Mittwoch, 7. Januar 2015

Das Jahr der Frau reloaded. Diesmal im Ernst.

von Angelika Knop

Grafik: Watch-Salon


Vor 40 Jahren rief die UNO-Vollversammlung das Internationale Jahr der Frau aus. Eine ziemliche Farce in Deutschland, auch dank wahrlich fortschrittlicher Medienmacher im Programmkuratorium: Walter Steigner, Intendant der Deutschen Welle, kommentierte damals, Frauen kämen in öffentliche Ämter "mehr aus Höflichkeit, die dem weiblichen Geschlecht von den Männern aus unerfindlichen Gründen entgegengebracht wird." Doch was 1975 eher ein Witz war, könnte ja 2015 ein Spaß werden: Zwölf Monate, die wirklich mal etwas verändern. Ein Jahresausblick, zusammengeträumt in den Raunächten zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag. Und was man in Raunächten träumt, wird ja bekanntlich wahr. 


Politik: Kanzlerin stürzt, Quote siegt


Aus den geplanten zwei Landtagswahlen (Hamburg und Bremen) werden drei. Denn in Bayern flattert jungen Eltern mit den vorausgefüllten Anträgen zum Betreuungsgeld gleich der Gebührenbescheid für den Grammatikkurs ins Haus, damit sie getreu dem CSU-Leitantrag "im täglichen Leben Deutsch sprechen" können. Da es koana ned gewesen sein will, lässt sich nicht feststellen, ob es sich um einen Beamten handelt, der wo übereifrig war oder eine subversive Zuagroaste im Staatsdienst. Horst Seehofer kennt zwar noch nicht einmal mehr den Antrag, vertraut aber wie immer auf Umfragen und Bürgerprotest - und tritt zurück. Der Landtag löst sich vor Überraschung auf.

Beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau bei Garmisch-Partenkirchen stößt Angela Merkel mit dem schlingernden Hollande in der Sommerloipe zusammen, hat einen Anfall von Tatendrang und Pragmatismus und nimmt sich vor, alle Gesetze und Gesetzesvorhaben zurückzunehmen, die außer der CSU niemand wollte - also das Betreuungsgeld und die Maut.

Im Oktober, 25 Jahre nach der Deutschen Wiedervereinigung, erklären StaatsrechtlerInnen, dass es nun an der Zeit sei, auch andere Verfassungsziele umzusetzen, wie Artikel 3: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Daraufhin gibt es wieder echte Montagsdemos, die integrieren, nicht ausgrenzen wollen. "Wir sind ein Volk" rufen Männer und Frauen in allen Städten, schieben gemeinsam Kinderwagen, beantragen Job-Sharing in Führungspositionen, fordern Parität für Parlamente, Ämter und Firmen. Die Aktion wächst, ein ARD-Brennpunkt folgt dem anderen und - immer noch beseelt vom neuen Pragmatismus - verkündet Merkel bei Anne Will:  Die Quote kommt in allen Bereichen. Und es soll schneller gehen als der Atomausstieg.


Wirtschaft: Schwarzer Dienstag 


Als der Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung Firmenpleiten, Kursabstürze und Unternehmensskandale untersucht, entdeckt man ein verhängnisvolles Datum: Sehr oft nahm das Unheil am 21. oder 22. April seinen Lauf - durch die Entscheidungen von Alphatieren, denen niemand widersprechen wollte. Bald wird der Grund erkannt: Alle weiblichen Führungskräfte waren zu diesem Zeitpunkt beim Global Female Leaders Summit in Berlin.



Gesellschaft: Geistreicher Aufstand


Der Tessy Riot bricht los: Barfüßige Frauen, maskiert mit dem Bildnis der Heiligen Teresa von Ávila, rocken die katholischen Kirchen der Welt mit dem Song "Der Himmel kann warten - wir nicht". Zum 500. Geburtstag der Ordensgründerin und Mystikerin fordern sie den Zugang zum Priesteramt. Dem Papst schenken sie einen Schlüssel, weil er noch immer meint "diese Tür ist zu", Jesus habe eben nur Männer zu Aposteln erwählt. Das neu entdeckte Evangelium von Maria Magdalena aber enthüllt: auch Argentinier und Bayern sollen nicht darunter gewesen sein.

