Mittwoch, 9. Dezember 2020

Konkurrenz für das Alphamännchen? Eine kritische Bilanz alter und neuer Geschlechterrepräsentanz

Buchbesprechung von Gastautorin Inge von Bönninghausen

Run auf's Amt: Politikkarriere dank Quote, warum nicht?! / Foto: Flo Karr unsplash.com

Manuela Schwesig tut es, Karolin Kebekus tut es und auch Caren Miosga tut es. 40 erfolgreiche Frauen sprechen „Ich bin eine Quotenfrau“. Den Igittsatz  wollen sie  enttabuisieren. Bei der Multimediaaktion von Stern.de im November 2020 sind sie zu hören und zu sehen, rechtzeitig zur Koalitionsvereinbarung über die Quote für Unternehmensvorstände.

Die richtige Zeit auch für das Buch unserer Kollegin Dorothee Beck, in dem sie gemeinsam mit Annette Henninger wissenschaftliche Beiträge und Interviews mit Politikerinnen zur Quote herausgegeben hat. Der Sammelband „Konkurrenz für das Alphamännchen“ basiert auf einem Workshop an der Philipps-Universität Marburg im Jahr 2018 mit Sozialwissenschaftlerinnen und Politikerinnen. Letztere wurden für das Buch noch einmal interviewt.


Quoten in der Politik und darüber hinaus

Petra Ahrens und Petra Meier geben in ihrem Beitrag  einen weltweiten Überblick über Geschlechterquoten in Parteien und bei Wahlen. Sie analysieren die Wirksamkeit der in der Ausgestaltung durchaus unterschiedlichen Quotensysteme und diskutieren Nachfolge- bzw. Erweiterungsmodelle. So hat zum Beispiel Norwegen seine Quote von 40% nach einigen Jahren auf 50% erhöht. Über die Repräsentanz von Frauen in Parlamenten hinaus diskutiert dieser Beitrag auch, ob Quoten tauglich sein können für langfristige Veränderungen der politischen Kultur. Einen Ansatz sehen die Autorinnen darin, dass die  Quotendebatte an sich schon von der Politik ausstrahlt in andere gesellschaftliche Bereiche. Ein Beweis sind für mich die vielen Pro Quote Initiativen. ProQuote Medien, Pro Quote Medizin, Pro Quote Film, Pro Quote Bühne …


Bremsen für Geschlechterparität


Was die Quote für eine Politikerinnenkarriere bedeuten kann, erzählt im folgenden Interview Sigrid Isser, stellvertretende Vorsitzende der Frauen Union und Vorsitzende des hessischen Landes-FrauenRats. 

Ihr Weg begann im Elternbeirat der Kita, führte von da aus in die CDU und in diverse Gremien auf kommunaler und Landesebene. Ihrer Erfahrung nach spielt die Quote im Ehrenamt kaum eine Rolle, ist aber umso wichtiger, wenn es um Mandate geht. Das CDU Quorum hält sie für wenig wirksam, weil es mit nur jedem dritten Platz auf Wahllisten zu schwach ist und keine Sanktionen vorsieht. Sie möchte eine 50:50 Quote, weist aber auch darauf hin, dass die Unterrepräsentanz von Frauen in Parlamenten vor allem durch die männliche Dominanz bei den Direktmandaten entsteht. Je stärker sie zum Zuge kommen, desto unbedeutender werde die Liste. Diese dem Wahlverfahren inhärente Bremse für Frauen zum Vorteil für Männer wagt bisher keine Partei anzugehen.

 

Migrantinnen werden weniger diskriminiert als Frauen ohne Migrationshintergrund

In einem weiteren Beitrag präsentiert Elke Wiechmann Ergebnisse einer Studie, die die Repräsentanz von Migrantinnen im Verhältnis zu Migranten und zu Frauen/Männern ohne Migrationshintergrund in kommunalen Parlamenten untersucht hat. Weil die Anzahl von Migrant:innen unter Kreistagsabgeordneten und Stadtverordneten sehr überschaubar ist, konnten die Statistiken mit besonders vielen Interviews unterlegt werden. Das brachte die für mich überraschende Erkenntnis, dass Migrantinnen die Minderheit in der Minderheit Frauen im Kampf um Listenplätze weniger diskriminiert werden als Frauen ohne Migrationshintergrund. Im Gegenteil, sie profitieren von den in Parteien festgelegten Frauenquoten und zusätzlich von einer informell erwünschten Berücksichtigung von Migrant:innen. Ein zweifach wirksamer Bonus. Und das verringert die Konkurrenz für männliche Aspiranten. 


Ohne Quote gehen viele Talente verloren

Die Doppelquote wird im anschließenden Interview mit der in Kalkutta geborenen Kommunalpolitikerin Sitra Heide thematisiert. Fazit ihrer Erfahrungen ist, dass die Politik mehr Probleme mit dem Merkmal Frau hat als mit dem Merkmal Migrantin. Ihr macht Sorge, dass ohne Quote viele Talente verloren gehen. Ein selten gehörtes Argument. Und so ist auch sie eine der nicht wenigen Frauen, die bei der Quote vom Saulus zum Paulus wurden. Aus allen Interviews geht deutlich hervor, dass es solange utopisch ist, über sektionale Erweiterungen der Quote nachzudenken, solange die binäre Geschlechtergleichheit in Politik und Gesellschaft  nicht durch- und umgesetzt ist.
 

Wie wird Geschlecht konstruiert?

Teil 2 des Buches vertieft die Debatte über Geschlecht und Politik mit Beiträgen zur wehrhaften Männlichkeit im Rechtspopulismus, zur tabuisierten Gewalt gegen Politikerinnen und zur Sichtbarkeit identitärer Frauen. Interviews beleuchten die Rolle von Schwulen in der Politik und von Frauen der AfD im Thüringischen Landtag. Dieser zweite Teil ist schwieriger zu lesen, weil sich erkenntnisreiche, aber ebenso fremdwortlastige Beiträge abwechseln mit solchen, die inhaltlich wenig Neues bieten.

Das Buch lässt sich leicht kapitelweise oder themenorientiert lesen. Ich habe es mit neuem Wissen und neuen Fragen aus der Hand gelegt, und das dürfte wohl die beste Empfehlung sein. 


Dorothee Beck, Annette Henninger (Hg.):
Konkurrenz für das Alphamännchen, Politische Repräsentation und Geschlecht
Ulrike Helmer Verlag, ISBN 978-3-89741-444-, 272 Seiten, 20 Euro 

 


Unsere Gastautorin

Inge von Bönninghausen
Foto: Malin Kundi

Inge von Bönninghausen ist Journalistin in Köln. Sie war viele Jahre Leiterin und Moderatorin der WDR-Sendung „Frauen-Fragen“, gab ihr später den Namen „Frau-TV“.

Nach dem Bildschirm kamen die Lobbyarbeit für Frauen in Berlin und das Schreiben über Frauenbewegungen, Menschenrechte, Altersdiskriminierung. Weitgereist hat sie ein großes Faible fürs Internationale, vor allem die Vereinten Nationen.

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