Donnerstag, 12. Juli 2018

Digitaler Nachlass - schiebt es nicht auf die lange Bank!

Von Magdalena Köster


Das Netz merkt sich alles - Unser Nachlass in den Sozialen Netzwerken  /  Collagen: M. Köster


Heute hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass der Vertrag über ein Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk auf die Erben der ursprünglich Kontoberechtigten übergeht und diese einen Anspruch auf den Zugang zum Konto und allen Inhalten haben. Die genaue Begründung steht hier. Anlass dafür war die Klage einer Mutter, deren 15jährige Tochter ein Benutzerkonto bei Facebook hatte und unter ungeklärten Umständen im Berliner U-Bahn-Bereich ums Leben kam. Die Mutter besaß das Passwort, konnte aber nicht auf die Inhalte bei Facebook zurückgreifen, da das Unternehmen vom Tod der Nutzerin erfahren hatte und das Konto bereits in den so genannten "Gedenkzustand" versetzt hatte. Das Urteil des BGH, das ein anderes Urteil des Kammergerichts Berlin aufhebt, hat weitreichende Folgen und wird ganz sicher kontrovers diskutiert werden.



Der BGH musste eine sehr schwierige Grundsatzfrage klären: Kann ein digitales Dienstleistungsunternehmen Erben den Zugang zum Konto eines verstorbenen Menschen verweigern oder muss es für einen Zugang sorgen? Können sich etwa geschlossene Facebook-Gruppen, in denen geheime oder sehr intime Inhalte besprochen werden, darauf verlassen, dass nur die angemeldete Person mitliest? Nein, sagt der BGH unter anderem, es müsse immer damit gerechnet werden, dass es zu einem Missbrauch des Kontos käme, dass Dritte mitlesen könnten und dass das Vertragsverhältnis vererbt würde. Auch das Fernmeldegeheimnis (Gesetz von 1949) und das Datenschutzrecht (gerade erst neu geregelt) stünden dem Anspruch der Angehörigen auf das digitale Erbe nicht entgegen. Weitere Feinheiten unter dem obigen Link und im Phoenix-Gespräch mit Frank Bräutigam, dem ARD-Rechtsexperten.

Unsere virtuelle Welt ordnen


Wer also nicht möchte, dass bei der normalen gesetzlichen Erbfolge die Partner, Eltern oder Kinder automatisch auch Erben unseres digitalen Nachlasses werden, sollte mit einem eigenen Testament und entsprechenden Vorbereitungen darauf reagieren. So könnte etwa die eine Person die Eigentumswohnung erben, die andere aber den digitalen Nachlass. Oder wir sorgen durch genaue Angaben dafür, dass bestimmte Zugänge zu digitalen Plätzen geschlossen werden, manche aber offen bleiben sollen. Das heißt in jedem Fall, dass jede/r einzelne von uns ganz viel Fleißarbeit darein stecken sollte, den eigenen digitalen Nachlass so zu regeln, dass unsere eigenen Wünsche berücksichtigt werden und die Angehörigen nicht daran verzweifeln.

Und es ist nicht wenig, was geregelt werden sollte. Im Durchschnitt nutzen Menschen in Deutschland mehr als sechs soziale Netzwerke und Messenger wie Facebook, Youtube, WhatsApp, Instagram, Twitter, LinkedIn oder Xing, dazu vielleicht kostenpflichtige Streaming-Plattformen, Gamingportale und Verkaufsplätze wie eBay. Und wenn wir erst mal richtig nachdenken, fallen uns unsere diversen email-Accounts ein, das online-Banking, die Cloud-Dienste, das eigene Blog. Ach ja, und vielleicht Amazon, Zalando, Paypal, Tinder und ...


Unsere Twitter-Nachrichten doch vielleicht archivieren?

Bisher herrscht echtes Durcheinander auf den digitalen Kanälen. Manche öffnen die Accounts beim Nachweis eines Erbschein, viele sperren ihn für die Angehörigen. Und nicht einmal zwei von zehn Internetnutzer*innen haben sich schon mit ihrem digitalen Nachlass beschäftigt, wie eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom ergab.

