Samstag, 6. Juli 2013

Schlecht, schlechter, Martenstein

von Judith Rauch

Foto: ellebasi87

Normalerweise lese ich Harald Martenstein gerne. Bei seinen Texten amüsiere ich mich, auch wenn ich ihnen nicht zustimmen kann. Anders war das mit seinem Beitrag über Genderforschung "Schlecht, schlechter, Geschlecht", der vor einem Monat im Zeit-Magazin erschien und ziemliche Wellen geschlagen hat.

Gut, der Kollege hat drei Einführungen in die Genderforschung gelesen. Und er hat drei Frauen besucht, die entweder Genderforscherin oder Gleichstellungsbeauftragte oder beides in einer Person sind. So viel Recherche kann man heutzutage nicht mehr bei allen JournalistInnen voraussetzen. Doch es reicht einfach nicht aus für seine steile These, die Genderforschung sei eine Antiwissenschaft. Zitat Martenstein: "Das Feindbild der meisten Genderforscherinnen sind die Naturwissenschaften. Da ähneln sie den Kreationisten, die Darwin für einen Agenten des Satans und die Bibel für ein historisches Nachschlagewerk halten."

Vielleicht hätte er mal mich fragen sollen.

Als Biologin, Feministin und Wissenschaftsjournalistin in Personalunion kenne ich die naturwissenschaftliche Geschlechterforschung recht gut. Immer wieder musste ich im Laufe meiner Karriere die einschlägigen Neuerscheinungen prüfen und rezensieren, nicht immer mit Vergnügen, wie man auch im Watch-Salon nachlesen kann.

Für mich stellt sich die Szene anders da als für Harald Martenstein. Es gibt nicht DIE naturwissenschaftliche Einheitsmeinung über Männer und Frauen. Stattdessen gibt es Wellen: Wellen, in denen prominente ForscherInnen und/oder WissenschaftsjournalistInnen (meistens Frauen) mit Hilfe von vielen interdisziplinären Studien die biologischen Unterschiede betonen und eine Vielzahl sozialer Unterschiede damit rechtfertigen. Zu diesen WellenmacherInnen zählen zum Beispiel die von Martenstein zustimmend zitierten AutorInnen Doreen Kimura, Simon Baron-Cohen und Susan Pinker.

Und dann gibt es immer wieder WellenbrecherInnen. Die Biologin Anne Fausto-Sterling ("Gefangene des Geschlechts?") gehörte in den 1980er-Jahren dazu, jüngst profilierte sich die Neurowissenschaftlerin Cordelia Fine ("Die Geschlechterlüge"). Diese AutorInnen, naturwissenschaftlich mindestens so qualifiziert wie die WellenmacherInnen, schauen sich exakt dieselben wissenschaftlichen Arbeiten an wie diese, kommen aber zu anderen Schlüssen. Nämlich dass es sich sehr oft um methodisch mangelhafte Studien handelt oder dass korrekte Studien überinterpretiert wurden, um Geschlechterstereotypen zu bedienen.

Hier stehen also NaturwissenschaftlerInnen gegen NaturwissenschaftlerInnen. Und man kann als AußenstehendeR durchaus wie die im Zeit-Magazin zitierte Hannelore Faulstich-Wieland den Eindruck gewinnen, Naturwissenschaft sei Konstruktion. Ich würde aber vermuten, dass das in den Geistes- und Sozialwissenschaften ganz ähnlich ist. Deswegen muss man noch lange nicht von Antiwissenschaft reden. Im Gegenteil: Solange es noch Streit gibt, haben wir es nicht mit verfestigten Dogmen oder quasireligiösen Überzeugungen zu tun.

3 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen Beitrag. Er zeigt genau das Problem auf, das ich auch oft beobachte, wenn es um Feministische Bereiche geht: Sie werden gerne als "der Feminismus", "die Feministinnen" und "deren Meinung" abgestempelt - die tatsächliche Vielfalt und vorhandene Diskurse fallen hinter diesen Vorurteilen ab.
    Und so starke Vorurteile finde ich in anderen Bereichen selten. Selbst bpsw. bei Atomkraft ist den meisten Menschen bekannt, dass es _verschiedene_ Gründe dagegen gibt.

    Der Mensch ist, wie in der Psychologie gerne eingangs betont wird, eine Black Box und entsprechend ist es selbstverständlich schwierig, gute Ergebnisse zu bekommen, denn alle Daten sind stets interpretationswürdig. Interpretationen, die von Personen getätigt werden, die selbst von den zu erhebenden Faktoren betroffen sind.. ;)

    Liebe Grüße, tanine

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  2. "Kinderchen", so spricht Herr Martenstein, "die Amerikaner lieben uns wie eine Mutter. Sie sind einfach nur eifersüchtig. Oder besorgt." Neunmalkluge wie er machen gerade den Realismus-Kotau.
    Unsere Neumalklugen

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  3. ...und Edward Snowden spricht wohl sinngemäß "...die Amerikaner lieben ihre Bürger - daher sammeln sie viele Daten...insbesondere E-Mails.... - aus In- und Ausland...

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