Mittwoch, 22. Juni 2016

Kleine Widerrede: Ein Denkmal für das Nein!

Mit unschöner Regelmäßigkeit lesen, sehen oder hören wir in den Medien einen Beitrag, über den wir nur den Kopf schütteln können; einen Beitrag, dem wir nicht das letzte Wort lassen wollen. Dann hauen wir in die Tastatur und schreiben eine Widerrede.

Warum dem echten "Nein!" ein Denkmal gebührt. (Foto: Martin Abegglen, CC-BY-SA)

Liebe Svenja Flaßpöhler,

Sie haben einen Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung geschrieben. Darin prangern sie das "Nein" an. Sie decken seine Verwicklung in patriarchale Zwecke auf. Sie zitieren Rousseau, den alten Chauvi, der das "Nein" der Frau als wesentlichen Bestandteil der ihr ziemenden Scham und Zurückhaltung lobte, das kokettierende "Nein" als "Widerstand gegen die Lust des Mannes".

Ja, es mag sein, dass wir Feministinnen, die wir gerade "Nein heißt Nein!" rufen, diese epochale Facette des "Neins" ausblenden. Doch die Menschheitsgeschichte umfasst weit mehr als Rousseau und seine Kumpane. Wenn Sie meinen, das "Nein" sei patriarchal eingefärbt, übersehen Sie seine Größe.

Denn das "Nein" ist nicht patriarchal; das "Nein" ist archaisch.

Sie glauben das nicht? Dann verbringen Sie mal einen Tag mit einem Kleinkind. Das "Nein" ist elementarer Bestandteil der sogenannten Trotzphase. "Nein!" zum Brokkoli. "Nein!" zur Winterjacke. Und "NEIN!" zur Zahnbürste. Mit jedem "Nein" proben Kinder den Mikro-Aufstand gegen System und Konvention und gegen den Willen anderer. Und meist verteidigen sie mit dem "Nein" ihre - aufgemerkt - körperliche Selbstbestimmtheit.

Wer als Kind das "Nein" nicht gelernt hat, wer sich als Erwachsener schwer tut, "Nein" zu sagen, hat einen Freifahrtschein Richtung Burnout oder Depression. Nicht ohne Grund helfen und üben Therapeut/innen mit ihren Patienten und Patientinnen, das befreiende "Nein" über die Lippen kommen zu lassen.

Dass demnach das kindliche "Nein" wichtig für die Entwicklung und gut für die Psyche ist, sickert derzeit in das Bewusstsein der Erziehungsberechtigten. Entsprechend erfährt die kindliche Trotzphase eine Umbenennung; zu: Autonomiephase.

Autonomie, da klingelt natürlich etwas. Sie, Frau Flaßpöhler, schreiben von der "Ambivalenz des Nein, sein[em] Schillern zwischen Autonomie und Fremdbestimmung." Aber da schmeißen Sie zwei "Neins" in einen Topf.

Das Rousseausche "Nein" ist nämlich ein Betrüger in schlechter Maskierung: Es ist ein "(nein), hihi". Das archaische "Nein!“ ist authentisch und ehrlich. Rousseaus "(nein)" ist das beides nicht. Das archaische "Nein!" kommt aus dem eigenen Herzen. Rousseaus "(nein)" entspringt der Erwartung von außen. Das archaische "Nein!" gehört der/dem Sprechenden, nicht der/dem Angesprochenen. Das archaische "Nein!" ist das Original.

Wer übrigens meint, das falsche und das echte "Nein" seien leicht zu verwechseln, der/die lügt sich entweder selbst in die Tasche oder sollte ein Safeword vereinbaren.

Ganz klar aber ist: Das "Nein" gehört nicht an den Pranger; dem "Nein" gehört ein Denkmal gesetzt.

P.S.: Über "Ja heißt Ja" reden wir dann vielleicht ein andermal?

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