Mittwoch, 20. Mai 2009

Gedanken zu einer sehr alten Frauenfigur

 von Judith Rauch

Tübinger Wissenschaftler haben auf der Schwäbischen Alb eine kleine Frauenfigur aus Elfenbein ausgegraben. Sie ist 35.000 Jahre alt und damit die "älteste Venus der Welt", wie auch die österreichische Presse neidvoll zur Kenntnis nehmen musste. Auf der Plattform des Wissenschaftsmagazins nature gibt es sogar ein Video zu diesem Sensationsfund. Ganz hochwissenschaftlich hat mann es "Prehistoric Pinup" genannt. Tatsächlich sind die sexuellen Merkmale der Figur kaum zu übersehen. 

Doch noch etwas fällt auf: Die Frau ist sehr dick. Dick wie die 10.000 Jahre jüngere Venus von Willendorf (die bisherige Alters-Rekordhalterin) und wie noch einige andere Damen aus der Urzeit. Dick galt damals anscheinend als schick. Und wenn auch manches am Körper der Venus von der Alb heftig übertrieben scheint - die jeder Gravitation trotzdenden Brüste beispielsweise - wirkt es doch so, als hätte der Künstler/die Künstlerin dicke Frauen gekannt. Zumindest konnte er/sie sich vorstellen, wo eine gut genährte Frau ihren Speck ansetzt. Die Ernährungslage muss also zeitweise üppig gewesen sein in jenen fernen Tagen. 

Zweitens scheint Fett und Sex kein Widerspruch gewesen zu sein. Im Gegenteil: In dieser Figur gehen sie eine untrennbare Verbindung ein. Auch das ist bis heute so, wie kürzlich Jochen Paulus in "Psychologie heute" berichtete: Dicke Frauen haben nach einer neuen Studie nicht etwa weniger Sex als dünne, sondern eher mehr. (Nur dicke Männer haben ein Problem, Sexualpartnerinnen zu finden.) Und damit sind nicht nur die leicht übergewichtigen gemeint, sondern auch diejenigen, die unter "adipös" fallen - wie Frau Venus von der Alb. 

Wie könnten die beiden Phänomene zusammenhängen? Warum war Fett für eine prähistorische Jäger- und Sammler-Gesellschaft so sexy? Vielleicht liegt es daran, dass die frühen Menschen einen Tauschhandel fortsetzten, den heute noch unsere Vettern und Basen, die Schimpansen, praktizieren: Futter gegen Sex, genauer: Fleisch gegen Sex. Wobei die Männer für das Fleisch und die Frauen für den Sex zuständig sind. Fleisch war jedenfalls enorm wichtig für die Entwicklung des menschlichen Gehirns, schon zu Zeiten des Homo erectus. Mit vegetarischer Ernährung allein hätte unsere Gattung es niemals zu einem so großen und leistungsfähigen Denkorgan gebracht (Bild der Wissenschaft wird im Juli darüber berichten). 

Das sind natürlich alles Erklärungsmuster, die einem heterosexuell-patriarchalischen Weltbild entsprechen. Auch andere Entwicklungslinien vom Affen vom Menschen sind denkbar, etwa frühe menschliche Gesellschaften, die wie bei den Bonobos auf weiblicher Macht und lesbischem Sex gründen. Der Primatenforscher Volker Sommer hält ein solches Szenario für möglich. Ein feministisches Paradies käme jedenfalls ohne Prostitution und ohne tierische Nahrung aus. Doch hätten die Matriarchinnen der Vergangenheit ihre Königinnen und Göttinnen ohne Kopf dargestellt? Doch wohl eher nicht.

2 Kommentare

  1. Die kleine Dicke sprang mir vor einigen Tagen im Kulturteil entgegen - und ich habe fasziniert über sie gelesen. Übrigens galt dick noch lange als schick, die üppigen Frauenfiguren von Rubens sind der Klassiker. Marilyn Monroe würde heute keine Kino-Karriere mehr machen. Dicke Frauen ensprechen nicht mehr unserem Schönheitsideal. Normalgewichtige Hollywood-Stars hungern sich auf Null-Größen runter, um überhaupt noch Rollen zu bekommen. Aber manche nehmen den Kult um die Figur auch einfach auf die Schippe. Der Cartoonist Peter Gaymann textet und malt in seinem genialen Buch "Wellness für Hühner" folgenden Satz unter einen Cartoon, der zwei Hühner in einer Ausstellung vor dem ein Bild mit einer fülligen Liegenden zeigt: "Das Werk von Rubens trägt den Titel '30 Kilo zuviel'."

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  2. Ausstellung des Kult-Cartoonisten Peter Gaymann in der Galerie Kaysser in Schwabing vom 17. bis 27. September 2009.

    Zur Vernissage am 17. September 2009 um 19.00 Uhr sind alle Interessierten herzlich eingeladen.

    Galerie Kaysser
    Herzogstraße 73
    80796 München

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