Isfahan, Iran, bei 35 Grad: Mann, kurzärmelig, barhäuptig. Frauen im Tschador, Manteau oder Jacke. Das Kopftuch tragen oft schon kleine Mädchen. Fotos: M. Köster/S. Hessel |
Iran ist ein faszinierendes Land. Vier mal so groß wie Deutschland, 75 Millionen Einwohner, 18 Weltkulturstätten - und noch sehr wenig Touristen. Entsprechend begegnen uns die Menschen auf unserer Reise mit großer Freundlichkeit und Neugierde. Kinder probieren ihre ersten Englischkenntnisse aus, Frauen und Männer laden uns zum Tee ein, wollen uns im Auto mitnehmen, sind begierig, alles über uns zu erfahren. Welch ein aufgeschlossenes, temperamentvolles Volk! Die Autorin Helena Henneken, die zwei Monate allein im Irak unterwegs war, hat völlig recht, wenn sie in ihrem schönen Buch schreibt "They would rock!"* ...wenn man sie denn ließe.
Architektur-Studentinnen beim Skizzen zeichnen. |
"Reizarme" Kleidung soll die "Aura" der Frau schützen
Ich möchte an dieser Stelle nur einen Aspekt dieser Diskriminierungen herausstellen und über den Kleidungszwang für Frauen sprechen. Kopftücher soll tragen, wer immer will, aber dass dies wirklich von Grund auf freiwillig passiert, glaubte ich noch nie und erst recht nicht nach zweiwöchiger Praxis im Einhalten der Vorschriften. Masih Alinejad geht es ähnlich - und diesen Frauen auch.
Die tägliche öffentliche Ermahnung 2014 |
Ich trug also auf meiner zweiwöchigen Reise im heißen September "nur" einen mehrfach umgeschlagenen Schal (den bad hijab), lange Hemden über einem hochgeschlossenen Shirt, weite lange Hosen und geschlossene Schuhe.
Meiner Beobachtung nach verlieren die Frauen und Mädchen täglich mindestens dreißig Minuten mit dem Feststecken des Kopftuchs, dem zigfachen Korrigieren des Sitzes, dem Zusammenraffen des Mantels. Ständig ist eine Hand, wenn nicht beide, damit beschäftigt, es ist ein unentwegtes Gezupfe und Geschiebe. Die Enden des Schals fallen beim Essen in die Suppe und verheddern sich dauernd. Ganz schwierig ist der Besuch einer Toilette (der Iran hat vorbildliche öffentlich zugängliche Hock-Toiletten in allen Moscheen). Soll das einigermaßen funktionieren, müssen erst die Hosenbeine hochgekrempelt, die langen Oberteile hochgerollt und die Zipfel des Kopftuchs in den Mund gesteckt werden.
Klar auch, dass die Frauen sich nicht vernünftig bewegen können, weder schnell gehen noch laufen ist möglich und auch nicht erlaubt. Auch das Gesichtsfeld ist seitlich eingeschränkt. Fußballerinnen müssen im Ganzkörperanzug antreten, schwimmen und Radfahren dürfen die Frauen gar nicht (immerhin aber Autofahren). Traurige Beobachtung in den bei den Iranern heiß geliebten Parks, wo so manche Teenager versuchen, Federball zu spielen: Ein paar mal geht der Ball hin und her, dann müssen beide den Schläger ablegen und das Kopftuch wieder richten. Doch auch ganz ohne Sport - so erzählt mir eine Iranerin - sind sie meist nassgeschwitzt, wenn sie abends zu Haus endlich ihr Kopftuch ablegen dürfen. "Dann geht noch einmal eine halbe Stunde mit Duschen und Haarewaschen drauf."
Die Verhüllung markiert Frauen immer als "die anderen"
Die Literatur-Professorin Azar Nafisi hat sich mit diesem Dilemma ausführlich beschäftigt. Sie verlor in den Hochzeiten der Sittenpolizei in den 1990er Jahren wegen Nichttragen des Kopftuchs ihren Job. Damals überprüften die noch jede einzelne Studentin beim Betreten der Uni - auf Farbe und Dichtheit der Kopfbedeckung, auf die Länge des Manteaus, mögliche Schminke, verbotenen Schmuck und falsche Schuhe. Nafisi unterhielt danach zwei Jahre lang heimlich einen Literaturzirkel für ihre Studentinnen und schrieb ein Buch über diese Zeit.**
"Alle von uns kannten diese Albträume, in denen wir vergessen hatten, den Schleier zu tragen oder ihn verloren hatten. Die Bücher aber, die wir lasen, enthielten den grundlegenden Widerstand, nach dem wir uns sehnten."
"Es ist leicht, aus der Ferne und ohne eigene Betroffenheit das Kopftuch zu tolerieren. Für mich ist das jedoch keine Toleranz sondern Ignoranz. Das Kopftuch und der Tschador symbolisieren in meinen Augen die Unterwerfung der Frau." Seyran Ates, Juristin, Autorin
"Ja, die Gesetze im Iran sind frauenfeindlich. Aber Sie müssen den Frauen, die gegen diese Missstände auftreten, einmal ins Gesicht schauen. Das sind unabhängige, starke und gebildete Frauen, die für ein gerechteres Justizsystem kämpfen."
Buchempfehlung:
*Helena Henneken, They would rock, Verlag Gudberg
**Azar Nafisi, Lolita lesen in Teheran, Verlag Goldmann und DVA
Deine Beschreibung deckt sich zu 100% mit meinen Erlebnissen aus dem Vorderen Orient. Selbst im prä-revolutionären Syrien, das keine gesetzlichen Kleidervorschriften kannte, musste frau immer einen großen Aufwand betreiben, um Belästigungen zu entgehen.
AntwortenLöschenBesonders das Festhalten, Zuhalten, Rumzupfen an sich selbst, um auch ja keinen Quadratzentimeter Haut zu viel zu zeigen, kenne ich noch gut aus meinen verschiedenen Studienaufenthalten in der Region, besonders den drei Monaten in der nordostsyrischen Jezire (heute leider zu großen Teilen unter Kontrolle des IS).
Wer es nicht selbst erlebt hat, macht sich gar keine Vorstellung davon, wie sehr das im täglichen Leben einschränkt.
Diese so genannten "Traditionen" (die im Iran vor 1979 gar nicht üblich waren) sind leider ein effektives Mittel, um Frauen von jeglicher Mitbestimmung fernzuhalten.
Übrigens kenne ich keine einzige Iranerin, die hierzulande nicht die Gelegenheit nutzt, um sich "freizügiger" zu zeigen - trotz des kälteren Klimas. Zufall?
Seit einiger Zeit lassen sich die Frauen der Aktion "MyStealthyFreedom" nicht nur ohne Kopftuch fotografieren, jetzt singen sie auch. Ist natürlich auch verboten.
AntwortenLöschenIranerinnen_singen_oeffentlic
Die Soziologin Necla Kelek zur Entscheidung des Bundes-Verfassungsgerichts, Lehrerinnen an deutschen Schulen das Tragen des Kopftuchs freizustellen.
AntwortenLöschenKopftuchinderSchule