Samstag, 21. April 2012

Besenrein hinterlassen

Besenrein: Auf den ersten Blick sieht noch alles sauber
und nach Gleichberechtigung aus. Foto: S. Weber


Im ersten Semester war ich in der Minderheit: etwa 20 Frauen, etwa 70 Männer. Kein Wunder, schließlich habe ich Physik studiert.

Es wurde kein Buhei um die Physikerinnen gemacht. Vielleicht bekamen wir ein klein wenig mehr Aufmerksamkeit; der stetig steigende Frauenanteil wurde allenthalben positiv bewertet. Mehr nicht. Und niemals eine einzige herablassende Silbe von einem Kommilitonen oder einem Professor.

So wurde ich in die Berufswelt entlassen und dachte, alles sei in bester Ordnung.
Dachte: Natürlich habe ich die gleichen Chancen wie jeder Mann; danke, liebe Feministinnen, ihr wart wirklich klasse, ihr habt's geschafft, und wenn man mal nur ein paar Jahrzehnte zurückblickt, wie es daaaaamals noch war, dann ging das ja tatsächlich in verdammt kurzer Zeit!

Den Ausdruck "Gläserne Decke" hörte ich kurz darauf zum ersten Mal. Und nahm mir vor, sollte ich je einen sanften Druck am Scheitel spüren, mir erst recht meinen Weg nach oben zu bahnen. Gläserne Decke, pffft, man muss nicht Physik studiert haben, um zu wissen, dass Glas zerbrechlich ist.

Doch dann begann ich, in der sauber geputzten Wohnung der Gleichberechtigung in die Ecken zu schauen. Und sah plötzlich den Dreck, der sich standhaft gehalten hatte. Sah bei meiner neuen Arbeit als Journalistin Praktikantinnen, aber Redakteure. (Machen die alle eine Geschlechtsumwandlung auf dem Weg nach oben? Ach nein, der physikalische Grundsatz der Teilchenerhaltung gilt hier natürlich nicht.) Bekam zu Ohren, dass ein Chefredakteur sinngemäß sagte: Wieso, direkt unter mir sind doch alles Frauen. Bemerkte, wie die Redakteurinnen einfach nur Redakteurinnen waren, die Redakteure aber Ressortleiter, Chef vom Dienst, Chefredakteur. Und natürlich Geschäftsführer. Mir dämmerte die Erkenntnis: Diese Wohnung ist höchstens besenrein.

Aber nicht nur im Journalismus begegnete mir Schmutz in den Fugen. Europaweit verdienen Frauen im Schnitt 17 Prozent weniger, in Deutschland sogar 23 Prozent. Erstaunlich ist nicht nur diese große Zahl, erstaunlich ist für mich auch, wie lange ich das nicht wusste!

Ich glaube, als Mädchen starten wir alle mit dieser Illusion der Gleichheit. Weil wir gerne daran glauben wollen. Und weil sich die Ungerechtigkeit auch weder in der Schule, noch im Studium, und vielleicht auch noch nicht einmal beim Berufseinstieg zeigt; sondern erst später. Ich kenne junge Redakteurinnen, die sagen: Klar sind die Chefs männlich, aber wo ist das Problem, vielleicht werde ich auch mal Chefin. Erfrischend auch ein Interview mit der 20-jährigen Lena Meyer-Landrut: Als der Journalist sagt:
"Aber Frauen und Männer haben sehr unterschiedliche Startbedingungen",
entgegnet sie:
"Ach was, wieso? Das ist doch ziemlich gleich."
Leicht wäre es, sich über Meyer-Landruts Naivität zu mokieren. Das mögen andere tun, mir ist es nicht möglich; denn als ich 20 war, hätte ich exakt das gleiche geantwortet.

Jetzt bleibt mir nur, das Scheuerpulver aus dem Schrank zu holen und in einer beliebigen Ecke anzufangen. Aber dass die Feministinnen schon am Ziel wären, das werde ich so schnell nicht wieder behaupten.

2 Kommentare

  1. Köstlich, der Spruch: "Wieso, direkt unter mir sind doch alles Frauen." Das stelle man sich mal umgekehrt vor.

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  2. Hindernisse durch die Gesellschaft sind der eine Teil - der andere ist die Frage, wo Frauen sich selbst ein Bein stellen. Auf dieser Seite gibt es wohl so einige Verhaltensweisen und Einstellungen, die nicht gerade karrierefördernd sind.


    Beide "Seiten" müssen lernen umzudenken, die Quote könnte zumindest die Wahrnehmungsgewohnheiten ändern.

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