Jenni Roth / Foto: Anja Martin |
Monatelang hatten wir Nominierungen gesammelt, jede von uns hatte ihre Favoritinnen ausgemacht, endlich war es dann so weit: die fünfköpfige Jury kam am runden Tisch zusammen. Unter den vielen hervorragenden Kandidatinnen wollten wir den einen Beitrag küren, die eine Kollegin, die den Courage-Preis des Journalistinnenbund für aktuelle Berichterstattung dieses Jahr erhalten sollte. Nach intensiven Diskussionen einigten wir uns am Ende dieses Tages mit Überzeugung auf Jenni Roth und Ihre ZEITmagazin-Reportage „Mord an Carolin G. – Eine Stadt sucht einen Mörder“. Der Text ist spannend wie ein Krimi und hallt lange nach, ist dabei zurückhaltend und sachlich – einfach großartig! Jenni Roth hat viele solcher Texte geschrieben, stets basierend auf gründlicher Recherche, nah an den ProtagonistInnen, aber ohne die kritische Distanz aufzugeben.
Jenni Roth ist in einer süddeutschen Kleinstadt aufgewachsen und wollte immer schreiben, Geschichten erzählen, Journalistin werden. Sie studierte Kommunikationswissenschaft in Münster, weil sie glaubte, das sei für eine journalistische Karriere die richtige Grundlage. Rückblickend meint sie, hätte sie lieber etwas Handfestes belegt, Medizin etwa, Biologie, Geschichte oder Jura, weil sich thematisch zu spezialisieren der bessere Weg sei. Inzwischen sagt sie aber auch: „Ich habe die etwas verkrampfte Suche nach meinem Spezial-Thema aufgegeben. Die Vorstellung war mir eigentlich noch nie richtig geheuer, mich nur mit einem Thema zu beschäftigen. Stattdessen habe ich mich – neben Finnland-Themen – auf das Genre Längere Geschichten spezialisiert. Das klappt ganz gut.“
Während sie auf ein Volontariat wartete, absolvierte sie mehrere Praktika bei unterschiedlichen Medien. Inzwischen arbeitet sie als freie Autorin für Print und Radio von Berlin aus. „Nach meinem Volontariat bei der WELT bin ich einfach dort geblieben. Man begegnet in Berlin tollen Menschen, es tun sich immer wieder neue Welten auf. Außerdem teile ich mir dort mit anderen freien Journalisten in der Bürogemeinschaft von Freistil einen traumhaften Arbeitsplatz.“
Ihre Themen wählt Jenni Roth nach Möglichkeit selbst und bietet sie an. Ihre aufwändige Recherche-Arbeit finanziert sie wo es geht durch Zweit-Verwertungen. Und mehrere Stipendien ermöglichten ihr Recherche-Aufenthalte z.B. in den USA, Kuba, Vietnam und Indien. Zwischendurch textet sie aber auch mal für PR-Zwecke, um sich ihre Reisen zu finanzieren. Doch eine sichere Festanstellung als Redakteurin möchte sie nicht um jeden Preis; sich abwechslungsreiche Themen zu suchen und vor allem das Schreiben – darauf will sie keinesfalls verzichten.
Ein Faible für ungewöhnliche Menschen und Situationen
Sie sagt: „Situationen, wo Menschen oder eine Gesellschaft an ihre Grenzen kommen, interessieren mich am meisten.“ So sind Tod, Verbrechen oder Krieg wiederkehrende Motive ihrer Reportagen. Texte über einen einsamen Mann, der allein stirbt und monatelang nicht gefunden wird, über sogenannte Schattenkinder (= Geschwister todkranker Kinder), eine Podcast-Serie für Deutschlandradio über den Mord am Asyl-Bewerber Khaled Idris Bahray, und eben die Reportage über den Mord an Carolin G. sind typische Beispiele für Jenni Roths Arbeit. Hervorzuheben ist auch „Alyom.de“, ein Podcast-Projekt junger Axel-Springer-Akademie-Absolventen, das sie zusammen mit Tina Hüttl als Ausbilderin geleitet hat und das dieses Jahr den Axel-Springer-Preis für Kreative Umsetzung gewonnen hat. Es geht dabei um die Folgen des Giftgasanschlags auf Chan Scheichun in Syrien.
Sybille Plogstedt und Helga Kirchner, vertieft in die Jury-Arbeit / Foto: Eva Hehemann |
Die Mutter aus Finnland als Vorbild
Es gibt ein Portrait der Philosophin Agnes Heller, das Jenni Roth für die NZZ geschrieben hat. Darin offenbart sich ein Bewusstsein für die Probleme der weiblichen Emanzipation. Ist sie Feministin? „Ich würde mich nicht als Feministin bezeichnen, aber vielleicht läuft da vieles bei mir unbewusst. Das liegt wohl an meiner Sozialisation in der Familie. Meine Mutter ist Finnin und folgte meinem Vater in den 70er Jahren in seine schwäbische Heimat; sie hatten sich im Urlaub kennengelernt. Plötzlich waren alle Frauen um sie herum Hausfrauen, so ein Konzept kannte sie gar nicht. In Finnland arbeiteten alle Frauen, egal ob sie Kinder hatten oder nicht. Finanzielle Unabhängigkeit und Eigenständigkeit waren für Frauen dort selbstverständlich. Es war schwer für meine Mutter in Deutschland anzukommen, das ist auch heute noch bei uns immer wieder Thema. Sie wurde schwanger, ging früh nach meiner Geburt wieder arbeiten. Nicht nur hinter ihrem Rücken wurde sie überall als Rabenmutter bezeichnet. Dadurch bin ich sicherlich geprägt, ich habe das verinnerlicht und so taucht es in den Geschichten, bei der Themenwahl eben durchaus auch mal auf.“
Jenni Roth faszinieren Frauen, denen es gelingt, sich in einem männlich geprägten Umfeld zu behaupten, wie eben Agnes Heller oder Hannah Arendt. „Woher nimmt zum Beispiel eine Frau wie Jeanne Baret – im 18. Jahrhundert, ohne irgendein Vorbild – die Idee, sich als Mann zu verkleiden und die Welt auf einem Forschungsschiff zu umsegeln? Warum tut eine Frau so etwas? Woher nimmt sie die Kraft, sich damit durchzusetzen und so die gesellschaftlichen Grenzen für sich zu verschieben? Das ist doch auch so eine Extremsituation, die mich so interessieren.“
Am 30. Juni 2018 wird Jenni Roth der Courage-Preis für aktuelle Berichterstattung des Journalistinnenbund bei einer Abend-Gala in Berlin verliehen. Der Preis ist dank einer Zuwendung der Maecenia-Stiftung mit 1.200 € dotiert. Herzlichen Glückwunsch!
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