Leipziger Buchmesse: 4 Tage, 4 Bücher.
Empfehlungen der Salonistas - interessante Neuerscheinungen von Frauen
Das Buch ist am 10. März bei Hoffmann und Campe erschienen und auch als E-Book erhältlich / Foto: Stadlmayer |
"Fifty Shades of Merkel" hat nichts mit Sex zu tun. Obwohl auf dem Cover x-fach die berühmte Merkel-Raute zu sehen ist, eine Geste, die für viele Feministinnen eine Vulva und damit Frauenmacht bedeutet. Das Konzept des Buches ist schlüssig: Julia Schramm beschreibt in 50 Kapiteln zahlreiche Facetten, aus denen sich die Person Merkel zusammensetzt - ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Die einzelnen Kapitel sind kurz und knackig, über jedem steht nur ein einziges Stichwort. Das macht die Lektüre einfach und unterhaltsam, manchmal gerät der Text etwas oberflächlich, aber insgesamt ist er doch recht interessant.
Das Buch kommt gerade zur rechten Zeit. Wegen ihrer Flüchtlingspolitik wird Merkel seit Monaten von ihren eigenen Parteifreund_innen und vielen Bürger_innen angefeindet, während viele Linke ihr plötzlich die Stange halten. Julia Schramm gehört zu denjenigen, die mit der Politik der CDU nichts am Hut haben, von der Persönlichkeit der Kanzlerin dennoch beeindruckt sind. Dennoch ist das Buch keine Eloge auf die Kanzlerin geworden. Immer dann, wenn eines der Fragmente zu positiv zu geraten droht, erinnert die Autorin daran, wie verhängnisvoll die Politik der Kanzlerin in den vergangenen Jahren war. Manchmal wird das dann etwas plakativ. Ab und zu sind Schramms Schlussabsätze auch einfach Schmonzes. Am Ende des Kapitels "Pfarrerstochter" schreibt sie zum Beispiel: "Vielleicht ist Merkel die neue Mutti des Protestantismus, vielleicht ist die Raute auch ein geheimes Dreifaltigkeitssymbol."
Julia Schramm schreibt regelmäßig in ihrem eigenen Merkel-Blog und hat eine Merkel-Kolumne in der Jungle World. Bis 2014 war sie Mitglied der Piratenpartei, saß zeitweise dort auch im Bundesvorstand. Heute arbeitet sie als Fachreferentin für Hate Speech bei der Amadeu Antonio Stiftung.
Das Widersprüchliche an Merkel arbeitet sie gut heraus
In ihrem Vorwort behauptet Schramm: "Angela Merkel ist eine schillernde Persönlichkeit" und schon möchte man ihr widersprechen. Merkel ist vielseitig, widersprüchlich und oft schwer zu durchschauen. Aber "zwielichtig", was ja auch in "schillernd" steckt, ist sie nicht. Das Widersprüchliche an Merkel, arbeitet die Autorin dann aber sehr gut heraus: "Naturwissenschaftlerin, Frau, kinderlos in zweiter Ehe verheiratet, nicht sonderlich religiös, führt sie eine christlich konservative Volkspartei." In den einzelnen Kapiteln des Buches analysiert Schramm diese Widersprüche auf kluge und nachvollziehbare Weise. Sie beschreibt die Kindheit und Jugend Merkels in der DDR, den Einfluss ihrer Mutter (die an der Volkshochschule in Templin unterrichtet), die Faszination, die der Westen und der westliche Freiheitsbegriff für Angela Merkel in ihrer Jugend hatten (und immer noch haben).
Interessant ist, wie positiv Julia Schramm, die sich selbst als Digital Native bezeichnet, Merkels Umgang mit den sozialen Medien und dem Internet beschreibt. Anerkennend stellt sie fest, dass Merkel in der "Internetikonographie" einen festen Platz habe "neben Katzen, Hitler und Meister Yoda". In ihre Kanzlerinnenschaft falle das Großwerden sozialer Netzwerke mit den dazugehörigen gesellschaftlichen Konsequenzen", aber sie sei im Gegensatz zu Edmund Stoiber im Netz nie zum Gespött gemacht worden. Gegen Ende ihre Buches widmet Schramm den "integralen Zutaten" von Merkels Handeln jeweils ein Kapitel: Ironie, Humor, Netzwerke und Schweigen. Sehr treffend beschreibt sie darin, mit welchen Mitteln es der einst unbekannten Physikerin aus der DDR gelang, zur mächtigsten Frau der Welt zu werden.
Warum hat sich die Autorin nicht mit Merkel getroffen?
Julia Schramm gehört zur Generation der netzaffinen Journalist_innen, die manchmal nicht auf die Idee kommen, dass es neben dem Internet noch andere Wege der Recherche gibt. So behauptet sie immer wieder, dieses und jenes sei "nicht bekannt", so zum Beispiel, wer die Stelle einer Verhaltensforscher_in im Kanzlerinnenamt bekommen habe. Mit einem einfachen Anruf in der Pressestelle (oder einer E-Mail) wäre das Mysterium leicht zu lösen gewesen.
Warum erzählt sie nichts von ihrem Treffen mit Merkels Mutter? Warum hat sie nicht mit Merkel-Vertrauten wie Annette Schavan geredet oder, wenn doch, warum schreibt sie darüber nichts? Über allem steht die Frage: Warum hat sie sich nicht mit Angela Merkel getroffen? Die Kanzlerin müsste doch größtes Interesse daran haben, mit einer jungen, netzaffinen Journalistin zu reden. Wenn nicht, wäre das auch interessant und würde Schramms positives Bild von der Öffentlichkeitsarbeit der Kanzlerin in Frage stellen. Vielleicht holt die Autorin dieses Versäumnis bei der Recherche für ihre Doktorarbeit über die Dialektik des Privaten nach. Darauf freuen wir uns schon.
Julia Schramm: Fifty Shades of Merkel, Hoffmann und Campe, 2016, 15 Euro
Morgen rezensiert Luise Loges das Buch "Emanzipation im Islam - eine Abrechnung mit ihren Feinden" von Sineb el Masrar.
Ich habe das Buch bereits gelesen und bin nicht nur in Anbetracht dieser Buchbesprechung und der darin thematisierten eklatanten Mängel des Buches mehr als Erstaunt, dass die Autorin nach der lektüre dieses Buches ernsthaft eine Leseempfehlung ausspricht...
AntwortenLöschenIch finde das die "herausgerabeiteten Wiedersprüche der Kanzlerin" nicht über Behauptungen hinausgehen... geradezu ledeglich situative Bewertungen darstellen. Das keine vernünftige Recherche erfolgte damit abzutun,dass es sich um eine netzaffine Autorin handelt finde ich auch ziemlich, naja wohlwollend. ich hätte einfach gesagt, die Autorin war schlicht ziemlich Faul, was die vorarbeit zu ihrem Buch angeht...