, in denen Kritik eine peinliche Sache ist. Insbesondere vor und nach den olympischen Spielen. Zwar ist China für, aus unserer Sicht, unmögliches Benehmen bei Tisch (Rülpsen, mit vollem Mund brüllen etc.) bekannt. Aber was bei uns nicht ungewöhnlich ist, z.B. Nase putzen in der Öffentlichkeit bei Schnupfen, ist dort eine Peinlichkeit. Wann endlich ist solchen Ländern Gesundheit und Sicherheit wichtiger als Ehre und Prestige, um den schönen Schein zu wahren?
Ein Ansatz war ja der 2007 erlassene "Verhaltensknigge für chinesische Reisende ins Ausland, da das Verhalten einiger chinesischer Reisender ins Ausland nicht vereinbar mit der zunehmenden wirtschaftlichen Stärke der Nation und ihrer wachsenden internationalen Rolle sei". Daher sollen Chinesen im Ausland nicht auf die Straße spucken, auf dem WC rauchen, rülpsen oder Abfall in die Landschaft werfen. Aber wenn China, ein Staat, in dem Pressefreiheit ein Fremdwort ist, schon einen weltweit guten Eindruck machen möchte, dann sollte das Verheimlichen solcher Skandale als absolutes Don´t betrachtet werden. Wenn die Erkenntnis erst dadurch entsteht, wenn deren Exportquote um 92 Prozent einbricht, ist es zwar zu spät - aber es wäre immerhin ein Teilerfolg, wenn überhaupt eine Erkenntnis vorliegt, dass ein Zusammenhang zwischen Ehre, Ehrlichkeit und Ertrag besteht.
Ansehen kann man auch dadurch erreichen, dass man darauf verzichtet, den schönen Schein zu wahren, sondern die Wahrheit sagt. Ohne kritischen Journalismus wüsste keiner etwas davon. Kompliment und Respekt für die Auslandskorrespondenten, die in solchen Ländern recherchieren und scheinheilige Presseerklärungen kritisch unter die Lupe nehmen.

Dienstag, 2. Dezember 2008

Geschenke

von Judith Rauch

Nix Finanzkrise: Huffington Post sackt 25 Mio Dollar ein

meldete gestern turi2.de: Die Huffington Post, das Blog-Netzwerk der findigen US-Kolumnistin Arianne Huffington, sackt trotz Krisenzeiten 25 Mio US-Dollar vom Risikofinanzierer Oak Investment Partners ein und steckt es in den Ausbau der Redaktion. Der Beweis, dass frau als Bloggerin nicht nur berühmt, sondern auch richtig reich werden kann. Wie schade, dass der Journalistinnenbund als Non-Profit-Organisation ein solches Millionen-Geschenk zurückweisen müsste. Miriam Meckel wiederum hat einen neuen Gedichtband. Seit heute zitiert sie nicht mehr Jürg Halter, sondern Ali al-Shalah. Damit ist mein Wunsch von gestern geradezu blitzartig in Erfüllung gegangen. Toll, die neuen Medien!

Karrierebremse Familie

Immer mehr Frauen arbeiten immer weniger. Das ist das Fazit einer Studie des Institut Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg-Essen. Zwar hat die Zahl der arbeitenden Frauen in Deutschland auf 61,5% zugenommen. Die Steigerung geht aber fast ganz auf das Konto der Mini- und Teilzeitjobs. Die Vollzeitbeschäftigung von Frauen ist immer noch auf dem Stand der Jahrtausendwende - und damit unter EU-Durchschnitt.

Verständlich: Frauen mit Kindern arbeiten besonders geringe Stundenzahlen. Äußerst ärgerlich: Männer mit Kindern arbeiten mehr Stunden als ihre kinderlosen Kollegen. Die Studie spricht von einer „modernisierten Versorgerehe“, in der Frauen meist nur "hinzuverdienen" und wirtschaftlich abhängig sind. Die Gründe u.a.: Minijobs, Ehegattensplitting und Mitversicherung bei der Krankenkasse sorgen dafür, dass es sich kurzfristig mehr rechnet, wenn einer voll und eine kaum arbeitet - als dass beide reduzieren. Die Quittung kommt dann oft nach der Scheidung und beim Rentenbescheid.

"Familien bremsen Karriere" titelt treffend Focus-Online. Denn in den Medien und der politischen Debatte ist das neue Familienbild angekommen - leider nicht im Alltag.

Die Zusammenfassung der Studie ist gut lesbar und es gibt sie als PDF. Also: Herunterladen und gruseln!

Montag, 1. Dezember 2008

Hier bloggt Frau Professor

von Judith Rauch

Tübingen hat einen neuen Professor für Medienwissenschaften, der gleich in zwei Köpfen denkt: Er ist auch Blog-Leser und empfiehlt unter anderem den, pardon: das Blog seiner berühmten Kollegin Miriam Meckel: Erster Eindruck: Da wird ja wirklich kräftig kommentiert. Diese Professorin ist keine einsame Ruferin in der Wüste. Trotzdem: Vielleicht sollte ihr mal jemand einen neuen Gedichtband schenken.