Mittwoch, 20. November 2013

Fragen wir eine Wissenschaftlerin – Teil 2

von Laura Hennemann

Über Ungleichberechtigung müssen wir sprechen, sagt Forscherin Scharff. Bild: Stefan-Xp, cc-by-sa

Wie steht es um den Feminismus? Meinungstexte dazu gibt es mehr als genug. Doch was sagt die Wissenschaft? In dieser Fortsetzung unseres Gesprächs mit der Genderstudies-Forscherin Christina Scharff spricht sie über Phrasen aus der Kolonialzeit und warum das Internet sie optimistisch stimmt.

Wir hatten zuletzt darüber gesprochen, dass das Wort „Feminismus“ von vielen jungen Frauen abgelehnt wird. Wieso ist das eigentlich ein Problem?


Dass das Wort an sich abgelehnt wird, ist nicht unbedingt das Problem. Es wird aber dann problematisch, wenn es bedeutet, dass deshalb nicht über Ungleichheiten gesprochen wird. Denn es gibt eine Diskrepanz: Einerseits haben Frauen - obwohl sich in Sachen Geschlechtergerechtigkeit in den letzten Jahrzehnten vieles zum Besseren gewandelt - noch immer nicht überall die gleichen Chancen wie Männer. Andererseits ist der gesellschaftliche Diskurs über diese verbleibenden Ungleichheiten weniger geworden. Und so denken viele Frauen, die weniger verdienen als ihre männlichen, gleich qualifizierten Kollegen, dass sie persönlich versagt haben! Frauen fragen sich, ob sie nicht mit schuld daran sind, wenn sie begrabscht wurden. Und sie machen sich selbst dafür verantwortlich, wenn sie es nicht schaffen, berufliche Ambitionen mit einem Familienleben zu vereinbaren.

Beobachtet habe ich das in meiner eigenen Forschung bei der Befragung der jungen Frauen: Viele von ihnen sagten, dass sie darauf achten werden, gleich viel zu verdienen wie Männer. So stellen sie sich selber als stark dar, als unabhängig und emanzipiert. Sie unterstrichen das oft noch zusätzlich durch eine Distanzierung von anderen, vermeintlich unterdrückten Frauen: Viele haben von sich aus das stereotype Bild der unterdrückten Muslimin angesprochen und sich davon abgegrenzt - obwohl ich gar nicht danach gefragt hatte.

Letzteres ist übrigens ein Argumentationspfad, der schon zur Kolonialzeit verbreitet war. Kolonialismus wurde unter anderem damit gerechtfertig, dass man Frauen in anderen Kulturen vor deren patriarchalen Bräuchen schützen müsse. Ich finde es verzwickt, dass dieses Argument heute wieder öfter auftaucht, denn es gräbt dem Feminismus in westlichen Ländern das Wasser ab.


Wenn nun junge Frauen den Begriff oder auch die vermeintliche Idee des Feminismus ablehnen – können seine Ziele dann trotzdem noch erreicht werden?


Einerseits bin ich durch meine Interviews pessimistisch geworden. Andererseits möchte ich optimistischer sein und mache mir darum bewusst, dass viele meiner Interviewpartnerinnen so jung waren, dass sie noch nicht im Arbeitsleben standen oder noch keine Kinder hatten. Ich habe die Hoffnung, dass wenn sie älter werden und die Ungleichbehandlung bei Lohn und Kinderbetreuung sie trifft, sie vielleicht doch noch entdecken, dass der Feminismus ihre Interessen vertritt.

Außerdem stimmen mich die digitalen Medien optimistisch, denn sie ermöglichen einiges an Veränderung. Zwar ist das Internet auch ein Nährboden für Sexismus. Aber es bietet Frauen die Möglichkeit, sich zusammenzutun, beispielsweise werden Slutwalks teilweise über die sozialen Medien organisiert.

Und schließlich beobachte ich in den letzten Jahren mehr Initiativen: zum Beispiel das Missy Magazin, der Twitter-Hashtag #aufschrei. Außerdem etliche Bücher wie „Wir Alpha-Mädchen“, „Neue deutsche Mädchen“, "Die neue F-Klasse" und "Feuchtgebiete" (letzteres hat die Autorin Charlotte Roche selbst als "Feminism of the Body" beschrieben). Die Autorinnen sind junge Frauen, die sich mit Feminismus beschäftigt haben. Im Einzelnen kann man die Quintessenz dieser Bücher zwar kritisch sehen. Aber ich finde es in jedem Fall gut, dass es diese Auseinandersetzungen gibt.

Danke für das Gespräch! Im dritten und letzten Teil des Interviews sprechen wir noch über Frauen in kreativen Berufen, zu denen ja auch der Journalismus zählt. Demnächst auf diesem Blog.

Kommentare

  1. Gutes Interview, vielen Dank! Diese Reihe dürfte gerne länger werden als nur drei Folgen.

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