Reden um zu handeln
Ausbildungs- oder Volontärsbeauftragte in unserer Branche spekulieren ja schon mal laut darüber, ob man demnächst eine Männerquote brauche. Doch obwohl Frauen die Mehrheit unter den BewerberInnen, BerufsanfängerInnen und in vielen Redaktionen oder Agenturen stellen, ist auf zahlreichen Kongresspodien das Y-Chromosom eindeutig dominant. Der Journalistinnenbund (JB) hat das schon mehrfach in Briefen oder Pressemitteilungen moniert. Die Antworten glichen sich meist: die Kritik sei unberechtigt, Qualität kenne keine Quote, es habe sich leider keine Frau gefunden, und so weiter. Im letzten Jahr ging ein gemeinsames Protestschreiben von JB, ProQuote, BJFrau und den webgrrls an die Medientage München (MTM). Der Frauenanteil lag dort seit Jahren konstant unter 20 Prozent.
Zunächst kam auch von dort die übliche Antwort, doch dann ein Gesprächsangebot. Gespräche gab es auch - erstaunlich offen, kooperativ und konstruktiv. So habe ich es zumindest erlebt, denn ich saß für den JB mit am Tisch. Aus den ursprünglich vier sind dabei mittlerweile acht Frauennetzwerke geworden: Hinzu kamen die Digital Media Women, Women in Film and Television (WIFT), die Business Professional Women (BPW) und Pro Quote Regie. Die Medientage haben ein ehrliches Interesse, mehr Frauen auf die Panels zu setzen - auch ein wirtschaftliches. Bei gesunkener staatlicher Förderung müssen sie den Kongress stärker als früher mit zahlenden Besuchern füllen. Die Analyse lautet: Vor allem die Zahl der Besucherinnen ließe sich steigern. Dafür braucht man Referentinnen. Frauen finden es nämlich zunehmend unattraktiv, wenn sie reinen Männerrunden Beifall spenden sollen.
Dennoch teilte uns Geschäftsführer Christopher Tusch zwei Wochen vor der Programmveröffentlichung mit:
"Es zeichnet sich im Moment ab, dass trotz unserer Anstrengungen das Ergebnis unbefriedigend ist. Wir selbst sind darüber am meisten enttäuscht!"
Was ist (nicht) passiert?
Eine Begründung: Frauen wurden angefragt, haben aber abgesagt. Das stimmt. Männer haben allerdings auch abgesagt. Ob nun genauso oft oder seltener als Frauen - das lässt sich nicht so recht in Erfahrung bringen. Wenn man das wirklich wissen wollte, könnte man eine Statistik führen - vielleicht sogar mit den Absagegründen, um darauf zu reagieren.
Zweite Begründung: Die Medientage GmbH besetzt nur einen Teil der Podien selbst. Die anderen richten Mitveranstalter aus, zum Beispiel Unternehmensberatungen. Diese habe man zwar gebeten, Frauen stärker zu berücksichtigen, erzwingen könne man das aber nicht. Wir denken, die Überzeugungsarbeit könnte hier aber größer sein - und wollen das auch selbst in die Hand nehmen. Über die Medientage werden wir uns mit Kritik und Vorschlägen an die Mitveranstalter wenden. Für 2016 schlagen wir einen Workshop vor: Frauen auf die Podien - so geht's!
Dritte Begründung: Es liegt an den Strukturen in den Medienhäusern. In den Chefsesseln sitzen eben Chefs, nicht Chefinnen. Das stimmt auch, aber die BR-Journalistin Sissi Pitzer, Initiatorin der Aktion, erklärt:
"Auf jeden Fall sollte man sich trauen, Podien auch mit Frauen zu besetzen, die noch nicht so bekannt sind – sonst werden sie es ja nicht. Und die immer gleichen Referenten sind auf die Dauer nur langweilig."Und wenn die Verlage, Agenturen oder Sender dann - wie es tatsächlich passiert - immer wieder einen Mann schicken, könnte man ja auch mal nein sagen, weil man schon zu viele davon auf dem Panel hat.
Das Ergebnis zählt
Unsere Erklärung: Wer wirklich Frauen gewinnen will, muss sich dazu lange vorher Gedanken machen - auch schon bei der Themenfindung, Referentinnen nicht nur anfragen, sondern ermutigen, nicht nachlassen - und eine weitere Frau anfragen, wenn eine absagt - und dann nicht doch einen Mann, wenn einem erst einmal keine einfällt. Wir haben den Veranstaltern eine Liste zur Recherche gegeben und unsere Hilfe angeboten. Anfragen an die Frauenverbände kamen aber nicht.