Bei einer Tagung des Info-Portals digital-danach in München 2017 habe ich mir in diversen Vorträgen und Diskussionen ein Bild darüber gemacht, was hier wie am besten zu machen ist. So bieten mehrere Dienstleistungs-Unternehmen an, sowohl als Passwort-Manager zu fungieren als auch später den digitalen Nachlass für Angehörige zu regeln. Das hat mich persönlich trotz aller Sicherheitszusagen nicht überzeugt, einfach, weil ich nicht noch mehr Daten weitergeben will und dafür nicht auch noch zahlen möchte. Aber jeder/r kann im Netz solche Angebote unter "Digitalen Nachlass professionell verwalten und abwickeln" finden.

Mein ach so digitales Leben


Hilfreich fürs Selbermachen sind vorgefertigte Listen, in die wir eintragen, wo wir Mitglied sind, wie das jeweilige Passwort lautet und was mit diesem Account geschehen soll, etwa, ob Inhalte gelöscht oder erhalten werden sollen. Oder wir vertrauen (zusätzlich?) einem passiven Passwort-Manager im Netz, hinterlegen dort alle Logins und nutzen das Angebot einiger Anbieter, dort auch zu notieren, was im Todesfall mit den jeweiligen Accounts passieren soll. Den Zugang zu diesen Daten müssen wir dann natürlich auch jemandem ermöglichen, siehe weiter unten.

Hier drei Links, unter denen unterschiedlich ausführliche Hilfe-Formulare abgerufen werden können.

Eine klare, 3-seitige Übersicht über "Nutzerkonten im Internet" mit vorgegebenen, auszufüllenden Zeilen hat die Bundesregierung ins Netz gestellt.

Ein informatives 9-seitiges Übersichtswerk stellt die schon erwähnte Plattform digital-danach als pfd zur Verfügung. Hier geht es u.a. auch darum, ob und auf welche Weise virtuelle Freunde von unserem möglichen Tod erfahren sollen und ob wir uns einen virtuellen Gedenkplatz wünschen.

Eine sehr lobenswerte, ausführliche Formular-Sammlung stellt das Finanztest-Heft der Stiftung Warentest online zur Verfügung. Dieses "Nachlass-Set" enthält nicht nur kostenlose Vorlagen zum Digitalen Nachlass, sondern gleich noch Hilfen zur Vermögensübersicht, eine Vorsorge-Vollmacht, eine Patientenverfügung und vieles mehr. 

Leider gibt es bisher keine einheitliche Regelung, wie man sich von digitalen Plattformen jeder Art abmelden, dort alles löschen oder archivieren kann. Wer sein digitales Leben also "blitzsauber" hinterlassen will, muss sich beim Ausfüllen solcher Nachlass-Sets durch jeden eigenen Account klicken, um in den Tiefen der Nutzungsbedingungen einen Link zum Aussteigen nach den portal-eigenen Regeln zu finden.

Noch hat jedes Soziale Netzwerk eigene Regeln


Als Beispiele seien hier einige Seiten in Sozialen Netzwerken genannt, die bisher auf unterschiedliche Weise regeln, was mit dem entsprechenden Konto geschehen soll, etwa bei Google, Facebook, WhatsApp oder Twitter. Von letzterem kann sich die Nutzerin (oder die Erben vor dem Löschantrag) auch jederzeit alle archivierten Tweets per Link zuschicken lassen.

Wer damit gar nicht klar kommt, findet vielleicht bei youtube Hilfe. Bitte immer darauf schauen, ob die Beiträge zum Digitalen Nachlass zeitnah ins Netz gestellt wurden, gerade dort poppen viele Jahre alte Aufnahmen auf. Auf die Aktualität zu achten, gilt bei diesem sensiblen Thema natürlich für alle Links.

Was emails betrifft, ist neben den Zugangsdaten für das Postfach eine Anmerkung für die Angehörigen sinnvoll, das Konto erst mal eine Weile weiter laufen zu lassen und nicht zu kündigen. Es können sich ja immer noch wichtige Kontakte melden oder Rechnungen und Mahnungen eintrudeln.

