"Jenseits der 60 feministisch sein heißt: eine uns angemessene Stärke zu leben" schreibt Charlotte Wiedemann in ihrem taz-Artikel "Selbstgewiss und radikal. Wie geht Feminismus ab 60?". Der Beitrag hat im Netz für Aufsehen gesorgt und uns zu diesem Blog-Artikel inspiriert. Die Autorin kritisiert, viele Frauen könnten das Ältersein "nur als Niederlage erleben". Für Frauen, die in der Öffentlichkeit tätig sind, wirke "dieser Mechanismus ganz besonders". Denn: "Die ersichtlich ältere Frau ist in den Medien kaum präsent". Folglich müsse das Alter verborgen werden. Aber auf diese Weise ändere sich natürlich nichts. Zum Jünger-wirken-Wollen gehöre "nicht etwa nur das Färben der Haare", sondern es sei "in zweifacher Hinsicht ein Verzicht". Zum einen auf Autorität und zum anderen darauf, sich abzusetzen vom "ästhetischen wie geistigen Konformismus".
Die These vom "unsichtbaren Geschlecht" bezeichnet Wiedemann als "albern". Auch ein Mann leide unter dem Verlust von Sexappeal, "aber er käme nicht auf die Idee, sich als unsichtbar zu bezeichnen." Sie appelliert: "Solange die Frauen selbst eine ältere Frau nicht wertschätzen, wird sich nichts ändern." Charlotte Wiedemanns Artikel hat vier Watch-Salon-Autorinnen dazu angeregt, ihre eigenen Erfahrungen mit dem Älterwerden als Feministin aufzuschreiben.
Magdalena Köster: Männer reden nicht über müde Genitalien
Es ist richtig, dass ältere Frauen in den Medien selten zu sehen sind. Aber immerhin ist das Thema jetzt im Gespräch, nachdem unter anderem die Schauspielerin Maria Furtwängler eine Untersuchung dazu angeregt hat und sich außerdem in ihrem letzten Tatort einen betont nachlässigen Auftritt leistete. Gleichzeitig muss ich mir etwa im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und der Politik richtig "schiache", jüngere wie ältere, Männer anschauen. Deren Aussehen wird niemals beanstandet - aber ich denke bei ihrem Anblick oft: "wenn das jetzt eine Frau wäre, das gäbe wieder üble Beschimpfungen".
Mich regt auf verschiedenen Ebenen auf, wie hart mit dem Äußeren von Frauen umgegangen wird, gerade wenn sie älter werden. Und mich ärgert genauso, dass Frauen wie Männer diesen Unsinn nicht durchschauen. Neulich am Tisch bei Freunden: Ein Bekannter, über 60, lange geschieden, allein, macht eine blöde Bemerkung über welke Frauenbusen. Ich sage ihm: "Du kennst doch kaum ältere Busen, woher denn auch? Ich aber kenne viele, meinen eigenen, den meiner zahlreichen Freundinnen, den vieler fremder Frauen in der Schwimmbaddusche. Und ich versichere dir, die sehen weiterhin gut aus, vielleicht ein wenig anders, aber stimmig, wie überhaupt ein nackter Körper meinem Gefühl nach fast immer stimmig wirkt." Dieser Bekannte trug nichts als ein Bild in seinem Kopf herum, wahrscheinlich eines, dass ihm in der Jungsclique mit 14 eingetrichtert wurde.
Ich wollte an diesem Abend nicht noch ein Fass aufmachen, dachte aber verschärft über älter werdende Männer nach. Wieso kann es sein, dass nicht ebenso wie dieses Klischee vom "hässlichen, hängenden Frauenbusen" das Klischee vom "hässlichen, hängenden Penis" in der Welt ist? Weil die Männer nicht mal im Traum daran denken, über ihre älter und müder werdenden Genitalien zu sprechen! Und weil wir Frauen, das finde ich jetzt am interessantesten, schonend mit den Männern umgehen. Schon die Mädchen könnten sich doch kichernd über Form, Farbe und Größe des Anhangs bei Jungen lustig machen, Frauen mit viel Erfahrung erst recht. Aber wir machen es nicht, sind dezent, vorsichtig, schauen großzügig über durchaus vorhandene Unterschiede hinweg.
