Dienstag, 31. Januar 2017

Unerkannte Heldinnen. Ausgerechnet Mathe. Eine Filmkritik.

von Christine Olderdissen


Taraji P. Hudson spielt das Rechengenie Katherine Johnson    / Foto: 20th Century Fox

Mathe ist nichts für Mädchen – dieser idiotische Merksatz wird noch immer von Generation zu Generation weitergegeben. Jetzt kommt mit „Unerkannte Heldinnen“ ein Film ins Kino, der uns mit einem Paukenschlag um die Ohren haut, was bisher niemand wusste: nur den Rechenkünsten von Frauen ist die Mondlandung zu verdanken. Eine historische Tatsache, die längst in den Geschichtsbüchern gefeiert werden müsste. Publikumswirksam liefert Hollywoods Traummaschine mit „Hidden Figures“ die nötige Nachhilfe.


Die Fähigkeit, komplexe Rechenaufgaben zu bewältigen, ist mitnichten an das Y-Chromosom gekoppelt. So gab es vor mehr als sechzig Jahren den Beruf "Computer", geschlechtsneutral abgeleitet vom englischen Wort für "rechnen". Das waren in der Regel mathematisch begabte Frauen, die von Versicherungen, der US-Army oder der NASA zum manuellen Bearbeiten gigantischer Rechenoperationen eingestellt worden waren. Sie saßen ähnlich wie Stenotypistinnen in großen Sälen, nichts ahnend, dass schon bald Maschinen ihre Arbeit erledigen würden. Nur der Name „Computer“ würde bleiben.

Eine vergessener Fakt, wie so oft in der Geschichtsschreibung, wenn es um die Leistung von Frauen geht. Dieses ganze High-Tech-Zeugs ist Männersache - von wegen. Die Geschichte der Frauen im frühen Computerzeitalter wird längst erforscht, federführend von Janet Abbate, Tech-Professorin in den USA. Aber diese Quellen zu finden ist mühsam. Umso wichtiger ist solch ein Film mit Breitenwirkung.

Zurück zum Computer-Saal in "Hidden Figures": von diesem fensterlosen Raum aus starten drei hochbegabte Mathematikerinnen zu einzigartigen Karrieren in der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA. Es sind wahre Geschichten, die die Sachbuch-Autorin Margot Lee Shetterly 2016 ausgegraben hat und die Vorlage für das Drehbuch waren: von der Mathelehrerin Dorothy Vaughan, die zunächst den Rechensaal mit ihren afroamerikanischen Kolleginnen leitet und dann, weil es die Männer nicht hinkriegen, die gerade gelieferte IBM-Maschine zum Laufen bringt und – überraschend, aber wahr - zur Leiterin des neuen Rechenzentrums ernannt wird. Dann gibt es da ihre Kollegin Mary Jackson, die ihr nebenberufliches Ingenieurstudium als schwarze Frau vor Gericht durchfechten muss. Der Fokus aber liegt auf Katherine Johnson. Ihr Mathegenie wurde schon in der Schule erkannt, mit 14 Jahren kommt sie aufs College und belegt Kurse in analytischer Geometrie. Im Film wird sie in das Herzstück der NASA beordert, einem Saal voller weißer Männer, die sie zunächst für die Putzfrau halten. Und dann ist sie es, die den Weltraumflug vorm fatalen Unglück rettet und damit die Fortsetzung des ehrgeizigen Mondflugprogramms im Wettlauf gegen die Russen ermöglicht. 


Mary Jackson, Katherine Johnson
und Dorothy Vaughan - die unerkannten Heldinnen
/ Filmplakat: 20th Century Fox
Filmisch gesehen ist dies Hollywood-Standard-Kost in Hochglanz, die Oscar-Nominierung als Bester Film steht: Großartige SchauspielerInnen, gefälliger Soundtrack und ganze Arbeit bei der Requisite. Ein Fest fürs Auge mit Originalbüroausstattungen, Oldtimern und frischgebügelten Sixties-Kleidern.

Doch das ist nur der schmucke Rahmen. Das Biopic wirft einen Blick auf das Leben der schwarzen Mittelschicht. Zwar alles adrett bürgerlich, aber die Frauen und ihre Familien leben unter der Knute der Rassentrennung. Es ist die Zeit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, Martin Luther King spricht im Fernsehen.

Wie sich dieser Alltagsrassismus anfühlt, wird beim vierzigminütigen Gang zur Toilette der Schwarzen spürbar, oder beim Besuch der Stadtbibliothek, in die „Coloured People“ nicht reindürfen. Dorothy klaut kurzerhand das Fachbuch für die Programmiersprache Fortran. Mit ihren Steuern habe sie es schließlich bezahlt, erklärt sie augenzwinkernd ihren Jungs.