"Feminist" und "Feministin" sind die Worte des Jahres. Denn endlich setzt sich die Einsicht durch, dass Feminismus schlicht bedeutet, dass man der Meinung ist, an der Gleichberechtigung von Mann und Frau muss noch gearbeitet werden. Es ist kein Club, keine Weltverschwörung - und es herrschen Demokratie und Meinungsvielfalt. Alle dürfen mitmachen von der Alice-Anhängerin bis zum Alphamädchen, ob helle oder dunkle Hautfarbe (und egal, wie viel man davon zeigt - solange es selbstbestimmt ist), FirmenchefIn oder PförtnerIn - auch Jungs und Männer. Der Hashtag zum Trend lautet #warumdennnicht


Wissenschaft und Technik: Pluto mit Hemdchen


Die NASA-Raumsonde New Horizons erreicht Pluto. Damit sich bei der Live-Übertragung aus dem Kontrollraum diesmal niemand um Kopf und Kragen bringt, gab's von der US-Raumfahrtbehörde einige Tage vorher ein par Tipps zur Kleiderordnung. Buzzfeed macht daraus ein Listicle mit zehn Tipps "This time no nudes, dudes!" Einer davon: Es gibt auch angezogene Comic-Heldinnen, die Mann aufs Hemd drucken kann, von Mafalda bis Kamala Khan alias Ms. Marvel.


Kultur: Spiel's noch einmal


Das Album "Billie + Edith" mit digital überarbeiteten Original-Songs schlägt alle Download-Rekorde. Zum 100. Geburtstag der US-amerikanischen Jazzsängerin Billie Holiday und der französischen Chansoniere Edith Piaf sponsert Ikea außerdem ein weltweit live-übertragenes Konzert unter dem Motto "zu schade fürs Regal", bei dem Hologramme der Künstlerinnen neben aktuellen Stars auftreten. Auch Conchita Wurst ist dabei, die kurz zuvor ihren Titel beim 60. Eurovision Song Contest in Wien verteidigt hat - einfach weil wir das hätten erfinden müssen, wäre es nicht schon passiert.


Sport: Frauschaften kicken die FIFA 


Real grass - or kiss my ass! Die solidarische Boykottandrohung der Spielerinnen zwingt die FIFA in die Knie. Die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen in Kanada findet nicht auf "zweitklassigem, diskriminierenden" Kunst- sondern auf echtem Rasen statt. Sepp Blatter boykottiert daraufhin die Spiele, was aber auch an den Korruptionsermittlungen des FBI und dem Auslieferungsabkommen mit Kanada liegen könnte. Am 5. Juli liegen sich die deutschen Frauen in Vancouver in den Armen, küssen den Pokal und ihre Partner oder Partnerinnen. Am Brandenburger Tor spielen Beißpony, Judith Holofernes und Elaiza. Helene Fischer ist tatsächlich atemlos und kann nicht singen, weshalb dann auch niemand mehr nachfragt, wer sie eigentlich eingeladen hat.


Medien I:  Es kommt anders als Mann denkt


Nur Frauen auf dem Podium -  und es geht nicht um Frauenzeitschriften oder die Quote, sondern um die Zukunft des Journalismus beim ersten Medienkongress des Jahres. Darauf angesprochen, antworteten die VeranstalterInnen: "Das war natürlich keine Absicht. Es hat sich so ergeben, wir haben einfach die besten Gesprächspartner für das Thema eingeladen. Dass da jetzt nur Frauen sitzen, darauf hat keiner geachtet." Sollte eine der Damen absagen, werde man aber gerne männlichen Ersatz suchen.

Das zermürbt die Herrenriegen in den Chefetagen der Verlage und Rundfunkhäuser endgültig. Die Damen von ProQuote und dem Journalistinnenbund sollen endlich Ruhe, die Herren aber keine Macht abgeben. Deshalb erweitern sie flugs die Führungsgremien und setzen "halt überall noch eine Frau rein". Selbst die Chefrunde der Süddeutschen Zeitung macht mit - und verkneift sich den Kommentar "erst Hoodie-, jetzt auch noch Muttijournalismus" aus Angst vor einem Shitstorm. Doch der Plan geht nicht auf: Die Ernannten geben keinesfalls die dankbare Quotenfrau, sondern fördern und befördern andere Journalistinnen. Deren Leitartikel und Kommentare bringen eine gesellschaftliche Grundsatzdebatte in Gang: Wie soll unsere Republik in zehn oder zwanzig Jahren aussehen, wie wollen Frauen und Männer miteinander leben? Harald Martenstein kündigt daraufhin bei Zeit und Tagesspiegel und schreibt mit Matthias Mattusek das Blog "Feministinnen auf dem Weg zur Weltherrschaft".

Der Bildzeitung laufen unterdes die LeserInnen weg. Chefredakteur Kai Diekmann, verlegt seine Identitätssuche vom Bart wieder ins Blatt und setzt den Hashtag #nomorepage3 um: Er verbannt die barbusigen Frauen aus seiner Zeitung. Statt dessen werden jetzt Breitmachermacker abgebildet - Männer, die breitbeinig in U-Bahnen, Zügen oder Talkshows sitzen und ihre Nachbarinnen in die Enge treiben. Ärzte und Psychologen erklären in Interviews einfühlsam und wissenschaftlich belegt, dass es bei einer normalen Sitzhaltung zu keinerlei Spätschäden kommt. Schon bald fordern sich Männer gegenseitig dazu auf, doch bitte die Beine ein wenig zusammenzunehmen.


