Montag, 6. Oktober 2008

Simple Story schlägt komplizierte Wahrheit - das schwierige Verhältnis von Lobbyisten, Politik und Medien

Sie wollten „Brücken bauen und Vorurteile ausräumen“. Ein bisschen wie ein Schüleraustauschprogramm sollte die Sache mit den Leihbeamten sein. Jetzt gilt das Personalaustauschprogramm „Seitenwechsel“ zwischen den Bundesministerien und der Wirtschaft als gescheitert. Das räumten die Initiatoren des Programms, Reinhard Timmer, Abteilungsleiter der Verwaltungsmodernisierung im Bundesinnenministerium, und Tessen von Heydebreck, Vorsitzender der Deutsche Bank Stiftung, auf der bislang größten Fachkonferenz der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche (nr) über den Einfluss von Lobbyisten auf Politik und Medien in Berlin ein.

Nicht ganz so harmlos wie ein Schüleraustauschprogramm
Seit 2004 haben über hundert Mitarbeiter von Unternehmen wie Daimler-Chrysler, BASF Deutsche Bank oder Bayer im Bundesinnenministerium, im Gesundheits-, Finanz-, Umwelt- und Forschungsministerium gearbeitet – bezahlt wurden sie während ihres Einsatzes von ihren Unternehmen. Mit Lobbyismus habe das nichts zu tun, stattdessen gehe es um Verständnis für die jeweils andere Seite, ein Weiterbildungsprogramm sozusagen, erklären die Initiatoren. Durchschnittlich seien sie drei Monate tätig gewesen, einige aber auch mehrere Jahre, sagt der Journalist Sascha Adamek, der gemeinsam mit dem Fernsehjournalisten Kim Otto das Buch seine Recherchen in dem Buch „Der gekaufte Staat“ veröffentlich hat. In vielen Fallbeispielen konnten Adamek und Otto nachweisen, dass die Konzerne eigene Führungskräfte in die Ministerien sandten, die gezielt Unternehmensinteressen durchsetzen sollten. Gerade einmal zwölf Beamte aus den Ministerien wurden in der Wirtschaft eingesetzt. „Ein Austauschprogramm sieht anders aus“, findet Sascha Adamek.

Einzelfälle oder Systematik?
Der Kritik an dem Personalaustauschprogramm hat sich nun eine Studie des Bundesrechnungshofes angenommen. Sie kommt zu dem Schluss, dass ein systematisches Vorgehen zur Vermeidung eines Interessenskonfliktes „nicht sichergestellt ist". Im Juni hat das Kabinett eine Verwaltungsvorschrift zum Einsatz der Leihbeamten beschlossen – jetzt sind noch drei Beamten im Einsatz.
„Lobbyismus findet nicht in Hinterzimmern statt“ ist ein Satz, den die Lobbyvertreter auf der Konferenz häufig sagen. Berlins Wirtschaftssenator Thilo Sarrazin (SPD) hält dagegen. In seinem Referat sorgt der Politiker für Wirbel. Er behauptet, im Falle der Bahnreform, deren Gegner der Politiker ist, habe die Bahn das Gesetz quasi im Alleingang gemacht: „Das Bahngesetz wurde von den Anwaltsbüros der Bahn geschrieben! Wir wurden gezielt ausgeschaltet. Ich hatte keine Adressaten mehr.“ Der Wirtschaftssenator traut der Deutschen Bahn einiges zu. Das Unternehmen habe sich Journalisten gekauft, „kritische Berichterstattung ist mit Anzeigenentzug beantwortet worden, die Bahn hat sich willfährige Schreiber herangezüchtet und ein bezahltes Lobbyistennetzwerk in allen Parteien aufgebaut“, behauptet Sarrazin. „Eine gute Story besiegt immer eine komplizierte Wahrheit“, bricht der SPD-Politiker die Lobbyarbeit auf einen Satz herunter.