"Unerkannte Heldinnen" hat ganz schön viel Pathos. Aber zugegeben, in den frühen Sechzigern war es verdammt aufregend, eine bemannte Rakete ins Weltall zu schicken und zu hoffen, dass der Mensch darin heil auf die Erde zurückkehrt. Dieser Astronaut - John Glenn, der 1962 als erster US-Amerikaner im All die Erde umrundet - vertraut allein den Rechenkünsten von Katherine Johnson und tut damit das einzig Richtige.

Der Film erfüllt aufs I-Tüpfelchen die Idee, über fiktionale Stoffe das Verständnis von Wissenschaft und insbesondere die oft totgeschwiegenen Leistungen von Frauen in die Bevölkerung hinein zu tragen, wie von der neugegründeten Initiative MINTEEE der Max-Planck-Gesellschaft gefordert.

Am Ende sind die Weißen geläutert, die schwarzen Frauen haben sich mit Humor und Grazie auf ganzer Linie durchgesetzt und die Zuschauer*innen wischen sich verschämt die nassen Wangen. Die hochfliegenden Gefühlswelten sind wie dafür gemacht, noch vor dem Girl's Day mit Töchtern, Nichten und Enkelinnen ins Kino zu gehen, gerade dann, wenn sie mal wieder an Mathe verzweifeln.


Kinostart: 2. Februar 2017

Oscarverleihung: 26. Februar 2017. Unter allen Nominierungen ist das erste Mal seit sieben Jahren ein deutscher als bester fremdsprachiger Film: Toni Erdmann der Regisseurin Maren Ade.

Zum Weiterlesen: "Ada Lovelace, die Pionierin der Computertechnik und ihre Nachfolgerinnen", hrsg. von Sybille Krämer, mit vielen aufschlussreichen Texten, Verlag Wilhelm Fink, 2015

7 Kommentare

  1. Ganz fantastischer Film! Ich hätte stundenlang weitergucken können. Höchst inspirierend, tiefgründig, witzig und politisch. Alles, was ein Film braucht. Und toll, dass diese Geschichtsschreibung endlich nachgeholt wird.

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  2. "mit Töchtern, Nichten und Enkelinnen ins Kino zu gehen", klar, aber mindestens genauso wichtig, mit Söhnen, Neffen und Enkeln in diesen Film zu gehen. Damit sie Mädchen und Frauen mal anders sehen als über dieses rückwärtige Rosa-Hellblau-Gedöns.

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  3. Mir wird jedes Mal schlecht, wenn Mädchen oder Frauen mit Unkenntnis in Mathe in Zusammenahng gebracht werden. Das machen leider gerne auch Moderatorinnen, Journalistinnen ... meist mit einem Lächeln. Wie blöd!

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  4. Liebe Elke,

    ich habe das Intro gewählt, weil ich erst vor kurzem neun- und zehnjährige Mädchen gehört habe, die sagten: Igitt, Mathe! Ich konnte es nicht fassen. Diese Einflüsterungen halten sich hartnäckig. Warum schaffen es die Schulen nicht, alle Kinder für dieses Fach zu begeistern, egal welches Geschlecht. Kinder lieben Logik, Jungen wie Mädchen.

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  5. Den Film werde ich mir anschauen - vielen Dank fürs Appetitmachen! Ich habe selbst viele Jahre als Physikerin und Software-Ingenieurin gearbeitet. Ja, Frauen können das und es macht sogar Spaß :-). Übrigens gilt eine Frau als erster Programmierer der Welt - die britische Mathematikerin Ada Lovelace. Das war knapp 100 Jahre, bevor die NASA Computer-Heldinnen den Mondflug möglich machten.

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  6. Danke für den Filmtipp. Ich werde am Dienstag mit einer jungen Kollegin ins Kino gehen und bin schon seeeehr gespannt auf den Film. Ich kenne übrigens jede Menge Mädchen und junge Frauen, die Mathe und die Naturwissenschaften toll finden.

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  7. Hab's endlich geschafft, den Film zu sehen. Mit Mann und Sohn. Und wir waren alle total begeistert. Das ist spannend erzählt, toll gespielt, emotional berührend und daher nachhaltig wirkungsvoll. Ich find's toll, wenn es gelingt, eine Geschichte aus der Frauenbewegung in einen großartigen Film zu verwandeln. Selbst wenn dabei nicht immer akkurat mit der historischen Realität umgegangen wird, so werden dadurch doch mehr Menschen angesprochen, vor allem auch die nicht-weiblichen.

    Und dass Mathe und Naturwissenschaften in der Schule den Mädchen so gut wie ausgetrieben werden, ist auch meine Erfahrung. Das ist nicht nur ungerecht, sondern vor allem ein riesiger Verlust an Möglichkeiten für unsere Gesellschaft. Schließlich ist nicht jede begabte Mathematikerin auch gleichzeitig revolutionär genug, um sich gegen alle Widerstände durchzusetzen.

    Da wird aber auch seit Jahren gegengearbeitet von vielen unterstützenswerten Initiativen, wie z.B. komm-mach-mint.de

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