Die Klage von den absagenden Frauen können unsere Netzwerke nicht bestätigen: Wenn sie Veranstaltungen organisieren, kommen die Referentinnen. Binnen zwei Tagen hatte ProQuote Regie die Zusagen der Publizistin Anke Domscheit-Berg und der Professorin Isabell Welpe für ein Panel der Medientage. Eigene Podien hatten wir zunächst nicht geplant, weil wir die Strukturen verändern wollen - und nicht ehrenamtlich in die Bresche springen. Doch dann siegte der Ehrgeiz, den offenen Slot zu füllen.
Wieder einmal zitieren wir hier im Watch-Salon den Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch - weil es einfach niemand besser gesagt hat:
"Wenn ihr die Frauen in dem Moment verzweifelt suchen müsst, wenn ihr eine Konferenz oder ein anderes Projekt plant, dann lebt ihr euer Leben falsch. Denn wenn ihr es richtig leben würdet, würdet ihr jeden Tag mit Frauen über eure Themen sprechen und dann müsstet ihr gar nicht groß nachdenken, wenn ihr Frauen für Projekte sucht."
Was gibt es Neues?
Mehr Raum als auf den Podien bekommen Frauen auf der Messe, die parallel zum Kongress läuft. Am Donnerstag den 22. Oktober veranstalten die hier schon erwähnten Frauennetzwerke die Aktion "Media Women Connect". Wir präsentieren "Kolleginnen" in Vorträgen und Gesprächen, "Kontroverse" in Impulsen und Diskussionen - und bieten Beratung und Workshops zum Thema "Karriere". So wollen wir auf der Ausstellungsfläche im Foyer den Grundstein dafür legen, dass mehr Frauen die Podien auf dem Kongress erobern - weil jedeR sieht, dass es geht und sich die ein oder andere noch den letzten Anstoß dafür holt.
Die Medientage melden als Erfolg: Miriam Meckel, Chefredakteurin der WirtschaftsWoche hält als erste Frau in der MTM-Geschichte die Keynote zur Eröffnung. Jetzt bleibt nur noch zu wetten, dass (…?) Thomas Gottschalk, der wieder einmal männliche Gipfel-Moderator, sie nicht tätschelt oder Herrenwitze reißt.
Die Medientage haben große Schritte auf die Frauennetzwerke zugemacht und uns mit dem Aktionstag viel ermöglicht. Dafür bekommen Sie auch ein Angebot, das ihre Veranstaltung bereichert. Auch sonst hat man etwas getan, die traditionelle Veranstaltung zu beleben, zum Beispiel Podien verkürzt. Mehr Experimente wären denkbar, wohl auch notwendig: andere Formate, neue Gäste. Der Kongress muss auch jünger werden - und der Nachwuchs ist vor allem weiblich. Dass - gerade bei der Frauenfrage - noch etwas zu tun bleibt, scheint den Medientagen klar zu sein, denn Christoph Tusch schrieb uns:
"Es geht ja schlussendlich um das Ergebnis, nicht um die Absicht, das ist uns natürlich schon bewusst."Wir denken, da geht noch mehr. Da muss mehr gehen. Qualität braucht eine bessere Frauenquote - mehr als 25 Prozent, mindestens 30. Und die hohe Zahl der Moderatorinnen schönt wohl auch etwas die Bilanz. Da machen wir weiter Druck, denn wir sind jetzt zwar gut vernetzt mit den Medientagen - aber nicht eingewickelt.
Ja: Es wurde für die MTM 2015 viel zu wenig erreicht, es sollten deutlich mehr Frauen auf den Podien werden. Aber: MTM GF Tusch ist wenigstens ehrlich und kommunikativ, und er probiert Neues aus: MEDIA WOMEN CONNECT soll mit unserer aller Einsatz eine tolle Veranstaltung werden, die dann hoffentlich auch für 2016 ff positive Folgen zeigt.
AntwortenLöschenTolle Initiative von den 8 Frauennetzwerken! Bin begeistert und freue mich auf den Aktionstag von MEDIA WOMEN CONNECT und den Panel von Pro Quote Regie auf den Medientagen am 22. 10. 2015!
AntwortenLöschenWie Angelika und der jb finden übrigens auch die Verbände Business Professional Women Club München, Chancengleichheit-BJFrau, #DMW Digital Media Women, ProQuote, ProQuote Regie, webgrrls.de und Women in Film and Television WIFT Germany: Da geht noch mehr! Siehe die gemeinsame Pressemitteilung der Verbände.
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