Medien II: Auf- und AbsteigerInnen


Weil JournalistInnen-Bashing nun wieder out ist, bekommt Udo Ulfkotte das Kopp-Verlag-Gnadenbrot und moderiert fortan auf dem verlagseigenen Sender eine Talkshow zusammen mit Eva Hermann. Doch es kommen keine Gäste. Und so überteffen sich die beiden nur mit immer wirreren Verschwörungstheorien über "gekaufte Journalisten" und "stalinistische Lesbokratinnen".

Bei Gruner und Jahr bittet Verlagschefin Julia Jäkel alle Führungskräfte zum Geheimgespräch in eine verlassenen Redaktionsraum, lässt alle Handys einsammeln und erklärt: "Ja, die Menschen haben recht. Wir haben kein Haus der Inhalte gebaut, sondern eines der Hinterhalte. Ich habe mit der größten Entlassungsarie aller Zeiten zu diesem Elend beigetragen. Jetzt kloppt euch ohne mich!" Danach soll sie die Tür hinter sich zugeschlossen haben und verschwunden sein. Die Führungskräfte wurden erst nach zwei Tagen von einer Putzkraft aus ihrer misslichen Lage befreit. Augenzeugen wollen Julia Jäkel mit Mann und Kindern am Hamburger Flughafen gesehen haben. Ihre Namen tauchen aber auf keiner Passagierliste auf.

Alice Schwarzer hat sich in den Ruhestand nach Südfrankreich begeben. (Wie wohlverdient, das müssen die Steuerermittlungen noch ergeben.) Die Emma ist seitdem vielfältiger, bunter und frecher geworden. Doch sie hat neue Konkurrenz bekommen: Die bei der Brigitte entlassenen Redakteurinnen haben per Crowdfunding ein feministisches Online-Magazin gegründet. 2016 soll auch eine Print-Version erscheinen. Bei der Brigitte schieben die verbliebenen RedakteurInnen indes Überstunden, weil die Verlagsleitung krass unterschätzt hat, wie intensiv man neue AutorInnen betreuen muss.

Ja, so könnte es gewesen sein, an Silvester 2015 - oder vielleicht doch ganz anders?

Was sind eure Wünsche, Befürchtungen, Visionen, Einfälle, Träume für 2015! Erzählt uns davon!

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Nicht im Traum wäre ich ganz alleine auf all diese Einfälle gekommen. Besten Dank an alle, die mitgewirkt haben: Magdalena Köster, Laura Hennemann, Christine Olderdissen, Luise Loges, Constanze Bayer, Alexandra von Knobloch, Marlies Hesse, Tina Stadlmayer und alle, die ich vergessen haben sollte.

4 Kommentare

  1. Hammer! Um mal ein ziemlich phallisches Symbol zu gebrauchen. Großartig, wirklich. Ich habe mehrmals herzlich gelacht und dass, obwohl mir angesichts von PEGIDA und den Morden in Paris überhaupt nicht zum Lachen zumute ist. Aber das Humor eine Waffe ist,ist und bleibt wahr.Deshalb: Verliert ihn nicht!

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  2. Was da übrigens noch über die Chefrunde der Süddeutschen Zeitung zu erzählen wäre:

    Während die SZ-Herren sich mit iPhone am linken Ohr und Blackberry in der rechten Hand noch immer unglaublich wichtig finden, schreiben die neu in die Führungsriege aufgerückten Frauen schon Meinungs- und Hintergrundsstücke mit Tiefgang. Und weil es in München gerade Hirn vom Himmel geregnet hat, findet die Geschäftsleitung das super und entlässt alle, die mehr als ein Geschäftshandy haben.

    Die neuen Journalistinnen unterhalten sich derweil in der Mittagspause mit den SZ-Praktikanten und Praktikantinnen, denen ein paar Tränen der Rührung in die Suppe fallen, weil sie endlich nicht mehr wie Luft sondern wie Nachwuchs behandelt werden.

    Ja, auch das wäre so ein Traum für 2015...

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  3. Da sind wir ja am Zahn der Zeit. In New York läuft eine Aktion gegen Breitmachermacker: “Dude...stop the spread” Signs have been rolled out on train and metro carriages across the city as part of an effort to improve train etiquette.
    NoBreitmachermacker

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  4. Gratuliere, verspätet, weil erst heute mit tiefer Freude gelesen.... dieses Jahr kann also nur besser werden - prachtvolle Ideen, Spass! Merci für diesen Rückblick auf das Kommende.

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