Mittwoch, 24. Mai 2017

Die Vielseitige aus dem Osten - Fünf Fragen an Gislinde Schwarz

von Tina Stadlmayer


Der Journalistinnenbund feiert sein 30jähriges Jubiläum, vom 30. Juni bis 2. Juli 2017 am Gründungsort Frankfurt. Bis dahin stellt der Watch-Salon mit der Interviewserie "Fünf Fragen" in lockerer Folge ganz unterschiedliche Kolleginnen des jb vor, um die Vielfalt unseres Bündnisses und der jeweiligen journalistischen Arbeit zu zeigen.

Sie ist Teil eines eingespielten Teams - Gislinde Schwarz.  / Foto: Christian Muhrbeck


Ich habe Gislinde Schwarz Ende der 90er Jahre bei einem Treffen der Regionalgruppe Berlin des jb kennen gelernt. Als West-Frau mit wenig Ahnung vom Osten fand ich es unglaublich spannend, was sie über ihre Arbeit als Journalistin in der DDR erzählte. Zum Abschied gab sie mir damals die Hand. Und ich schämte mich ein wenig, weil wir Wessis so schlechte Manieren hatten und uns niemals die Hand gaben.



Gemeinsam mit Rosemarie Mieder hast du 1990 das Journalistinnenbüro Berlin gegründet. Auf welches eurer Projekte aus der letzten Zeit bist du besonders stolz?


Auf das Dossier  "Wohnungen in Volkes Hand"  - es ist vor zwei Wochen im Deutschlandfunk gelaufen. Es geht um Wohnungsprivatisierungen in Osteuropa. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bekamen viele Mieter dort ihre Wohnungen nahezu geschenkt. Das klingt toll – aber es gab schnell Probleme. Die Bausubstanz war  heruntergekommen, die Heizkosten stiegen - viele können sie nicht mehr bezahlen, haben aber auch kein Geld für eine Sanierung. Außerdem war es ungerecht, der Funktionär bekam seine große Altbauwohnung im Zentrum Moskaus und die Arbeiterfamilie ihr Zimmer in einer Gemeinschaftswohnung. Wir haben Interviews in Lettland geführt und mit vielen Betroffenen aus anderen osteuropäischen Ländern gesprochen.


Du hast in der ehemaligen DDR deine Ausbildung zur Journalistin gemacht. Warum wolltest du damals ausgerechnet Journalistin werden?


Ich wollte etwas in der DDR verändern – und das schien mir ein gangbarer Weg. Völlig naiv – wie ich heute weiß - und auch schnell merken musste. Ich hatte geglaubt, dass die wichtigste Eigenschaft von Journalisten ein kritisches Hinterfragen ist. Aber genau das war im Studium überhaupt nicht gewollt. Im Gegenteil – wir hatten alles so hinzunehmen. Wir haben allerdings auch das journalistische Handwerk gelernt: Stilistik, Gesprächsführung, journalistische Genres.

Nach dem Studium habe ich in einer Lokalredaktion gearbeitet, wollte aber unbedingt zur Frauenzeitschrift "Für Dich". Die Kolleginnen dort waren damals durchaus kritisch und haben sich was getraut. Aber der ideologische Druck wurde immer härter, unser Spielraum kleiner. Das schien sich mit Gorbatschow zu ändern – und erst recht mit dem Mauerfall. Wir waren eine kleine Gruppe von Redakteurinnen, die aus der "Für Dich" ein feministisches Zwischending zwischen "Stern" und "Spiegel" machen wollten. Dann aber wurde der Verlag verkauft, es kam eine neue Chefredaktion und mit ihr ein neues Konzept im "Tina"-Verschnitt. Für mich war an der Stelle Schluss. Ich habe gekündigt und mich entschlossen, fortan als freie Journalistin zu arbeiten.


Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Rosemarie Mieder und dir entstanden?


Rosi wurde vom Unabhängigen Frauenverband in die Redaktion der "Für Dich" geschickt. Ich hatte den UFV mitgegründet und wollte unbedingt, dass er zwei eigene Seiten im Heft und Schreibtisch und Telefon in unserer Redaktion erhält. In der "Wunderzeit" des Umbruchs war so etwas möglich. Wir haben beide schnell gemerkt, dass wir gut zusammen arbeiten können. Nach meiner Kündigung wurden wir dann ein Team: Gemeinsam haben wir versucht, als Freie in dieser für uns unbekannten kapitalistischen Gesellschaft erfolgreich zu sein. Es begann damit, dass wir unsere Texte gegengelesen – irgendwann haben wir sie dann gleich gemeinsam geschrieben – zumindest die großen Sachen.

