Freitag, 20. Oktober 2017

Der Fall des Harvey Weinstein

oder: Emma Thompson über die Gender-Krise


Ein Beitrag zur "Englischen Woche" von Eva Hehemann

          

Es rauscht mal wieder gewaltig in den internationalen Medien: Harvey Weinstein, Chef von Miramax und Produzent zahlreicher Blockbuster, mit 81 Oscars für seine Filme einer der erfolgreichsten Player Hollywoods, wird beschuldigt, über Jahrzehnte hinweg Frauen sexuell belästigt, missbraucht und sogar vergewaltigt zu haben. Wie sollen wir diesen Skandal bewerten? Ist das Öffentlich-werden der Verbrechen eines der mächtigsten Männer der Welt nur eine weitere Moritat à la Strauß-Kahn? Oder werden wir jetzt Zeugen eines echten Fortschritts im Kampf gegen Sexismus?

Wohlgemerkt – angeklagt wurde Weinstein vorerst nur in den Medien, zuerst in der New York Times und im New Yorker; die Justiz beginnt jetzt erst mit den Ermittlungen. Auch in Großbritannien ist Weinstein eine einflussreiche Figur und bewunderter Star der Film-Branche. Doch jetzt erzählen immer mehr britische Schauspielerinnen öffentlich, was sie von ihm zu erleiden hatten, wie er sie in Angst und Schrecken versetzte, sie brutal belästigte und ihnen die Karriere ruinierte, wenn sie nicht willig waren. Selbst ihre Lebenspartner wurden nicht verschont; sollten diese ebenfalls Schauspieler sein, war auch deren weitere Laufbahn erschwert.


Emma Thompson erklärt das System


Schauspielerin Emma Thompson, Golden Globe und Oscar-Preisträgerin, hat sich in einem viel beachteten Interview für die BBC mit Emily Maitlis zur Causa Weinstein geäußert, nicht als Opfer oder Zeugin, sondern als Beobachterin der Szene. Sie beschreibt einen Machtkampf, in dem mit allen Mitteln der Unterdrückung, Demütigung, Erniedrigung, Verleumdung und eben auch mit sexuellen Übergriffen die Dominanz einer extremen Männlichkeit aufrecht erhalten wird. Sie sieht diese Männlichkeit zwar in einer Krise, aber diese Gender-Krise ist noch nicht gelöst und auch nicht nur in der Film-Branche virulent, sondern überall in der Gesellschaft. Jede Frau habe in ihrem Leben schon darunter zu leiden gehabt, zu allen Zeiten. Das Ungleichgewicht der Geschlechter müsse ausgeglichen werden, meint Thompson, damit sich etwas ändern könne.

Wobei man ihr denselben Vorwurf machen könnte wie all den anderen Zeugen und Betroffenen: Warum erst jetzt? Warum nicht schon vor zig Jahren? Vor allem als eine Frau, die sich – auch in diesem Interview – rühmt, so „bolshie“, also aufmüpfig und unbequem zu sein, dass sie sich immer gegen Ungerechtigkeiten gewehrt und schonungslos ihre Meinung gesagt hätte. Die sich ihrer privilegierten Stellung als gebildete, wirtschaftlich unabhängige, weiße Frau bewusst ist und sich immer schon als linke, feministische Aktivistin hervorgetan hat. Und die den Sexismus ihrer Branche als endemisch bezeichnet und Weinstein als die Spitze des Eisbergs.

Die Ankündigung des Interviews bei Twitter/Foto: Bildschirmfoto

Noch verstörender als die Unzahl widerlicher Angriffe auf junge Frauen von einem Mann, der mit der englischen Bezeichnung „Predator“, also Raubtier, nur zu gut beschrieben ist, findet auch Emily Maitlis das Schweige-Kartell. Zumal in einer Branche, die sich bei ihren Aufmerksamkeit heischenden und selbst beweihräuchernden Preisverleihungen gerne als moralische Instanz stilisiert. Nicht nur die Männer haben geschwiegen, nicht nur die Freunde Weinsteins, nicht nur seine von ihm abhängigen Mitarbeiter, nein! Auch die Frauen – Opfer wie Zeuginnen – haben mit ihrem Schweigen das Raubtier geschützt, ihm damit den Weg zu weiteren Übergriffen freigehalten, das System des Couch-Castings damit erst ermöglicht. Hinter vorgehaltener Hand wurden die jungen Frauen von Kolleginnen gewarnt. Aber was alle wussten, wurde nicht verhindert, sondern durch Schweigen sanktioniert, mit harmlosen Witzen kommentiert und allgemein belächelt. Eine Toleranz, die die Branche gleichzeitig gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen nicht aufbringen wollte.

