Sonntag, 3. August 2008

Where the green, green grass grows...

Von irischen Männerumarmungen



FOTO: FLICKR


VON BRITTA ERLEMANN


Ganz leidenschaftliche Journalistin und auch an nicht-deutschen Kulturen Interesssierte habe ich natürlich auch im Urlaub die Presse verfolgt - in diesem Fall die irische. Besonders in meinem Visier: The Irish Times. In Sachen Geschlechterfragen gab es da am letzten Samstag im Juli beispielsweise gleich Mehreres zu lesen: Von einer tibetischen Schriftstellerin und Aktivistin in China, die öffentlich Kritik übt und von einem Buch über die Ehefrauen der berühmten französischen Maler Cèzanne, Monet und Rodin, namentlich Hortense, Camille und Rose. Oder auch von dem einzigen offen schwul lebenden Bischof der anglikanischen Kirche aus den USA. Und endlich dann noch etwas original Irisches - ein Artikel über die öffentliche Männerumarmung. Um den soll es hier gehen. Schließlich wollte ich aus meinem Reiseland etwas mitbringen:

Da hatte doch der französische Staatspräsident Nicolas Sarcozy den irischen Ministerpräsidenten Brian Cowen bei seinem jüngsten Staatsbesuch in Dublin in große Verlegenheit gebracht. Nicht nur griff ersterer sich den Iren zum Abschied, um ihn zu umarmen, sondern auch gleich noch für einen Doppelwangenkuss. Auf die Umarmung ging Cowen nach der Beschreibung der irischen Journalistin Shane Hegarty noch vertrauensvoll ein. "Kulturell im Hintertreffen, zögerte Cowen und kompensierte dann, indem er ein bisschen überzog", berichtet sie. "Erst einmal zurück in seiner Staatskarosse, muss es Sarkozys erster Akt gewesen sein, die Spucke von seinem linken Ohr zu wischen." (...)



Andere Länder andere Sitten



"Öffentliches Zeigen von Zuneigung gegenüber anderen Männern bleiben den männlichen Iren größtenteils fremd. In Frankreich küssen sich Männer zwei mal zur Begrüßung und zum Abschied. In Italien untermalen sie das manchmal mit einer Bären-Umarmung. In manchen Kulturen halten männliche Gefährten Händchen", stellt die Kollegin unter anderem fest.
Abgesehen davon, dass sich die Autorin des Artikels fragt, inwieweit die französisch-irische Umarmungsgeselligkeit ein privater Kampf um Vorherrschaft zwischen den beiden Führern war: Der Soziologe Paul Anthony Ryan erklärt zum Beispiel im Text: "Als Blair Bush vor ein paar Jahren traf, wurde viel diskutiert, wer wen mit seinem Arm geführt hat. Es gibt ein Protokoll, nach dem Männer lieber der Führende als der Geführte sein wollen."

Derselbe Soziologe sieht jedoch, dass sich der körperliche Umgang unter Männern und auch mit Frauen in Irland verändert hat: So sei vieles in jüngerer Zeit zwangloser geworden, inklusive Kleidung, wie man spricht und interagiert. "Damit einhergehend ist es zu einer Veränderung der Etikette um das Begrüßen gekommen, besonders, was das Grüßen von Männern anderer Männer betrifft", schreibt Hegarty weiter. So geben in der englischsprachigen Welt diverse Medien Definitionen von der neuen (echten, d.A.) Männerumarmung. Die London Times etwa unterscheidet deutlich von der Umarmung per Klaps/leichtem Schlag (wohl auf den Rücken) und der streiche(l)nden (dann wohl weiblichen oder erotischen) Umarmung. Übrigens, so hält die Journalistin fest, sei öffentliche Intimität unter Männern nicht das Vorrecht von Gesellschaften mit aufgeklärten Einstellungen gegenüber Homosexualität, sonst müsste Saudi Arabien eine Bastion der Toleranz sein.

Bloß nicht weiblich sein



Pat Fitzpatrick, Soziologe an der Universität Limerick (Irland) erklärt das Zurückschrecken der irischen Männer vor dem herzlichen Körperkontakt mit ihresgleichen so: "Männer tendieren dazu, ihre Emotionalität zu überwachen und zu kontrollieren, damit sie nicht in irgendeiner Hinsicht feminin erscheint. Auf diese Weise distanzieren sie sich von allem, was Ausdruck von Weiblichkeit beinhaltet. Es gebe eine Übereinkunft darüber, was es heißt, ein Mann zu sein und wie sie Stärke ausdrücken, und das soll nicht aufgeweicht werden." Und er sieht trotzdessen, dass sich einige Aspekte von Männlichkeit in den letzten Jahren verändert haben, eine Verunsicherung und Ängste bei den Männern, wie sie sich korrekt verhalten (sollen). Einzige Ausnahme: Männerkörperkontakt im Sport.

Was sagt uns das jetzt für good old Germany? Und was hat das vor allem mit uns Frauen zu tun? Erstens: Wenn ich hierzulande Männer beim Umarmen sehe, beobachte ich oft den von der London Times als männlich definierten Klaps auf den Rücken (oder mehrere davon hintereinander). Sanftes Streichen ist mir noch nicht untergekommen. Küsschen links und rechts? Vor allem unter Männern und ähnlich wie in Irland - eher undeutsch! Da sind sich die beiden Länder also durchaus ähnlich. Auch darin, wie sie sich in Sachen Männerkörperlichkeit in den letzten Jahren entwickelt haben. Und wir Frauen? So lange ich das bewusst wahrnehmen kann (also etwas mehr als die letzten 30 Jahre), gehen Frauen in Deutschland untereinander phyisch herzlicher miteinander um als Männer. Die Angst der Männer vor der (eigenen) Weiblichkeit sehe ich auch hier. Und damit implizit vor dem vermeintlich Minderwertigen. Warum sonst ist schwul/Schwuchtel und damit auch der gefühlvoll körperliche Umgang unter Männern auf der Schimpfwortrangliste in diesem unserem Lande ganz oben? Weil Schwulsein mit Femininität assoziiert ist. Zum Beispiel rät der oben erwähnte schwule Bischof Gene Robinson in derselben Irish Times seinen schwulen Kollegen auch dazu, auf die öffentliche Einstellung der Gesellschaft gegenüber Homosexualität ein zu wirken, indem sie sich vorrangig um die Frauenfrage kümmern. Alles andere folge automatisch. So erscheint die Verweiblichung des Männlichen als möglicher Schritt, das Weibliche in Person, nämlich die Frau (die übrigens ja auch so genannte männliche Anteile hat) auf zu werten. Zwingend ist das nicht. In so manch patriarchaler Gesellschaft halten beispielsweise (auch Hetero-)Männer Händchen. Aber frau soll ja die Hoffnung nicht aufgeben...

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