Den Erben gehört der Computer genauso wie das Sofa


Digitaler Nachlass beinhaltet ja nicht nur alles, was ein Mensch auf seinem Computer, auf Handys oder im Netz hinterlässt. Die Hinterbliebenen erhalten auch jegliche Hardware, auf der all die emails, Chat-Verläufe und tausende von Fotos und Filmen lagern. Erben gehen also nach dem Tod ihres Angehörigen nicht nur durch die Wohnung, verteilen Geschirr oder Schmuck, sondern bekommen noch einmal auf kleinstem Raum ein ganzes Leben dazu - im Laptop, auf dem USB-Stick und dem Smartphone. Das geht aber nur, wenn wir ihnen auch den Zugang zu sämtlichen Geräten ermöglichen...  also weiter im Ausfüllen der Formulare, Passwörter, dem Zugangscode fürs Handy, damit die Geräte entsperrt werden können.

Mit den Unterlagen zum Notar oder ins Versteck?


Wem übergeben wir aber am Ende unser ausgefülltes "Vorsorge-Paket" mit all den sensiblen Daten und Passwörtern? Wer sich sicher ist, dass die Partner*in, die Schwester oder die Kinder auch niemals unsere Tagebücher lesen würden, wird ihnen die Unterlagen zusammen mit einer Vollmacht wohl in irgendeiner Form überlassen. Eher sorglos in einem zugeklebten Umschlag, den wir möglichst sicher verstecken, oder vielleicht doch besser in einer abschließbaren Dokumentenmappe oder Metallkassette? Den Schlüssel dazu könnte ja wiederum eine Freundin für die Erben bis zum Tag X aufheben. Eine zweite Vertraute könnte dann wieder die Information hüten, an welcher Stelle all die wichtigen Daten lagern. All diese Möglichkeiten wird jede/r dem eigenen Sicherheitsbedürfnis entsprechend durchdenken.

Jegliches Prozedere muss natürlich auch in einem handschriftlichen Testament beschrieben und bestätigt werden. Hier also nur die Vorgehensweise fixieren, im Testament aber niemals Passwörter o.ä. nennen. Jetzt fehlt noch die Entscheidung, wer das Testament für uns aufheben soll. Natürlich besteht wie schon immer die Möglichkeit, es beim Amtsgericht zu hinterlegen oder überhaupt die ganze komplizierte Materie mit einer Anwältin zu besprechen.


4 Kommentare

  1. Danke für den erhellenden Beitrag! Das ist z. B. auch etwas, was beim Tod älterer Angehöriger zu bedenken ist - z. B. haben ich und meine Schwestern bzw. die Lebensgefährtin uns nach dem Tod unseres Vaters / Lebensgefährten massiv über das Handling seines Email-Zugangs über eine Universität geärgert, an der er beschäftigt war. Das Rechenzentrum war dort nicht in der Lage, sich mit uns in Verbindung zu setzen und uns einen Zugang zu geben - auf meine Nachricht hin haben die einfach das Konto plattgemacht und uns damit komplett die Möglichkeit, einen Überblick über bestimmte nur dort eingehende Rechnungen zu erhalten, Freunde und Bekannte zu benachrichtigen etc. genommen. Das war nicht nur super ärgerlich, sondern wahnsinnig verletzend. Man fühlt sich sehr hilflos, es gibt keine AnsprechpartnerInnen etc.

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  2. Das ist wirklich nervig, wo es beim Tod eines Angehörigen doch ohnehin so viel zu tun gibt.
    Wir können nur hoffen, dass dieses Facebook-Urteil auch andere Anbieter im Netz wach macht. So nach dem Motto: nicht nur Daten einsacken, sondern auch Service anbieten.

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  3. Ein Freund, Promi-Fotograf aus München, ist gerade mit 58 gestorben. Manchmal geht es viel schneller, als man/frau denkt. Leider...

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  4. Vielen Dank, die Infos sind sehr hilfreich!

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