„Wir beraten doch nur“
„Eine Information muss eingängig sein“, sagt Mirjam Stegherr, Leiterin des Berliner Büros der Agentur FischerAppelt Kommunikation. Auf die Kritik an ihrer Macht ohne Mandat reagieren die Profis des Lobbygewerbes mit demonstrativem Understatement: „Wir liefern nur Informationen“, sagt Jobst-Hinrich Wiskow, ehemaliger Redakteur beim Finanzmagazin „Capital“ und heute Pressesprecher vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). „Wir machen ja keine Politik, wir machen nur Politikberatung“, spult auch Cornelia Yzer herunter. Bis 1998 war sie Bundestagsabgeordnete der CDU, dann wechselte die Seiten und ist heute Hauptgeschäftsführerin des Bundesverband der forschenden Arzneimittelhersteller eine Top-Lobbyistin.
Gerd Mielke, Professor an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, nimmt allein 16.000 Lobbyisten für Brüssel an, vermutlich sei die Zahl noch höher.

Waffenungleichheit und Personalverflechtungen
Subtil sei auch der Einfluss durch externe Berater, Expertenrunden oder Kommissionen. „Dabei nimmt man stillschweigend in Kauf, dass der eingekaufte Sachverstand von Eigeninteressen geleitet ist, oder man setzt das staatliche Interesse mit den privaten Interessen, die hinter dem eingeholten externen Rat stehen, einfach gleich", kritisiert die Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt. Neutrale Fachleute zu finden, sei schwer, „weil viele Experten längst schon für bestimmte Interessentengruppen gut-achtlich tätig geworden sind und dort auf den Honorarlisten stehen", erklärt sie.
Die Palette subtiler Methoden der Lobbyisten ist groß: „Sich die Gunst von Politikern wie Journalisten mit Kongressen in schönem Ambiente zu erwerben, ist nur eine Variante. Noch erfolgversprechender ist es, sich die Bedürfnisse der Politik, die Schwächen, Eitelkeiten und Profilierungswünsche von Politikern zu Nutze zu machen", erzählt Christine Hohmann-Dennhardt. Hinzu kommt die personelle Verflechtung: Abgeordnete in den Aufsichtsräten von Unternehmen sind wie die sich zur Wahl stellenden Verbandsvertreter eine seit langem praktizierte Variante.

Das etwas andere Demokratieverständnis
Von Manipulation und Agieren könne überhaupt keine Rede sein, streitet Jürgen Hogrefe, Generalbevollmächtigter von Energie Baden-Württemberg (EnBW), ab. Seines Erachtens nach sei auch jeder Parlamentarier „ein Lobbyist für seinen Wahlkreis.“ Dass die Abgeordnete als gewählte Vertreter dafür durch ihr Mandat legitimiert sind, spielt für Hogrefe offenbar eine untergeordnete Rolle. Auch Interessensvertreter hätten einen Verfassungsauftrag, meint der Lobbyist:

„Energieunternehmen betreiben Daseinsvorsorge. Damit stehen wir in
gesellschaftlicher Verantwortung.“
Wenn es nach der Auffassung von Lobbyisten wie Jürgen Hogrefe geht, seien Unternehmen sogar „Bürger der Zivilgesellschaft.“ Die EnBW würde schließlich die Interessen ihrer 20.000 Mitarbeiter vertreten - von seinen Shareholdern schweigt er.
Dieses an den Feudalismus erinnernde paternalistische Demokratrieverständnis könnte sich womöglich bald in einem Ehrenkodex der Lobbyisten ausdrücken.
Dieses feudalistische Demokratrieverständnis könnte sich womöglich bald in einem Ehrenkodex der Lobbyisten ausdrücken. Denn neben einem Register für Interessensvertreter soll auch ein Verhaltenskodex für mehr Transparenz sorgen oder die Einführung einer „legislativen Fußspur, die auflistet, wer bei der jeweiligen Gesetzgebung mitgewirkt hat“, schlägt Cornelia Yzer vor.
Sascha Adamek hofft, dass die Medien ihre Kontroll- und Wächterfunktion wieder verstärkt wahrnehmen. Seine Recherchen über die Leihbeamten waren wirkungsvoll. Diesem Beispiel sollen nun andere Journalisten folgen. Immerhin seien besonders die Journalisten gefragt – in diesem Punkt waren sich Politiker, Lobbyisten und Medienvertreter einig.

Kommentare

  1. Vielen Dank für den Beitrag. ICh lese euere Texte mit großem Interesse und leite sie wieter an JB Nichtmitglieder.
    Carmen-Francesca Banciu

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