Mit einer Auszeichnung belohnt zu werden, das stachelt alle an. Zu Größerem, zum Weitermachen, zum Dranbleiben auch bei schwierigen Recherchen, zum Experimentieren mit journalistischen Darstellungsformen, zum Mundaufmachen und Forderungen stellen. Diese Ermutigung für junge Journalistinnen hatte Marlies Hesse im Sinn, als sie 2002 den nach ihr benannten Nachwuchspreis des Journalistinnenbund ins Leben rief. Wir haben die Stifterin gebeten, uns in einem Gastbeitrag hinter die Kulissen der Preisvergabe blicken zu lassen.
Drei Gewinnerinnen für den Marlies-Hesse-Nachwuchspreis 2018
von Marlies Hesse, Gastautorin
Drei junge Kolleginnen wird der Journalistinnenbund in diesem Jahr mit dem Marlies-Hesse-Nachwuchspreis (MHNP) ehren: Barbara Bachmann, Jahrgang 1985, Isabell Beer, Jahrgang 1994 und Dinah Riese, Jahrgang 89. Gewürdigt werden sie für ihre hervorragenden Beiträge, in denen sie Sachverhalte aus ungewöhnlicher Perspektive schildern und damit neue Sichtweisen eröffnen. Inhaltlich wie stilistisch erfüllen sie uneingeschränkt die Kriterien der Ausschreibung, in denen es von Anfang an heißt:
„Der jb fördert die gendersensible Perspektive, den differenzierten Blick auf Frauen und Männer, Ältere und Junge, auf Menschen verschiedener Hautfarbe, Herkunft und Religion.“
Mehr Beachtung für herausragende Leistungen von Frauen
Preisstifterin Marlies Hesse / Foto: Eva Hehemann |
Zunächst unter dem Namen „Mit anderen Worten“ ausgelobt, wurde die mit 1.000 Euro dotierte Auszeichnung später in „Andere Worte – neue Töne“ umbenannt. Anlässlich seiner 10. Verleihung beschloss der jb-Vorstand 2012, den Nachwuchspreis nach seiner Stifterin zu benennen. Seitdem freue ich mich darüber, dass der Marlies-Hesse-Nachwuchspreis meinen Namen trägt.
Verliehen wurde der MHNP zunächst alternierend in den Bereichen Print, Hörfunk und Fernsehen. Ab 2013 kamen Online-Beiträge hinzu. Erst mit der Ausschreibung 2018 wurde diese Grenze zwischen den Kategorien aufgehoben. Und das hat sich im Blick auf eine vergleichsweise größere Auswahl an qualifizierten Beiträgen aus durchweg hochrangigen Medien als absolut lohnend erwiesen. Den überwiegenden Teil nahmen in diesem Jahr Einsendungen aus dem Printbereich mit der Süddeutschen Zeitung und der ZEIT an oberster Stelle ein. Nur relativ wenige Bewerbungen enthielten Audio- oder TV- Beiträge aus den öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten. Vertreten waren auch Bewerbungen aus der Schweiz und aus Österreich.
Marlies-Hesse-Nachwuchspreis fördert Karrieren
Es gibt heute 70 Preise für den journalistischen Nachwuchs. Eine Besonderheit ist der MHNP – von Journalistinnen für Journalistinnen. Wer sich die Namensliste der Preisträgerinnen genauer anschaut, wird auf etliche Journalistinnen treffen, die seitdem eine beachtliche Karriere gemacht haben. Sei es nun die erste Preisträgerin von 2002, Jenny Friedrich-Freksa, die inzwischen Chefredakteurin der Zeitschrift „Kulturaustausch“ ist oder die letzte Sonderpreisträgerin von 2017, Franzi von Kempis, die mittlerweile als Chefin vom Dienst bei T-Online verantwortlich zeichnet. Mit vielen Preisträgerinnen bin ich in Kontakt geblieben und verfolge aufmerksam neue Schritte ihres Berufswegs. Nicht wenige unter ihnen konnten inzwischen weitere Preise gewinnen.
Juryentscheidung 2018: #MeToo-Debatte dominierendes Thema
Dass Sexismus und Gewalt als Themen von hoher gesellschaftlicher Relevanz auch angesichts der #MeToo-Debatte in diesem Jahr in den Mittelpunkt der Betrachtungen und der Berichterstattung gerückt wurden, empfand ich als naheliegend. Tatsächlich nahmen sie den Großteil der eingereichten Beiträge ein. Dies gilt auch für die preisgekrönten Beiträge von Barbara Bachmann „Sex, Lügen und Youtube“ (Reportagen, April 2017) und Isabell Beer „Das unsichtbare Verbrechen“ (ZEIT-Magazin, 34/2017).
Bereits in der Vorauswahl lagen ihre Beiträge in der Höchstbewertung aller Jurorinnen so dicht beieinander, dass fast der Eindruck entstehen konnte, die Entscheidung für Platz 1 und 2 sei schon einstimmig gefallen. Die Gefahren des Internets durch fehlende rechtliche und menschliche Schutzmaßnahmen wurden uns anhand beider Beiträge überaus deutlich. Uneingeschränkt teilte ich das allgemeine Erschrecken über die kriminelle Energie, die Männer gezielt einsetzen, um mit Frauen in brutal-entwürdigender Weise umzugehen. Zuvor hatte ich keine Ahnung über die Taktik und Methoden (z.B. zum Thema Voyeurismus) im Netz, das alle Jury-Mitglieder ebenso wenig wie ich in diesem Ausmaß wahrgenommen hatten. Ich war richtig froh, kein Stimmrecht zu haben, ich hätte nicht entscheiden können, welcher der beiden Texte der bessere ist.
Fesselnde Reportage: Suizid nach Cybermobbing
1. Preis für Barbara Bachmann Foto: Franz Strauß |
Hoher Einsatz für Undercover-Recherche
2. Preis für Isabell Beer Foto: Silvia von Eigen |
Sonderpreis, gestiftet von den Soroptimistinnen
MHNP-Sonderpreis für Dinah Riese Foto: Barbara Dietl |
Der dotierte Sonderpreis wird das erste Mal vergeben, mit 300 Euro finanziert von den die Soroptimistinnen von Köln-Römerturm. Damit schließen sich meine Clubschwestern im Kölner Frauenserviceclub erneut meinem Engagement für den jb an. Schon seit Jahren unterstützen sie mit einer Spende den Marlies-Hesse-Nachwuchspreis und berichten regelmäßig über die Preisvergabe auf ihrer Webseite.
Mein besonderer Dank gilt allen internen wie externen Jurorinnen, die über ein Jahrzehnt hinweg unter dem Jury-Vorsitz von Gabi Dewald und später unter Andrea Ernst mit ihren Preisentscheidungen stets dazu beitrugen, dem Marlies-Hesse-Nachwuchspreis im deutschsprachigen Raum ein nicht zu unterschätzendes Gewicht zu verleihen.
Als besonders erfreulich empfand ich, nie eine Absage erhalten zu haben, wenn ich um eine ehrenamtliche Mitarbeit in der MHNP-Jury bat. Möge es auch in Zukunft so bleiben!
Die Urkunden werden den Preisträgerinnen bei einer Gala am 30. Juni persönlich übergeben.
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Unmittelbar nach ihrem Ausscheiden aus dem Rundfunk war Marlies Hesse von April 1994 bis Oktober 2010 Geschäftsführerin des Journalistinnenbundes. 2003 wurde sie sowohl mit der Hedwig-Dohm-Urkunde des jb als auch mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande für ihr frauenpolitisches Engagement ausgezeichnet.
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