Noch mal zum Älterwerden und dieser These vom Unsichtbarwerden der Frauen: Auch hier lassen sich leider viele Frauen ins Bockshorn jagen. Denn auch wenn ältere Männer in den Medien, der Wirtschaft und Politik deutlich präsenter sind, so sind sie doch als private Wesen genauso wie Frauen mit dem Älterwerden konfrontiert, leiden unter spärlichen Haaren und nachlassender Potenz. Es heißt ja nicht umsonst, Älterwerden ist nichts für Feiglinge. Es ist ein manchmal durchaus schmerzlicher Prozess, der leider immer wieder sehr geschickt mit nachlassender Weiblichkeit verbunden wird. Verlustängste, die es ja gibt, werden vor allem uns Frauen zugeschrieben, völlig zu Unrecht. Denn sobald ein älter werdender Mann ohne den Schutzschirm eines attraktiven Jobs spazieren geht oder am Tresen steht - auch durch ihn schauen junge Leute hindurch, und zwar beide Geschlechter, weil ihnen Ältere auf den ersten Blick erst mal langweilig erscheinen. Dieser Kränkung können wir Frauen sogar leichter widerstehen, wenn wir unsere soziale Kompetenz bewahren, wenn wir interessiert bleiben - an den Jungen, an den Alten, an der Musik, der Kunst, der Politik, aber auch an dem neuesten technischen Tüddelkram. Für die heißen Themen des Älterwerdens wie Balkonbepflanzung und Vögelbeobachtung bleibt da immer noch Raum.
Das Thema begleitet uns schon länger. Foto: Magdalena Köster |
Tina Stadlmayer: Die Jüngeren hadern mit dem Älterwerden
Neulich habe ich mich dabei ertappt, dass ich mich gegenüber einer Mitstudierenden älter gemacht habe. Ich besuche regelmäßig Kurse und Diskussions-Runden an der "University of the Third Age" (U3A, gibt es auch in Deutschland). Dort bin ich mit meinen 57 Jahren natürlich eine der jüngsten. Ich möchte aber am liebsten auch so weise und erfahren wirken, wie die wunderbaren Frauen, die ich hier treffe. Das Prinzip dieser Uni: Alle geben das, was sie im Laufe ihres Lebens gelernt haben und gut können, an andere weiter. Meine Französischlehrerin ist zum Beispiel 80 Jahre alt. An dieser Uni gibt es 100 verschiedene Kurse von "Anthropology" bis "Women and the Law". Hier lerne ich immer wieder interessante, kluge, fitte und geistreiche alte Menschen kennen. Sie haben mir die Angst vor dem Altwerden ausgetrieben, die ich bis vor Kurzem durchaus hatte. So unternehmungslustig, interessiert und engagiert wie meine Mitstudierenden möchte ich mit 80 auch noch sein. Im Kurs "Politics and Current Affairs" besprechen wir zum Beispiel jede Woche, was aktuell in der Welt so los ist. Frauen diskutieren in dieser Runde aber genauso engagiert und eloquent wie die Männer. Sie sind alles andere als unsichtbar und geben den oft langatmig ausholenden Selbstdarstellern ordentlich contra.
Die meisten Frauen an dieser Uni legen übrigens großen Wert auf ihr Äußeres. Das heißt nicht, dass sie nicht zu ihrem Alter stehen. Sie färben sich die Haare und schminken sich, weil sie eben auch mit 80 oder 90 noch gut aussehen wollen. Das finde ich wunderbar. Ich habe mir übrigens auch mit 20 schon die Haare gefärbt.
Ein weiterer Kreis, der mir für den Alltag Kraft gibt, ist die feministische Red-Tent-Frauenrunde, die sich einmal im Monat zusammen kommt. Solche Runden treffen sich regelmäßig in vielen Ländern. Es ist ein geschützter Raum, aus dem nichts nach draußen dringt. Hier reden wir über ganz persönliche Erfahrungen und Sorgen. Die Jüngeren profitieren von den Erkenntnissen der Älteren und umgekehrt. Oft geht es um die Angst vor dem Altwerden und vor dem Tod. Zu unserem Red Tent gehören Frauen zwischen 25 und 85 Jahren. Und es sind die Jüngeren, die am meisten mit dem Älterwerden hadern und sich vor dem Tod fürchten.
