Binnen-I, Gender-Gap, Beidnennung und Gendersternchen - Es gibt vielerlei Vorschläge, um geschlechtergerecht zu formulieren. Am 28. Juni geht www.genderleicht.de an den Start.Das Webprojekt des Journalistinnenbundes will insbesondere Medienschaffenden Orientierung beim diskriminierungsfreien Schreiben wie auch in der Genderdebatte bieten.
"Chancengleichheit steht im Vordergrund." Kommunikationstrainerin Corinna Waffender / Foto: Barbara Dietl |
Corinna Waffender hat ein feines Gespür für Sprache. Als Schriftstellerin schreibt sie Kriminalromane. Als Kommunikationstrainerin schult sie Verwaltungen im gendersensiblen Schreiben. In einem größeren, gemeinsamen Textprojekt war sie vor Jahren meine Lektorin und wir waren uns schnell einig, dass wir geschlechtergerecht schreiben wollen, ohne dass es als „gegendert“ auffällt. Ich habe viel von ihr gelernt - und konnte von diesem Wissen in meiner Arbeit als Projektleiterin im Team Genderleicht profitieren.
„Gendern macht die Texte sperrig“ ist oft gehörte Kritik. Kannst du das entkräften?
Gendern? Du meinst sprachliche Gleichbehandlung, oder? Ich mag das Wort lieber, weil es beschreibt, worum es geht. Wir wollen ja keine sozialen Geschlechter konstruieren oder dekonstruieren, sondern Vielfalt in Texten sichtbar machen. Ich schule die meisten Unternehmen nach Sprachstandards, die in den Prinzipen des Gendermainstreaming wurzeln: Da steht einfach Chancengleichheit im Vordergrund. Und was das Sperrige angeht: „Gendern“ wie du es nennst, will gelernt sein, denn unsere Sprache folgt traditionell dem generischen Maskulinum.
Apropos generisches Maskulinum. Wo bleiben die Frauen?
Das generische Maskulinum, also die männliche Form, wird allgemeingültig genutzt. Bedeutet: Wenn wir über mehr als eine Person sprechen, sind plötzlich alle männlich. An dieser Stelle heißt es umdenken. Wobei Umdenken nicht Spießumdrehen meint. Ich will nicht auf Teufel komm raus mehr Frauen in Texte stopfen. Ich will zeigen, dass alle möglichen Geschlechter in allen gesellschaftlichen Gruppen vertreten sind. Arbeitgeber? Politiker? Ärzte? Da fehlt was, denn Bilder entstehen durch Sprache im Kopf.
Journalistische Texte haben besondere Herausforderungen. Wir sollen Passivkonstruktionen vermeiden und Personen nennen: "Mehr Geld für Rentner". Gegendert führt das zu Doppelnennungen: "Rentnerinnen und Rentner" oder zum Gendersternchen: "Rentner*innen bekommen mehr Geld". Die Mainstreammedien lehnen solche Wortzusätze ab. Was ist dein Tipp?
Schreib doch einfach über die Person, die du meinst. Sie hat hat doch meistens ein Geschlecht. Und wenn nicht, schreibst du eben das. Wenn es zwei Leute sind, haben sie gleiche oder unterschiedliche Geschlechter. Doppelformen sind kein hässliches Entlein in der Sprache. Sie sind am richtigen Ort einfach präzise. Und wenn es um den allgemeinen Plural geht, sind nicht mehr die einzelnen Leute wichtig, sondern, das, was sie gemeinsam haben. Deshalb ist es ja eine Gruppe. Und gutes journalistisches Handwerk weiß genau, wie das auch ohne Berufsbezeichnungen zu beschreiben ist. Verbal, zum Beispiel. Dann haben wir auch weniger komplizierte Nominalisierungen, die Kompetenzverdacht erwecken sollen.
Verstehe: "Wer in Rente ist, kann sich über mehr Geld freuen."
„So klingen gendersensible Texte gut“ hast du deinen gut besuchten Workshop beim Herbsttreffen der Medienfrauen 2017 genannt. Was konntest du den Journalistinnen mit auf den Weg gegeben?
Nicht alles über die Leute zu beschreiben, sondern Geschichten zu erzählen. Ich schreibe ja auch Krimis. Wenn ich den Plot über die Figuren aufrollen würde, die töten, wäre ich schnell fertig. Es geht doch um die Story, das haben wir in unserer Zunft doch gelernt. Öfter das „Was“ in den Blick nehmen als das „Wer“ – dann geht’s auch direkter zum Geschehen. Heute gehört übrigens auch der „Genderstern“ ins Repertoire – er setzt sich an vielen Stellen seit Ende 2018 durch. Wir haben ja seitdem ein neues Personenstandsgesetz und das "Dritte Geschlecht" ist endlich gesetzlich anerkannt.
Marlies Krämer kämpft mit allen rechtlichen Mitteln darum, in den Formularen ihrer Sparkasse als Kundin und nicht – mitgemeint – als Kunde angesprochen zu werden. Du hast Erfahrung mit dem gendergerechten Texten von Formularen. Welche Tipps hättest du für die Sparkasse?
Das Optimieren von serviceorientierten Texten heißt im digitalen Zeitalter, Personen direkt anzusprechen. Statt über Menschen zu schreiben, machen wir sie zum Gegenüber. Und wenn die Sparkasse in ihren Formularen Frau Krämer konsequent mit „Sie“ anspricht, dann ist ihr Geschlecht egal. Funktioniert übrigens auch in rechtssicheren Formularen und im Datenschutz. Liest sich prima und entspricht den Standards verständlicher Verwaltungssprache.
Corinna, ich danke für das Gespräch.
* * *
genderleicht.de
Um mehr Medienschaffenden das nötige Handwerkszeug für qualitätsvolle und gendersensible Berichterstattung bereitzustellen, wird der Journalistinnenbund auf seiner Jahrestagung vom 28. bis zum 30. Juni 2019 in Berlin das Portal www.genderleicht.de starten.
Genderleicht.de ist ein Serviceangebot für Journalistinnen und Journalisten sowie für alle anderen, die Texte schreiben aber auch fotografieren, Audios oder Videos produzieren wollen. Gendersensible Medienarbeit beginnt mit der Recherche. Das Portal bietet Orientierung, schlagkräftige Argumente, fachlichen Rat und praktische Tools.
Anmeldungen zur Fachtagung sind noch möglich.
Na richtig "Orientierung" gibt die Seite ja nicht. Da sind andere Ressourcen schon viel weiter; auf http://www.gendern.de findet man z.B. schon ein Wörterbuch mit 5.000 gegenderten Begriffen und nicht nur einen Haufen allgemeiner Tipps.
AntwortenLöschenHallo Beth,
AntwortenLöschenschon gesehen: Die Schreibtipps auf Genderleicht
https://www.genderleicht.de/tipps-tools/ - auch zum Download!
oder das Textlabor - hier diskutiert das Team Genderleicht kniffelige Textfragen, die beim Gendern entstehen. https://www.genderleicht.de/textlabor/