Aber sehen wir einmal darüber hinweg, wie heuchlerisch es sein mag, sich jetzt erst zu äußern, wo es alle tun und es deshalb keines besonderen Mutes mehr bedarf, sich in die lange Reihe der AnklägerInnen zu stellen. Was Emma Thompson über den Sexismus der Filmbranche zu sagen hat, ist beachtenswert und stellt eine kluge Analyse dar. Und sie greift sich an die eigene Nase, wenn sie beschreibt, wie sie sich einst im Skandal um Roman Polanski verhielt: Zuerst unterschrieb sie aus Respekt für seine Kunst eine Petition zu seinen Gunsten, später zog sie ihre Signatur wieder zurück, weil sie nach Kritik von Feministinnen einsah, dass ihre Unterstützung für einen Vergewaltiger nicht angebracht war.

Maitlis fragt, warum all die anderen Männer, die sich in ähnlicher Weise schuldig gemacht haben, nicht ebenfalls entlarvt und öffentlich beschuldigt werden. Thompson erklärt das mit der Angst der machtlosen Frauen. Es müssten mehr Frauen in Spitzen-Positionen, auch die Crews müssten gemischter werden. Für junge Frauen sei es nicht leicht, sich durchzusetzen und sich gegen Mobbing zu wehren. Hinzuzufügen wäre, dass Anschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs nicht so leicht zu beweisen sind. Nicht nur riskiert eine junge Schauspielerin, die als Einzige solche Vorwürfe gegen einen mächtigen Industrie-Boss öffentlich macht, dass ihre Karriere im Sand verläuft, sondern es drohen ihr auch Verleumdungsklagen und andere Strafmaßnahmen des Systems, um sie zum Schweigen zu bringen; "bestenfalls" wird sie dafür vom Beschuldigten wenigstens bezahlt. 


Die Instrumente der Unterdrückung


In den beiden vorigen Beiträgen auf diesem Blog hat Tina Stadlmayer berichtet, wie BBC-Reporterinnen unter hasserfüllten verbalen Attacken auf ihre Person zu leiden haben, dass in einigen Fällen sogar Bodyguards notwendig sind. Und sie ist auf die Lohn-Ungerechtigkeit in der BBC eingegangen. 

Üble Nachrede und Diffamierung, Lohn-Diskrimierung und schließlich sexueller Missbrauch werden von Mächtigen eingesetzt, um ihre Stellung zu verteidigen, um vermeintlich Schwächere zu demütigen, sie klein zu halten und zu quälen. Solange die Macht noch vornehmlich in den Händen von Männern liegt, sind hauptsächlich Frauen ihre Opfer. Aber wir sollten bedenken, dass diese Mechanismen eigentlich nichts mit Geschlecht oder Sexualität zu tun haben! Sie sind universelle Instrumente der Macht, die auch gegen schwächere Männer und immer gegen Kinder eingesetzt werden. Und auch von mächtigen Frauen angewandt werden gegen ihnen Unterlegene. Und wo wir schon dabei sind: Auch in der deutschen Film-Branche muss das Schweigen enden.

Was hilft? Transparenz zuallererst. Die Schweige-Kartelle müssen gebrochen werden, nicht nur in der Film- oder Finanz-Branche, nicht nur von den Opfern, sondern auch von den unfreiwilligen Zeugen. Es braucht Mut dazu und sehr viel Solidarität der Starken mit den Schwachen. Erst wenn sich innerhalb eines bestehenden Systems alle entschließen, jederzeit gegen Machtmissbrauch aufzustehen und sich mit den Opfern zu solidarisieren, wird es nicht mehr möglich sein, mit solchen Übergriffen fortzufahren. Bis auf Weiteres sind vor allem auch Männer aufgerufen, sich auf die Seite der Frauen gegen alle diejenigen Männer zu stellen, die noch immer glauben, ihre Machtposition ausnutzen und Frauen als Verfügungsmasse behandeln zu können. Überall, wo es um Geld und Macht geht, müssen wir genau hinsehen und uns wehren. Initiativen dazu gibt es bereits weltweit und immer zahlreicher werden auch die Frauen, die es wagen ihre Stimme zu erheben. 

In den Worten Emma Thompsons: „We have to speak out, all the time!“


In unserer "Englischen Woche" erschienen bereits:
Mit Bodyguard zum Parteitag und Lohndiskriminierung bei der BBC von Tina Stadlmayer


Kommentare

  1. Eure "englische Woche" ist sehr interessant, allerdings vermisse ich etwas den Blick auf weniger priviligierte Frauen.Natürlich sind alle Frauen betroffen - ob beim Lohndumping oder bei den sexuellen Übergriffen á la Weinstein. Das Schlimme daran ist ja in beiden Fällen, dass es so "normal" erscheint. Und ja: Erst die Öffentlichmachung, kann ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es sich bei sexueller Gewalt nicht um testorengesteuerte männliche Bedürftigkeit handelt, sondern um Machtmissbrauch.

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