Eva Hehemann: Mein Ziel war immer, weise zu werden
Meine Tante darf man mit ihren 75 Jahren als alt bezeichnen; im Vergleich zu ihr wird mir die ganze Zeit tröstend versichert, dass 60 heutzutage das „neue 40“ sei und wie jugendlich ich noch wirke. Ist nett gemeint, aber mir fehlt der Ehrgeiz. Ich glaube, wir haben seltsame gesellschaftliche Vorstellungen vom Altern und das betrifft nicht nur uns Frauen. Wenn das Äußerliche so überbewertet wird, dann scheint das eben für ein integriertes, akzeptiertes Altern hinderlich zu sein. Wir gehen mit vermeintlicher Schwäche auch nicht gut um, Schönheit ist überbewertet und Norm-Abweichungen erschweren einem das Leben.
Aber ganz ehrlich: ich leide nicht! Ich werde nur alt und bin dafür super dankbar, denn ich lebe gerne! Und weil mein Ziel immer war, weise zu werden, und ich nie schön genug war, um daraus eine Karriere zu machen, habe ich nicht das Gefühl, weniger sichtbar zu sein. Ich finde, man muss sich nicht jeden Schuh anziehen, nicht jedes Problemchen bejammern. Es gibt so viele riesige Probleme, mit denen sich zu beschäftigen wichtiger wäre. Und solange sich das Hirn nicht vor dem Rest verabschiedet, kann sich jede einsetzen und nützlich machen. Da ist es eine Erleichterung, wenn sich gewisse Leute nicht mehr mit einem beschäftigen wollen.
Angelika Knop: Manche Empfindungen müssen reifen
„Selbstgewiss, radikal und gelassen“, mit diesem Ziel von Charlotte Wiedemann kann ich mich sofort identifizieren. Und ich hoffe, ich kriege das noch deutlich vor 60 hin. Eigentlich sollte man sich als Feministin doch immer so fühlen. Aber das Leben bringt eben Veränderungen, die verunsichern: der Berufseinstieg, Kinder und der Kampf um Vereinbarkeit von Beruf und Familie, der Stoß an die gläserne Decke. Und auch das Alter. Plötzlich kommen die Einschläge näher: Die Freundin hat Brustkrebs, der Bekannte einen Herzinfarkt. Und wenn es beim Zumba plötzlich so im Knie zieht, ist der Gedanke an das künstliche Gelenk der Tante auch nicht gerade tröstlich. Dann hört man aus Redaktionen, dass doch nur Digital Natives gute Social Media Journalist*innen wären und weiß sehr genau, dass man sich als Moderatorin zumindest beim Privatfernsehen nie wieder bewerben braucht. Die Aussicht auf Altersweisheit hilft da im ersten Moment nicht viel. Ich finde es also verständlich, dass Frauen (Männer übrigens auch) Gedanken und Zeichen der eigenen Vergänglichkeit zumindest eine Zeit lang verdrängen, sich selbst und andere ein wenig „beschummeln“. Wir verdecken ja auch schon in jungen Jahren weniger Vorteilhaftes durch Kontaktlinsen, geschickt geschnittene Kleider und aufgepeppte Lebensläufe.
