Die Journalistin Düzen Tekkal dokumentierte in "Háwar" den Genozid an ihrem eigenen Volk - den Jesiden. Sie findet, "Bei so einem Thema kann man nicht neutral sein." Foto: © Markus Tedeskino |
Sie erhielt dafür bei der Verleihung des "Couragepreis für aktuelle Berichterstattung", 2016 das erste Mal vom jb vergeben, eine lobende Erwähnung. Anlässlich des Weltflüchtlingstages am 20. Juni wird er zur Prime Time auf ZDFinfo ausgestrahlt.
Wer sind die Jesiden?
Die Jesiden sind eine der ältesten Religionsgemeinschaft des Vorderen Orients, es gibt sie schon seit dem vierten Jahrtausend v. Chr. Als Jeside kann man nur geboren werden, wir missionieren nicht. Alle Jesiden sind Kurden, und man geht davon aus, dass alle Kurden einmal Jesiden waren, aber viele zum Islam zwangskonvertiert wurden. Die, die sich weigern zu konvertieren, wurden schon lange vor dem IS-Terror verfolgt, weil sie als Teufelsanbeter gelten.
Es gibt starke Parallelen zum Judentum, aber da es keine Schriftreligion ist, war es für uns schwer, unsere Kultur zu erhalten. Mein Vater beispielsweise konnte nicht in die Oberschule gehen, weil sein Vater befürchtete, dass er dort zwangskonvertiert würde. Aus Angst vor Verfolgung und Konvertierung haben die Jesiden 800 Jahre lang auf Bildung verzichtet - erst durch die Diaspora können wir unsere kulturellen Wurzeln wiederfinden.
Du bist bzw. warst eigentlich keine Kriegsberichterstatterin. Trotzdem hast du den Film Háwar vor Ort in den Krisengebieten des Irak gedreht. Wie kam es dazu?
Das ist richtig. Ich hatte keinerlei Krisentraining. Der Völkermord fragt nicht nach deiner Ausbildung, du machst intuitiv das, was du kannst. Ich bin nur dazu gekommen, weil meine Berufung Journalistin und meine Religion Jesidin ist. Ich konnte mein Handwerk anwenden und berichten - eine Geschichte, die ich schon immer erzählen wollte, die aber bis zum IS-Terror niemanden interessiert hat.
Die ewige Diskussion über Neutralität versus Subjektivität finde ich heuchlerisch - man kann bei so einem Thema nicht neutral sein. Ich habe von Anfang an meine eigene Betroffenheit offengelegt: das ist für mich die ehrlichste Form, damit umzugehen.
Du hast miterlebt, wie die vertriebenen Menschen im Sinjar-Gebirge verdursten mussten und viele Opfer des IS-Terrors interviewt. Wie hast du das ausgehalten?
Es hat mir sehr geholfen, dass ich mich auf meine Rolle als Journalistin konzentrieren konnte, dass ich etwas tun konnte. Es gibt ein Zitat von Wedekind, das lautet: "Glück ist, den eigenen Anlagen gemäß gebraucht zu werden." Ich glaube, das trifft auf mich zu. Außerdem hatte ich als Frau und Jesidin einen viel besseren Zugang zum Beispiel zu den Frauen, die ich interviewt habe. Ich sage immer, ich bin dort als Journalistin hingekommen und als Mensch zurückgekehrt.
Du hattest anfangs einige Probleme, den Film in Deutschland zu zeigen. Die großen Kinoketten haben ihn aus Angst vor Terroranschlägen abgelehnt. Wie bist du damit umgegangen?
Die Angst der Kinos hat mich zurückgeworfen - dann habe ich angefangen, den Film selber zu vertreten. Eigeninitiative gezeigt. Ich habe Leute angeschrieben, die Werbetrommel gerührt, versucht zu überzeugen, kein Nein akzeptiert. Meine Schwestern haben mich dabei unterstützt. Und gemeinsam haben wir es hingekriegt. Schlussendlich gab es doch einige Kinobesitzer, die den Mut hatten, den Film zu zeigen und viele andere Personen, die uns unterstützt haben. Ich freue mich auch, dass er jetzt im Fernsehen gezeigt wird.
Welche Reaktionen erhoffst du dir noch?
Ich möchte so viel Aufmerksamkeit wie möglich auf diese Sache zu lenken. Dabei geht es mir nicht nur um die Jesiden, sondern um alle Opfer des IS. So lange noch Menschen in IS-Gefangenschaft sind, solange noch Massenvergewaltigungen passieren und Frauen als Sklavinnen verkauft werden wie Vieh, ist das ein Angriff auf die Zivilisation. Ich bin sehr froh, dass die UN das, was mit den Jesiden passiert, jetzt auch offiziell als Völkermord anerkannt hat und hoffe, dass möglichst viele Menschen den Film sehen.
"Háwar - meine Reise in den Genozid" Montag, 20.06.2016, 20:15 - 21:45 Uhr auf ZDFinfo, danach in der ZDF Mediathek.
Die Möglichkeit, zu spenden, sich zu informieren und zu engagieren gibt es über Düzen Tekkals Verein Hawar.help e.V.
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