Freitag, 10. November 2017

Wenn Feministinnen älter werden

von Christine Olderdissen

Das Frauenzeichen - in Vergessenheit geratenes Symbol der Frauenbewegung / Bild: Christine Olderdissen


Vor wenigen Tagen entfuhr einer Freundin in einer Runde von Feministinnen 55+ ein Stoßseufzer. Sie bedauerte zu spät geboren zu sein. Die wilden Aufbruchjahre der Frauenbewegung hatte sie, Jahrgang 64 und aufgewachsen in Berlin-Kreuzberg, verpasst. Die Entstehung der Frauenzentren, Frauenkneipen, Frauenparties in Unimensas, wo angeblich komplett befreit oben ohne getanzt wurde, für all das war sie zu jung gewesen.

Just zu diesem Zeitpunkt startete die Debatte um den Artikel von Charlotte Wiedemann, in meiner Twittertimeline, im jb und hier unter den Kolleginnen im Watch-Salon. Meine Gedanken zu "Selbstgewiss und radikal. Wie geht Feminismus ab 60?" gingen aber in eine andere Richtung. Beim ersten Satz: „Wie können ältere Frauen Feministinnen sein“ musste ich schmunzeln – die Frauenbewegten der ersten Stunde sind jetzt diese „älteren Frauen“. Wie ist das, als Zuschauerin und Akteurin einer sozialen Bewegung älter zu werden, fragte ich mich. Kurz, was habe ich mit denen zu tun?

Meine Geschichte beginnt im Zeitschriftenregal eines Lebensmittelhändlers in einer schwäbischen Kleinstadt. Während ich als Teenager auf bessere Zeiten wartete, fand ich neben Brigitte und Bravo die feministische Zeitschrift Courage. Ich habe sie, glaube ich, von der ersten Ausgabe 1977 an gelesen. Ein zutiefst prägendes Erlebnis.
  
Als ich Anfang der 80iger endlich in Westberlin ankam, war es eine Riesenenttäuschung. Die Frauen der ersten Stunde begegneten uns Jüngeren mit enormer Arroganz. Politisch unklug wollten sie nicht noch einmal die Basics des Feminismus mit uns diskutieren, sie erkannten nicht die Chance, uns zu Mitstreiterinnen heranzuziehen. Die von mir mit Spannung erwartete Frauenbewegung war dabei, mit der Gründung von allen möglichen feministischen Projekten Psychosozialarbeit zu machen und damit das System zu reparieren, statt das Patriarchat bei seinen strukturellen Problemen zu packen. Irritiert beobachtete ich, wie andere orientierungslos von der Politik in die Spiritualität, in eine neue Innerlichkeit glitten. Wenigstens befreiten sich die Lesben aus der insoweit indifferenten Frauenbewegung und begannen für ihre Sichtbarkeit zu kämpfen, blieben aber immer flammende Feministinnen.

Meine Freundinnen und ich, wir studierten und diskutierten, waren radikal und unverschämt, und gehörten zur Berliner Frauenszene. Während wir in den Beruf einstiegen, ging die Saat der Forderung nach Gleichberechtigung auf. Über die Jahrzehnte verbreitete sich der Gedanke der gleichen Teilhabe bis in bürgerliche Berufe hinein und manch eine von uns machte mit ihrem Feminismus Karriere in etablierten Institutionen. Weit jenseits unserer Frauenszene gibt es viele spannende Ansätze, bis heute. Ein unsichtbares Spinnennetz wurde gewoben – und es ist viel erreicht worden, wenngleich wir noch lange nicht am Ziel sind. Und das alles zeitweilig unbemerkt in jenen bleiernen Jahren, wo das Wort Feministin zum Schimpfwort verkam. Mit blutenden Herzen mussten wir erleben, dass die Generation nach uns das F-Wort nicht mehr aussprechen wollte.


Das geschmähte F-Wort wird hip


Vor gefühlt fünf, sechs Jahren begann ein wunderbares Revival des Feminismus. Mit unbändiger Freude beobachte ich wie im Netz, in neuen Medienprojekten wie beispielsweise dem Missy Magazine, von jungen Feministinnen ein Neustart gewagt wird. Ganz besonders freue ich mich über Jüngere wie zum Beispiel Margarete Stokowski, die sich deutlich in der Nachfolge von feministischen Vordenkerinnen der ersten Stunde sieht, kenntnisreich aus deren Standardwerken zitiert und die Ideen der Frauenbewegung weiterdenkt.

Ein wenig unglücklich aber bin ich, wenn ich auf ältere Feministinnen treffe, Frauen in ihren Sechzigern, die manchmal allen Ernstes beklagen, dass es keine Kontinuität und keinen Feminismus mehr gäbe. Ohne Interesse am digitalen Leben entgeht ihnen alles, was sich beispielsweise in meiner Filterbubble bei Twitter und Facebook jeden Tag an Feminismen tummelt. Die vielen Links, die bei mir aufpoppen und mit denen ich erleben darf, dass sich so so so viele weltweit für die Sache der Frauen engagieren. Die Teilhabe am politischen Diskurs muss aber nicht zwingend digital sein. Mit dem neuen Hype finden Texte zum Feminismus auch in Mainstreammedien Raum, mehr als zu den Zeiten unserer frauenbewegten Kämpfe. Dazu jede Menge Bücher, Filme, Konferenzen, Veranstaltungen jeder Art. Da wünsche ich mir den Austausch, lasst uns generationenübergreifend miteinander ins Gespräch kommen und voneinander lernen. Wann, wenn nicht jetzt.


So begann die Diskussion im Watch-Salon:
"Feministisch älter werden"

Dann noch das:

"Wie wir wurden, was wir sind. Lesben im Alter"
7. Bundesweite Fachtagung Lesben und Alter
17./19.11.2019, Berlin

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