Freitag, 29. November 2013

Ging Gabriel auf Slomka los oder Slomka auf Gabriel? Warum das nicht die entscheidende Frage ist




Na, endlich knallt es mal in einer deutschen Nachrichtensendung. Marietta Slomka, bekannt für ihr zähes, intelligentes Nachfragen, legte sich gestern abend im Heute-Journal mit Sigmar Gabriel an. Wer das bemerkenswerte Interview noch nicht gesehen hat, kann es oben oder auch in der ZDF-Mediathek anschauen. Richtig interessant sind auch die Kommentare auf allen Kanalen. Nichts von Politikverdrossenheit.

Anlass des Schlagabtauschs war die SPD-Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag, bei der 470.000 Genossen darüber abstimmen werden, ob es zu einer Großen Koalition kommen wird. Slomka zog mit Verweis auf Juristen wie den in Leipzig lehrenden Professor Christoph Degenhart die Rechtmäßigkeit dieses Schrittes in Zweifel. Ob es künftig nicht zwei Klassen von Wählern geben werde, fragte sie süffisant - das niedrige Wahlvolk gegenüber dem illustren Parteimitglied?

Die Welt hat den Schlagabtausch gut zusammengefasst. Sind bei ihr ansonsten die Kontrahenten rechthaberisch und dünnhäutig, sorgt sich die FAZ, dass Slomka die Axt an die Grundlagen der parlamentarischen Demokratie legt, während der Freitag Verständnis für einen stichelnden Gabriel aufbringt, dem die Hutschnur riss und der als Folge davon "argumentativ verfiel". Was die Menschen im Netz dazu sagen, lässt sich unter #Slomka und #Gabriel verfolgen oder auch in dieser Zusammenfassung des WallstreetJournal. 

Warum soll es immer so brav zugehen?


Pro und Kontra scheinen sich die Waage zu halten. Wenn etwa die Bild-Zeitung für sich erkannt hat, "Gabriel geht auf Slomka los", so könnte es ebenso heißen "Slomka geht auf Gabriel los". So wie Gabriel durch sein entnervtes "Quatsch" aus der Rolle fiel, kam Slomka aus ihrem Angriffsmodus nicht mehr heraus. Die geschicktere journalistische Form wäre sicher gewesen, Gabriel über ein, zwei Fragen mit den verfassungsrechtlichen Bedenken zu konfrontieren und diese durchaus umstrittene Sichtweise dann anschließend "mit einem dieser Professoren" zu vertiefen.

Aber ob das Interview deswegen völlig aus der Spur lief, ja, ein Desaster war, bei dem nicht nur den beiden Beteiligten die Gesichtszüge entgleisten, wie etliche Zeitungen heute schreiben, ist doch eine übertriebene Sichtweise. Warum soll es immer so brav zugehen wie etwa bei Thomas Roth in den Tagesthemen, wenn der etwas aus der Zeit gefallene Moderator seine väterlich-freundlichen Fragen stellt, vor denen sich niemand fürchtet?

11 Kommentare

  1. Ach was muss man oft von bösen Interviewten hören oder lesen: Ein Eklat (Focus) soll das gewesen sein, ein Gekeife (n-tv), die "ruppige" Marietta Sloka "nervt dünnhäutigen Gabriel" (Welt). Wie langweilig sind eigentlich die Nachrichten geworden, wenn dieser kleine Ausreißer so kommentiert wird. Und am nächsten Tag lamentieren dann dieselben Medien vermutlich wieder über Kuschelinterviews und nichts sagende Worthülsen. Da ging es mal etwas heftiger zu - wie übrigens in jeder zweiten Talkshow - im heute journal. Beide Seiten haben Fehler gemacht, aber letztendlich noch die Kurve gekriegt und sind zivilisiert zum Ende gekommen. Jetzt kennen die ZuschauerInnen auch mal eine etwas emotionalere Seite der beiden ProtagonistInnen. Ist zumindest interessant.
    Ob die Kommentare auch so ausgefallen wären, wenn die Physiognomie der beiden anders aussähe, es da nicht die helle Frauen- und die dunkle Männerstimme gäbe, ist auch eine interessante Überlegung - und leider nicht zu überprüfen. Die Kanzlerin gibt ja JournalistInnen keine Interviews mehr.