Viele Aufträge, die wir damals hatten, kamen über den jb. Am Anfang waren wir so etwas wie die Ost-Erklärerinnen für den Westen. Wir schrieben beispielsweise Reportagen und Porträts für Die Zeit, die FAZ und Cosmopolitan. Ein neues Standbein wurde die Rundfunkarbeit – für den HR, den WDR, aber auch für den MDR. Wir haben Broschüren getextet, zum Beispiel für die "Selbsthilfeinitiative Alleinerziehender", für die Alzheimer Gesellschaft oder auch das Brandenburger Frauen- und Familienministerium. Über viele Jahre waren wir an einem Biografieprojekt des Ost-West-Europäischen Frauennetzwerks beteiligt. Übrigens habe ich in dieser Zeit auch sehr eng mit einer Westkollegin gearbeitet – Ulrike Helwerth. Wir haben über Ost- und Westfeministinnen, deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede geforscht.

Eine Erfahrung über die vielen Jahre ist, dass es gut war, immer mehrere Standbeine zu haben. So ließ sich lange Zeit kompensieren, wenn Auftraggeber weg fielen. Trotzdem ist es inzwischen sehr schwer geworden: Die Märkische Allgemeine, für die wir als Gerichtsreporterinnen gearbeitet haben, wurde verkauft. Auch beim Rundfunk sind viele unserer Ansprechpartnerinnen inzwischen in Rente, viele Frauensendungen gibt es nicht mehr.

Ein neuer Versuch ist unser Projekt: Die Biografinnen. Wir bieten an, private Lebensläufe aufzuschreiben oder Hörbücher daraus zu machen. Mal sehen was daraus wird.


Gislinde Schwarz


Journalistinnenbüro Berlin

Branche: Print, Hörfunk und PR
Beruf: Journalistin
Standort: Regionalgruppe Berlin
jb-Engagement:
1991 bis 1993 im Vorstand


Du hast zwei Kinder und warst allein erziehend. Wie hast du es geschafft, trotzdem als Journalistin zu arbeiten?


Meine Jungs waren 10 und 13, als ich anfing, freiberuflich zu arbeiten. Das war eine Zeit, in der sie mich sehr gebraucht hätten. Auch für sie änderte sich ja ringsum alles. Ich aber dachte damals: Wenn du nicht Tag und Nacht am Schreibtisch sitzt, verhungern deine Kinder. Sozialhilfe zu beantragen, war für mich unvorstellbar. Also waren die Jungs am Nachmittag allein. Und wenn ich da war, hatte ich zu tun. Das tut mir heute sehr leid.


Warum gibt es so wenige Kolleginnen aus dem Osten im jb?


Die meisten meiner damaligen Kolleginnen sind nicht im Journalismus geblieben. Und wenn, sahen sie nicht die Notwendigkeit eines Frauennetzwerkes. Bei jüngeren Kolleginnen – beispielsweise in unserer Berliner Regionalgruppe - spielt es kaum noch eine Rolle, ob sie aus Ost oder West kommen. Leider gibt es in den neuen Bundesländern derzeit keine weitere Regionalgruppe, deshalb treten dort kaum neue Frauen ein. Da fehlt die Anziehungskraft. Wo könnten wir noch eine Regionalgruppe gründen? Aus meiner Sicht nur in den Medienzentren Leipzig/Halle.

Mir selbst hat der jb sehr viel gebracht: Ohne unseren Verband hätte ich es kaum geschafft, nach der Wende als freie Journalistin Fuß zu fassen. Ich bin sehr dankbar für die solidarische Unterstützung in dieser Zeit.


Schön, dich im jb dabei zu haben, Gislinde!

***

In dieser Serie erschien bereits:

Die feministische Filmlöwin - Fünf Fragen an Sophie Rieger
Die interkulturell Kompetente - Fünf Fragen an Kerstin Kilanowski
Die historisch bewanderte Autorin - Fünf Fragen an Maren Gottschalk
Die medienkritische Beobachterin - Fünf Fragen an Sissi Pitzer
Die multimediale Preisträgerin - Fünf Fragen an Katharina Thoms
The flying Journalist - Fünf Fragen an Christa Roth
Die vielgereiste Dozentin - Fünf Fragen an Cornelia Gerlach
Die flexible Vermittlerin - Fünf Fragen an Jasmin Lakatos
Die vielseitige Freie - Tina Srowig
Die forschende Blattmacherin - Fünf Fragen an Barbara Nazarewska
Die schreibende Psychologin - Fünf Fragen an Nele Langosch
Die Neue im Team - Fünf Fragen an Eva Hehemann
Die Gründerinnen des Medienlabors - Fünf Fragen an Helga Kirchner und Sibylle Plogstedt

Weitere interessante Kolleginnen im Journalistinnenbund finden sich in der Expertinnendatenbank.


Kommentare

  1. Schönes Interview. Ich bin froh, dass wir im jb-Berlin erfahrene Journalistinnen wie Gislinde mit einer interessanten Ost-West-Biografie haben.

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