Donnerstag, 30. Oktober 2008

"Komm nicht mehr zum Recherchieren"

Foto: Angelika Knop

VON CRASSIDA


Bei den eher gräßlichen Münchner Medientagen, bei denen auch noch im 22. Jahr der Anteil der Fach- (?) Männer auf den unzähligen Podien bei 90% liegt, bemühte sich die Deutsche Journalistenschule zusammen mit dem Bayerischen Journalistenverband um eine Bestandsaufnahme zum Thema „Ökonomisierung der Medien“.

Der Kommunikationswissenschaftler Daniel Fleiter hatte in seiner Dissertation untersucht, wie weit sich durch ökonomische Zwänge in den Medien das Autonomieverständnis des Journalismus verändert und die Grenzen zur Public Relations verschwimmen. Fleiter entdeckte dabei „fehlendes Berufsethos“, „fehlendes Fachverständnis“, gerade bei jungen Kollegen, allgemeinen Druck und mangelnde Kapazitäten. Ein Drittel der befragten JournalistInnen sagten ihm klar: „ich komme nicht mehr zum Recherchieren“.
Fleiters Fazit aus verschiedenen Quellen und Befragungen: „Noch nie hatte die Wirtschaft eine so gute Presse wie in den letzten fünf Jahren.“
Siegfried Weischenberg, Journalistik-Professor an der Uni Hamburg wurde noch deutlicher. „Wir hatten gerade in der Wirtschaftsberichterstattung lange einen extrem naiven Journalismus, der den totalen Mainstream vertrat“ (etwa auf der Schiene „…so wenig Staat wie möglich“). Die gleichen Leute - und dabei nannte er stellvertretend den neoliberalen Gabor Steingart vom Spiegel - schrieben jetzt in der Finanzkrise plötzlich das Gegenteil von dem, was sie jahrelang gepredigt hätten. Und dann schickte Weischenberg noch eine „steile These“ hinterher:
„Das Jahrhundert des Journalismus ist vorbei.“

3 Kommentare

  1. VÖLLIG RICHTIG! Auch eine Studie aus diesem Sommer, über die wir auf unserem Blog schon geschrieben haben (http://watch-salon.blogspot.com/2008/06/abschreiben-nimmt-zu.html) kommt zu diesem Ergebnis: Der Rechercheanteil der JournalistInnen strebt gegen Null, das Abschreiben nimmt zu, der Verlautbarungsjournalismus ebenso.
    Aber wie soll das auch gehen, denken wir gerade an das Tageszeitungs- und Online-Geschäft? Bei sinkender Anzahl von fest angestellten Redakteuren, die immer mehr Arbeit zu erledigen hat? Denn "Sonderverlagsveröffentlichungen", Kollektive und sonstiges nimmt auch zu, was die wenigen Redakteure nebenher produzieren sollen. Und die Freien, die zuliefern, bekommen meist weniger als einen Euro, oft nicht mal 20 Cent, pro Zeile. Da können die Journalisten sich Recherche nicht mehr leisten.
    Hinzu kommt: Jährlich drängen tausende von Absolventen aus Medienstudiengängen auf den Arbeitsmarkt. Sie machen schon im Studium und meist noch danach erst Mal unbezahlte Praktika. Recherchen werden für sie dann sowieso nicht bezahlt und wer keinen Lohn bekommt, kann ebenfalls keine Recherche bezahlen.
    Siegfried Weischenberg hat Recht: Der Journalismus, so wie er einst mal definiert war, ist am Ende.

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  2. Wir hatten letzte Woche Bob Calo von der Universität Berkeley in unserem Studiengang (www.mundusjournalism.com), der das Dilemma wie folgt definierte: Die Leute wollen durchaus Medien haben und konsumieren, aber nicht dafür bezahlen. Die Ära des Journalismus als Business ist vorbei.
    Allerdings war er nicht so pessimistisch wie Weischenberg, vielleicht weil Kalifornier einfach optimistischer sind als Deutsche? Wie auch immer, Bob Calo nannte drei Zukunftsszenarien zur Finanzierung von Qualitätsjournalismus. a) die Medien finden doch noch den Dreh heraus, wie sie die Web-Konsumenten zum Bezahlen bringen
    b) Von Stiftungen und gemeinnützigen Organisationen gesponserter Qualitätsjournalismus, wie das Pro-Pubblica-Projekt in den USA. Aber auch Subventionen der öffentlichen Hand fallen hier darunter.
    c) Die Mediendienste privater Unternehmen, deren Hauptaufgabe nicht die Medienproduktion ist, ausbauen. Calo nannte dazu die Nachrichtendienste der NASA, ich denke auch an NGOs, Hilfswerke, Vereine. Sicher muss hier die Grenze zu PR neu definiert werden.

    Jornalismus wie bisher ist zu Ende, da hat Weischenberg wohl recht. Aber wir sollten daran mitdenken, was danach kommen soll.

    Hildegard Willer, hilwiller@gmail.com
    (Studentin Erasmus Mundus Master Journalism and Media)

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  3. Uwe Vorkötter, Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, sagte in derselben Diskussion zwar "Früher war nicht alles besser.", pflichtete Weischenberg und Fleiter aber in einem Punkt bei:"Der investigative Journalismus ist in den letzten 1-2 Jahren den Bach runter gegangen. Denn den kann man nicht ökonomisieren, der ist per se ineffizient. Da recherchiert jemand wochenlang und mal kommt eine Geschichte dabei raus, mal eben nicht."
    Als aber ein freier Journalist aus dem Publikum sich über die schlechten Honorare der Zeitungen beklagte, die Recherche unmöglich machten, meinte Vorkötter auch nur trocken:"Klar, von Zeilenhonorar können Sie nicht leben."
    Die Trennung von PR und Journalismus kann also - so auch Weischenberg - nur von den Medien selbst wieder gestärkt werden. Verhungerte JournalistINNen können nämlich gar nicht mehr schreiben - nicht mal angepasst.

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