Mittwoch, 16. Juli 2008

Verzerrtes Bild von der Welt

Die Frauen erobern auch den Auslandsjournalismus. FOTO: IMAPIX

Medien sparen an Auslandskorrespondenten und setzen junge VJs ein
Sie sind jung, sie sind ambitioniert und mit einem Laptop und einem Mini-Satelliten ausgestattet. Damit bereisen sie als VJs, als Video-Journalisten, die Krisen- und Kriegsregionen dieser Welt, oft unter Einsatz ihres Lebens – wie derzeit die drei jungen NDR-Journalistinnen, die aus China und Birma berichten. Für den Journalisten und Medienexperten Kuno Haberbusch, Chefredakteur des NDR-Medienmagazins „ZAPP“ ist das die neue Form der Auslandsberichterstattung. Für Haberbusch klar: „Frauen sind hier groß im Kommen.“ Sie seien taffer, ambitionierter, vielleicht sogar mutiger als ihre männlichen Kollegen. So mancher glaubt, dass die Auslandsberichterstattung bald eine Frauendomäne werden könnte – wenn sich die neuen Techniken durchsetzen. Schließlich ist als VJ vor allem die Fähigkeit zum Multitasking gefragt und da sollen Frauen bekannt besser sein.

Frauenanteil unter KorrespondentInnen steigt
Fakt ist: Unter den Auslandskorresponten sind, wie generell im Journalismus, immer mehr Frauen. Aber Berichterstattung aus aller Welt ist nicht mehr so gefragt. Und die Arbeit ist nicht ganz ungefährlich. Vor allem die jungen Journalistinnen und Journalisten sind häufig noch unerfahren und gerade was den Einsatz in Krisengebieten angeht nicht gut genug ausgebildet und abgesichert. Denn der Einsatz von Auslandskorrespondenten kostet. Der Nachrichtensender N24 beispielsweise beschäftigt keine festen Auslandskorrespondenten vor Ort mehr – sondern greift auf Freiberufler zurück oder schickt Journalisten, wenn etwas geschieht. In die Krisenregionen in Asien habe man derzeit niemanden reinbekommen, berichtet ein Redaktionsmitglied von N24. Jetzt greift der Sender auf Agenturmaterial zurück. „Für einen Nachrichtensender total peinlich!“, so der Journalist.


Im Würgegriff der Sparmaßnahmen
Sparmaßnahmen, neue Arbeitsweisen und nicht zuletzt ein verändertes Rezipientenverhalten bedingen die Krise in der Auslandsberichterstattung. „Wir haben eine Informationsvermeidung beim Publikum“, sagt Thomas Leif, SWR-Chefreporter und 1. Vorsitzender der Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“. Sendezeiten und -plätze für Auslandsmagazine seien gekürzt oder ungünstig verschoben worden.
Anfang April machten renommierte Auslandskorrespondenten des ZDF, darunter Alexander von Sobeck (Paris), Klaus Prömpers (Wien) und Ruprecht Eser (London) in der Programmzeitschrift „Gong“ ihrem Ärger Luft und kritisierten, dass Außenpolitik „nur noch selten prime-time-fähig“ sei. Selbst einstige Aushängeschilder wie das „Auslandsjournal“ seien im ZDF nur noch im Randprogramm zu finden. Auslandsberichterstattung verkomme zu einem Ghetto der Nichtbeachtung.
Die Programmverantwortlichen sehen das ganz anders. Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des ZDF, führt zunehmenden Quotendruck als Grund an. „Wir machen ein qualitativ hochwertiges Programm.“ Auch sein Vorgesetzt der ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender hält dagegen: „Eine Auslandsberichterstattung, die nicht von vielen Zuschauern gesehen wird, verliert an öffentlich-rechtlichem Wert.“ Die Berichterstattung ändere sich. Der klassische Reisebericht des Korrespondenten sei nicht mehr gefragt.