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  2. Bekanntlich lebt der Journalismus vom Nachfragen. Wenn Frau Slomka eine argumentativ stichhaltigere Antwort auf ihre Frage möchte als "So ein Quatsch", dann darf, dann muss sie nachhaken. Ich empfand sie als noch zu höflich. Herrn Gabriel jedoch als unglaublich arrogant und darüber aufgebracht, dass eine Journalistin nicht nur brav und freundlich ist...

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  3. Ich finde, dass Frau Slomka sich wacker gehalten und nicht die Nerven verloren hat, während Herr Gabriel sie aggressiv daran hinderte, ihre Abschlussfrage ordentlich zu stellen. Und dass es mal etwas deftiger zuging als sonst, sollte man positiv bewerten - besser als wenn Journalist/innen Streicheleinheiten an Politiker verteilen, was es ja leider auch gibt.

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  4. Es geht um viel. Was passiert, wenn der Mitgliederentscheid negativ ausfällt? Und vor allen Dingen ist aus meiner Sicht die Frage so sehr an den Haaren herbeigezogen.
    siehe meinen Kommentar hier
    http://blog.weltundzeit.de/?p=84

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  5. Die Geschlechterhierarchie war bei diesem Interview mit im Spieß: Mariette Slomka hat meiner Meinung nach gut gefragt und gut reagiert auf einen überheblichen Sigmar Gabriel. Umgekehrt, also ein männlicher Interviewer und eine weibliche Interviewpartnerin, wäre dieser Interviewverlauf kaum vorstellbar gewesen. Vor allem diese abwertenden Bemerkungen, dass sei doch "Quatsch", ist leider nur mit der Arroganz der männlichen Macht zu erklären. Denn Slomka hatte ja Argumente. - Ich schreibe das, obwohl ich im Prinzip eine Befragung der SPD-WählerInnen gut finde, da direkte Demokratie. - Zur Geschlechterdimension hat übrigens auch Nele Tabler gebloggt auf www.karnele.de

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  6. Ich habe mir das Interview mit ein paar Tagen Abstand angeschaut. Und finde viele Reaktionen in Presse und social media völlig überzogen. Das war kein Eklat und keine Entgleisung - von beiden Seiten nicht. Gabriel war patzig, Slomka hat ein bisschen zu sehr auf der Verfassungsfrage herumgeritten. So what? Ist doch nur ein Zeichen dafür, dass TV-Interviews in deutschen Sendern normalerweise stinklangweilig sind, weil nur Erwartbares zu hören ist. Und ob die Aufregung über das gegenseitige Beharken wirklich der Geschlechterverteilung geschuldet ist, wage ich in diesem Fall zu bezweifeln.

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  7. Sigmar Gabriel war von Anfang an leicht angenervt, dass ihn ausgerechnet Marietta Slomka interviewt. In Minute 6:28 sagt er etwas wie "Es ist nicht das erste Mal, dass Sie im Interview mit Sozialdemokraten versuchen, uns das Wort im Mund umzudrehen". Es muss also etwas vorausgegangen sein, was das Verhältnis der Gesprächspartner belastet hat. Mich würde interessieren, was.

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  8. Er spielt vor allem auf das Interview Slomka-Steinbrück vor der Wahl im September an.

    <a href="http://www.youtube.com/watch?v=5UZjdKNUmUg> Steinbrück-Interview</a>

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  9. Interessant, das im Nachhinein zu sehen. Aber sie ist schon verdammt hart! Hier noch mal der Link zum Steinbrück-Interview.

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  10. Danke für die Verlinkung des Interviews. Mein Eindruck ist auch: Frau Slomka macht ihren Job super, Herr Gabriel macht keine gute Figur: "nicht zuhören, Blödsinn, Quatsch" - das ist doch hochgradig ausfallend und unprofessionell. Ich finde, der Mann hat ein echtes Problem - und bin gespannt, wann er politisch über seine Arroganz stolpert.

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  11. Natürlich ist es kein Problem, wenn eine halbe Million Parteimitglieder über einen Koalitionsvertrag entscheiden anstatt ein paar hundert. Dennoch war Frau Slomka völlig im Recht. Jede Journalistin und jeder Journalist ist im Recht, wenn er Fragen stellt, auch wenn sie vielleicht naiv, provokativ oder sonstwas sind. Denn er vertritt uns, die Zuschauer und Wähler, die nicht selber fragen können. Und die Politiker haben gefälligst zu antworten. Sonst werden sie so lange gefragt, bis sie es gelernt haben. Denn wir bestellen sie und bezahlen sie und feuern sie. Noch Fragen?

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