Und ja, damit unterstützen wir die gesellschaftliche Haltung, an der wir uns selber stören. Aber tun wir das nicht auch, wenn wir einen Hosenanzug anziehen, um Karriere zu machen oder wenn wir dem Grapscher in der U-Bahn keine knallen? Müssen wir immer und überall kompromisslos, furchtlos und damit möglicherweise manchmal auf verlorenem Posten sein? Ich übrigens hake mich nicht nur bei Frauen auf dem Bildschirm an Äußerlichkeiten fest, sondern auch wenn Jens Riewa eine seltsam gemusterte Krawatte trägt. Das ist oberflächlich, aber menschlich. Und es amüsiert mich mächtig, wenn ich zehn bis 15 Jahre jünger geschätzt werde, auch wenn das vermutlich mit dem schummrigen Kneipenlicht, dem Alkoholpegel oder den Absichten meines Gegenübers zusammenhängt. Werde ich deswegen irgendwann „unsicher und gedemütigt“ das Ältersein beginnen, wie Charlotte Wiedemann meint? Vielleicht ja auch gelassener, weil ich mir weniger Gedanken darüber gemacht habe, ob der kurze Rock nun noch würdevoll ist. Oder gesünder, weil ich im Fitnessstudio länger gegen Begleiterscheinungen vorbeuge. Ich habe ganz gute Erfahrungen damit gemacht, Entscheidungen auch mal zu vertagen. Manche Empfindungen müssen eben reifen, bis frau sich in der Situation wohlfühlt.
Wir freuen uns über Kommentare und Anmerkungen zu diesen Beiträgen. Am Freitag schreibt Christine Olderdissen im Watch-Salon über: "Wenn Feministinnen älter werden..."
Ich habe nicht das Gefühl von meinen Mitmenschen nicht mehr wahrgenommen zu werden, aber ich werde anders wahrgenommen. Das Alter betreffend oft jünger als ich bin - meistens von erheblich jüngeren Zeitgenossen. Das liegt natürlich an ihrer mangelnder Erfahrung und vermutlich an meinem Habitus. Ich bilde mir darauf gar nix ein, denn ich bin es, die mich selbst am kritischsten betrachtet. Das liegt daran, dass ich eine bestimmte Vorstellung habe, wie ich NICHT sein möchte. Das hat weniger mit der Anzahl der Jahre zu tun, denn mit der Lebensart, die sichtbar wird. Weder möchte ich satt, behäbig und matronenhaft vor den Sahnehäubchen meines Lebens sitzen, noch vertrocknet, verbittert, verhärmt die Verluste des Lebens beklagen. Natürlich kann frau das auch alles mit 25 werden, aber ehrlicherweise müssen wir doch sagen, dass eher die "älteren" Semester betrifft. Oft sehe ich junge Menschen und denke, mein Gott, so jung und schon so spießig! In disem Kontext werde ich vermutlich auch mit 80 - sollte ich sie erreichen - jung bleiben und alt aussehen.
AntwortenLöschenStimmt, jung und spießig, gar nicht so selten. Allein schon diese irren Hochzeiten heute!
LöschenJa, das ist wirklich irre: Allein die Planungsphase kann ein Jahr dauern, alles muss perfekt sein. Was für ein Druck für alle Geschlechter! Überhaupt habe ich den Eindruck, dass die jüngere Frauengeneration viel mehr planen muss, als es meine (Jg.1958) musste. Alles: Ausbildung, Beruf, Partnerschaft, Kinder, Urlaub, Spaß, Rente...Wenn mir jemand mit 20 gesagt hätte, ich müsste auch an meine Rente denken, hätte ich ihm/ihr den Vogel gezeigt. Na, ja Risiko ist schön, hat aber auch Folgen ;)
LöschenMit fällt zum Älter-Werden und Alt-Sein ein: Ich bin so froh, dass ich nicht mehr 30 und nicht mehr 40 bin und Vieles jetzt einfach nicht mehr mitmachen muss. Und ab und zu gibts dann ganz unverhofft Streicheleinheiten wie jüngst in einem frauengeschichtlichen Netzwerk. Als es darum ging, ob die jährlichen Treffen nicht zu aufwendig seien, sagte eine der jungen Historikerinnen. "Wir müssen uns unbedingt weiter treffen. Ich habe so viel von Euch gelernt, ich brauche den Austausch mit Euch." Alter-Werden ist eben manchmal auch Erntezeit.
AntwortenLöschenMich rufen auch häufig Jüngere wie Ältere an und meinen: Können wir uns treffen? Ich muss mal mit einem vernünftigen Menschen reden. Und meinen damit auch: kritischen.
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