Sonntag, 17. August 2008

Unrealistische (Hetero-) Sexualität in den Medien

VON BRITTA ERLEMANN

„Die Sexualität muß also keineswegs ein Ort der Geborgenheit in der Paarbeziehung sein, es ist ein Ort, der vielfältige Ängste hervorrufen kann. Mit diesem Satz schließt die Professorin und Psychotherapeutin Verena Kast das Kapitel Sexualität – zwischen Geborgenheit und Angst in ihrem Buch Vom Sinn der Angst. Und sie spricht dabei nicht etwa ausdrücklich von sexueller Gewalt in Beziehungen. Kast geht es um die Kluft zwischen dem Bild von Sexualität in den Medien und der real erlebten und gelebten. Und das verunsichert: „Aus den Medien und den Illustrierten gewinnt man die Botschaft, dass fast jeder und fast jede – außer man selbst – ständig ein aufregendes, reiches Sexualleben hat“, beruft sie sich auf das Buch Sexwende. Liebe in den 90ern. „Zudem erhärtet sich der Eindruck, dass das auch das Allerwichtigste ist im Leben“, schreibt sie weiter. Demgegenüber stellt sie Umfrageergebnisse, nach denen sich sexuelle Lustlosigkeit breit macht. So hätten siebzig Prozent der Frauen, die länger als fünf Jahre verheiratet sind, außerehelichen Geschlechtsverkehr (Männer 75 Prozent). 76 Prozent dieser Frauen gaben als Grund die Entfremdung von ihren Ehemännern an, 21 Prozent, dass sie zuhause nicht genügend oder nur unbefriedigenden Sex bekommen (Quelle: Frauen und Liebe. Der neue Hite-Report, 1988).

leere (seelische und beziehungsmäßige ?) Innenwelt

Der Mythos von Sexualität, den die Medien entwerfen, suggerieren nach Kast „Wenn ich mich diesen Bildern gemäß verhalte, bekomme ich das gewünschte, dann habe ich die Lebensgefühle, die die Medien vermitteln.“ Es fände dabei eine Entleerung der Innenwelt in die Außenwelt statt. „Symbol wäre die Sexualität für lustvolle, angeregte, interessierte gegenseitige Durchdringung von zwei Welten, für Prozesse des Sich-Kennens und Erkanntwerdens, verbunden mit der Erfahrung und der Sehnsucht von Lebendigkeit, geglücktem Leben, Ganzheit, Identität und Entgrenzung, also letztlich einer Verbindung mit etwas, das über uns hinausgeht.“ Diese Fiktion von Sexualität in der Medienwelt ist nach den Worten der Professorin an der Universität Zürich fast ausschließlich heterosexueller Natur. Der normalerweise unternommene Versuch, Realität und Fantasie einander an zu nähern könne im Leiden enden in dem Moment, wo das nicht gelingt. Oder in Spaltung. Dann seien Fiktion und Realität eben unvereinbar. Sehnsucht hin oder her. (Heißt für manche/n auch Leiden oder?, d.A.) „Eine Kultur der Lust wird (in den Medien) kaum dargestellt, auch keine Dialoge der Liebe. Ein Gebiet also, das geradezu die Ängste herausfordert, schaut man genau hin, und das auch eine neue Beziehungskunst herausfordern würde.“ (Kast)

Frauen: Böses Erwachen

Zudem seien die sexuellen Bedürfnisse von Frauen und Männern nicht dieselben. „Es ist empirisch bewiesen, dass Frauen, die ökonomisch abhängig sind, sich sexuell anzupassen, sich selbst verleugnen“, schreibt sie, sich auf Sexwende beziehend. Mögliche Ziele nach Kast: Nähe, ein gutes Selbstwertgefühl, Geborgenheit, ein Zuhause. „Das Erwachen für die Frauen kommt nach Hagemann-White dann, wenn `Liebessehnsucht und Aufopferungsphantasien enttäuscht sind.´“ Es sei schwer zu sagen, ob der Grund für den (oben genannten) außerehelichen Sex darin liege, dass sich die Frauen in der Ehe emotional allein gelassen und wenig geachtet fühlen, dass sie also in einer Außenbeziehung einen Menschen fänden, der sie mehr beachtet, sie ernst nimmt und ihnen das Gefühl gibt, begehrenswert zu sein, oder ob es bei den Frauen um das Zurückgewinnen der eigenen Sexualität gehe, jenseits der sexuellen Anpassung an den Partner.

Konsequenz aus Kasts Betrachtungen der Sexualität in den Medien ist, dass aus dieser Fiktion Menschen nicht wirklich lernen können, wie sie Liebe und Sexualität leben können oder zumindest kaum. Fragt sich, welchen Zweck dieses Spiel mit den menschlichen Sehnsüchten, der menschliche Fantasie hat. Kommerz? Patriarchale Wert- und Machterhaltung? Gezielte Volksverdummung nach dem Motto Sex ist das (süchtigmachende!) Opium für´s Volk? Fakt ist: Wir brauchen (nicht nur) demnach eine neue Sexual- und Erotikkultur in den Medien. Basis: Respekt, Gleichberechtigung, Kommunikation, Einfühlung!

Verena Kast, Vom Sinn der Angst – Wie Ängste sich festsetzen und wie sie sich verwandeln lassen, Freiburg, 1996/2007

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