Es kommt auf den Menschen hinter der Kamera an!
Und wie sieht erfolgreiche Auslandsberichterstattung aus? Das weiß der freie Fernsehjournalist Ashwin Raman, der für den SWR und die ARD preisgekrönte Filme aus dem Irak dreht. „Ich verwende immer eine Videokamera im Wert von 500 Euro, stelle sie auf Automatik und drehe drauf los. Entscheidend ist, wer hinter der Kamera steht“, sagt der Journalist. Also sind die Videoreporterinnen des NDR, die aus dem Erdbebengebiet in China und der Katastrophenregion Birma berichten, richtig ausgestattet. Ihre Arbeit wird in der Medienbranche hochgelobt – und immer wieder wird betont, dass es junge Frauen sind. Doch Alter und Geschlecht hilft nicht da, wo in den Heimatredaktionen Entscheider und Entscheiderinnen sitzen, die „inkompetent“ seien, sagt der Journalist Raman. Den Redakteuren fehle schlicht das Wissen über die Bedeutung eines Ereignis in den jeweiligen Ländern. Das hat auch der Kommunikationswissenschaftler und Afrikaexperte Lutz Mükke in seiner Dissertation untersucht. Die Entscheider in den Nachrichtenredaktionen seien oftmals nicht gut aufgeklärt – ordnen angebotene Themen oftmals als nicht sonderlich interessant oder relevant ein. Gerade für die im Ausland arbeitenden freien Journalisten ist das fatal – dann schaffen es viele ihrer Geschichten erst gar nicht in die Berichterstattung. Die freien Auslandskorrespondenten haben sich mit Welterporter.net eine Plattform und ein Netzwerk geschaffen, um auf sich, ihre Arbeit und die Lage der Auslandsberichterstattung hinzuweisen. Dennoch hilft das nicht dort, wo journalistische Freiheit eingeschränkt wird – oder Recherche fast unmöglich ist. Zum Beispiel in Afghanistan.
„Wir haben ein total verzerrtes Bild vom Ausland“, sagt auch Dirk Schulze. Er ist ehemaliger Hauptmann der Bundeswehr und Co-Autor des Buches „Endstation Kabul“. Darin beschreibt Schulze, wie Journalisten und Politiker bei ihren Besuchen der deutschen Truppen in Afghanistan geblendet würden. „Die bekommen ja nicht die Wahrheit zu sehen. Die Soldaten sind genau instruiert, was sie sagen sollen und wie sie auftreten sollen. Besuche mit Journalisten und Ministern finden dann auch nur in sicheren Regionen statt, in denen gerade eine Schule eröffnet wurde“, erzählt der ehemalige Zeitsoldat.


Ausland nix für BerufsanfängerInnen?
Aber es gibt auch positive Beispiele – jene Vollblut-Journalisten, die auf eigene Faust ein Land bereisen. „Diese Journalisten haben auch andere Geschichten aus Afghanistan mitgebracht“, sagt Schulze. TVJournalist Raman ist einer von ihnen – aber er plädiert für eine gute und gründliche Ausbildung. „Es ist nicht gut, wenn man für diese Jobs die jungen Berufseinsteiger verheizt. Es müssen Journalisten mit viel Berufserfahrung sein“, fordert der Krisenjournalist. Das fordert auch Elmar Theveßen. „Das ZDF hat viele solcher erfahrenen Journalisten“, sagt er. Und trotzdem hat der öffentlich-rechtliche Sender die RTL-Auslandskorrespondentin Antonia Rados eingekauft. Wieder eine Frau, eine sehr bekannte, ein Star. Antonia Rados ist auch wegen ihres Geschlechts eine Journalistin von Rang und Namen – eine Frau in einer gefährlichen Männerdomäne. Und jetzt bei den öffentlich-rechtlichen. Weil sie bekannt ist und Quote bringt, glauben viele Branchenkenner. „Weil sie eine exzellte Journalistin ist“, sagt die ZDF-Chefredaktion.
Am Ende wird es aber nicht nur auf exzellente Journalisten ankommen, sondern auch auf ein Publikum, das sich für Auslandsberichte interessiert. Dieses Publikum liest Tageszeitungen und schaut vor allem die dritten Programme im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der Journalist Thomas Leif ist sich sicher: „Die Zuschauer und Lesen müssen Qualität einfordern.“ Die ist unabhängig vom Geschlecht. Trotzdem könnten die Frauen auf Dauer die Nase vorn haben und den Auslandsjournalismus neu beleben. Warum? Weil unter den jungen Journalistinnen einfach viele extrem gute sind.

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