Willkommen im Leben: Ein Blick auf die Arbeit der Hebammen 2015. Foto: USAF, public domain |
Am heutigen 5. Mai ist internationaler Hebammentag. Und die Situation der Gebärenden und der Hebammen ist - auch wenn man es nicht mehr hören mag - weiterhin desolat: Haftpflichtprämien von jährlich rund 5.100 Euro für die Geburtshilfe (ab kommendem Sommer rund 6.300 Euro); womöglich bald gar keine Verlängerung dieser Haftpflichtversicherungsverträge; und als Tropfen auf das volle Fass sollen bald Hausgeburten schon bei der kleinsten Abweichung von der Bilderbuch-Schwangerschaft ausgeschlossen werden.
Was bisher geschah: Vor einem Jahr habe ich zum Hebammentag 2014 durchgerechnet, was die stetig steigende Haftpflichtprämie für die Hebammen bedeutet und wie der Vergütungsausgleich aussieht, von dem der GKV-Spitzenverband (der Dachverband der deutschen Krankenversicherungen) spricht.
Mein damaliges Fazit: Eine Beleghebamme muss 100 Geburten pro Jahr begleiten, damit die 2014 gestiegene Versicherungsprämie durch die gestiegene Vergütung abgefangen wird. Ich fand das unrealistisch viel.
Was ich damals versäumt hatte: Meine Rechnung dem GKV-Spitzenverband für eine Stellungnahme vorzulegen. Das habe ich nun nachgeholt und eine umfassende Antwort erhalten.
"100 Geburten pro Jahr sind realistisch"
Unter anderem lautet die Antwort (deren kompletter Wortlaut sich hier nachlesen lässt):
"Die Hebammenverbände sind anfangs bei den Verhandlungen mit uns über einen Ausgleich der Steigerung der Haftpflichtversicherung bei ihrer Berechnung von knapp 80 Geburten p. a. durch Beleghebammen ausgegangen. Zwischen den Vertragspartnern geeint wurde im Laufe der Verhandlungen der realistische Wert von ca. 100 Geburten p. a. durch Beleghebammen. Auf diese Angaben beziehen sich dann auch die Berechnungen."
So schließt sich der Kreis: Offenbar habe ich letztes Jahr die Rechnung rückwärts gemacht, die GKV-Spitzenverband und Hebammenverbände vorwärts gemacht hatten. Bei der Steigerung der Vergütung war es also nicht willkürlich zu 8,50 Euro pro Geburt gekommen, sondern die 100 Geburten, die ich unrealistisch viele nannte, waren tatsächlich die Grundlage der Berechnung.
Wie der GKV-Spitzenverband dazu kommt, in seiner Antwort diese 100 Geburten den "realistischen Wert" zu nennen, wird mir nicht klar. Für mich steht weiterhin die Zahl von 63 Geburten pro Jahr im Raum, die eine Hebamme laut Statistischem Bundesamt im Schnitt begleitet.
Wie der Hebammenverband diese Verhandlungen in Erinnerung hat und auf welcher Grundlage die 80 und die 100 Geburten pro Jahr ins Spiel kamen, habe ich dort kurzfristig angefragt. Eine Antwort steht noch aus; ich werde sie an dieser Stelle einfügen, sobald ich sie habe.
17 Geburten ergeben 0 Euro Verdienst
Weiter schreibt mir der GKV-Spitzenverband:
"Eine Beleghebamme braucht im Moment 17 Geburten, um die gestiegene Haftpflichtversicherung zu finanzieren."
Diese Art Rechnung finde ich immer wieder; auch beim Hebammenverband: Wie viele Geburten begleitet eine Hebamme, bis sie ihre Haftpflichtprämie wieder drin hat. Ich denke mir jedes Mal: Was für ein Quatsch, das überhaupt auszurechnen. Dass man sich überhaupt traut auszusprechen, dass eine Hebamme eine ganze Weile völlig umsonst arbeitet, finde ich ein starkes Stück. Und 17 Geburten sind kein Klacks.
Damit zu einem dritten Ausschnitt der Antwort des GKV-Spitzenverbands. Hier wird meine weitere Rechnung kritisiert, nach der eine Hebamme der Gebärenden im Schnitt 11 Stunden zur Seite steht und die 100-Geburten-pro-Jahr-Hebamme demnach 1100 Stunden lang nur Geburten betreuen würde. Hierzu schreibt die Sprecherin des GKV-Spitzenverbands:
"Da Beleghebammen während des Geburtsbeginns (Latenzphase) mehrere Versicherte betreuen können, sind durchaus viel mehr Geburtenabrechnungen zum gleichen Zeitpunkt möglich als Sie in Ihrer Rechnung aufstellen."
Die Latenzphase ist die Phase der ersten, unregelmäßigen und noch nicht sehr schmerzhaften Wehen, die eine Frau durchaus auch alleine bewältigen kann. Ich verstehe die 11 Stunden so, dass diese Zeit nicht mitgerechnet wurde, sondern nur jene, die die Hebamme tatsächlich der Gebärenden zur Seite steht; aber vielleicht liege ich falsch.
Der Arbeitstag verlängert sich spontan um 11 Stunden
Weiter allerdings hat der GKV-Spitzenverband in einer Korrektur meiner Rechnung recht:
"Wenn die Geburt länger als acht Stunden vor der Geburt gedauert hat, dann besteht für die Hebamme die Möglichkeit zusätzlich noch "Hilfe bei Wehen" abzurechnen."
Laut diesem Dokument kann die Beleghebamme in diesem Fall tatsächlich 16,89 Euro pro angefangener halber Stunde abrechnen, macht rund 34 Euro pro Stunde. Für eine selbstständige Tätigkeit wohlgemerkt, für die man ganz anders kalkulieren muss als für Angestellte.
Wir dürfen uns an dieser Stelle nun kurz vor Augen führen, was solch eine 11-Stunden-Arbeit mit vollem Körpereinsatz und reichlich Verantwortung für zwei Menschenleben bedeutet. 11 Stunden, die auch am Nachmittag beginnen können, nachdem die Hebamme also schon einen Geburtsvorbereitungskurs gegeben, ihre Buchhaltung auf den neuesten Stand gebracht und einen Wochenbett-Hausbesuch gemacht hat. Geburten beginnen auch gerne mal mitten in der Nacht. Mal ehrlich: 34 Euro freiberufliches Stundenhonorar, um sagen wir nachts um zwei Uhr aufzustehen und einer Frau bei den wohl stärksten Schmerzen ihres Lebens fachkundig zu helfen – auf diesen Deal lassen sich wahrlich nur Hebammen ein.
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