Mittwoch, 5. November 2008

Anonymer Verführer - Öffentliche Lust

"Ein Dreivierteljahr hielten italienische und deutsche Ermittler den Namen des berühmten Erpressungsopfers geheim", schreibt Welt Online. Doch jetzt vergehe kein Tag ohne neue Enthüllungen. So viel Heuchelei war wohl selten. Juhu! Einer hat es raus geblasen und nun dürfen wir alle in den Details schwelgen! Nicht nur die Boulevardzeitungen und Magazine, nein unter anderem auch die hochseriöse Süddeutsche Zeitung. "Gigolo" verführt nicht mehr ganz junge Milliardenerbin und erpresst von ihr vermutlich 7,5 Millionen Euro. Und immer dabei: voller Name und Foto des Opfers, das sich bisher in der Öffentlichkeit trotz (oder wegen?) Geld und Funktionen sehr zurück gehalten hatte.
Klar, rein medienrechtlich geht das wohl in Ordnung. Es besteht ein öffentliches Interesse. Die Summe ist rekordverdächtig. Und es ist nicht ganz unwichtig, zu wissen, dass eine Aufsichtsrätin von Großkonzernen erpressbar war. Außerdem: Deutschlands reichste Frau hat selbst die Initiative ergriffen und ihren mutmaßlichen Erpresser angezeigt. Und offenbar geht es um Bandenkriminalität und Serientäter. Man könnte also andere Opfer ermitteln oder noch schützen, wenn sie schon zahlen.

Der kleine Unterschied
Die Opfer könnten ihren Verführer zum Beispiel an Foto oder Namen erkennen. Dafür müssten sie aber Boulevardzeitung lesen oder beim MDR Brisant schauen. Spiegel Online zum Beispiel pixelt die Fotos der beiden mutmaßlichen Erpresser - daneben das Foto des Opfers gut erkennbar. Der Titel des Artikels lautet übrigens "Der Schöne und das Biest." Gemeint ist mit dem Biest zwar der mutmaßliche Komplize - aber erst mal denkt wohl jeder etwas anderes. Die Süddeutsche kürzt die Namen von Helg Sgarbi und Ernani Barretta ethisch einwandfrei und presserechtlich unbedenklich mit Helg S. und Ernani B. ab. Bei anderen sind es gar nur S. und B.
Klar, bei uns gilt Unschuldsvermutung. Und das ist gut so. Deswegen schreibt man ja auch "mutmaßliche" Erpresser und "Beschuldigte". Aber das reicht dann auch. Beide Verdächtige sitzen schon einige Zeit in Haft. So stichhaltig sind die Indizien also. Und laut Berichten der Münchner Abendzeitung ist Helg Sgarbi einschlägig vorbestraft. Und selbst, wenn an den ganzen Vorwürfen unwahrscheinlicherweise nichts dran sein sollte - wessen Ansehensverlust ist wohl größer: der einer verheirateten Frau mit drei Kindern, die sich vom Geliebten erpressen lässt - oder der eines Mannes, der mit Sex und Komplimenten 7,5 Millionen abstaubt? In diesen hyperkorrekten Artikeln wird das Opfer, das immerhin so mutig war, zur Polizei zu gehen, erneut erniedrigt - weil es nicht den gleichen Schutz bekommt wie die mutmaßlichen Täter.
Als kleiner Ausgleich dreht dieser Blog-Eintrag den Spieß um und nennt mal nicht den Namen der Frau sondern nur die der mutmaßlichen Täter. Rein symbolisch. Denn es ändert ja nichts mehr.

4 Kommentare

  1. Die Badische Zeitung brachte heute ebenfalls einen Artikel mit riesigem Foto der Geschädigten, deren Namen wir hier nicht nennen wollen. Dort steht sie mehrfach mit vollem Namen. Die angeklagten Herren sind fein mit Helg S. und B. abgekürzt. Vielleicht ist das die klammheimliche Rache und Schadenfreude der Branche dafür, dass sich Frau X den Medien gegenüber jahrelang komplett bedeckt gehalten hat. Und nun, siehe da, auch sie hat ein Privatleben. Das hat man natürlich vermutet, aber dass es gleich so pikante Details aufwirft, ts ts... Fehlt nur noch der Kommentar, dass Milliarden auf dem Konto auch nicht glücklicher machen.

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  2. Na, ob jemand bei der SZ wohl unser Blog liest? Vermutlich ist es eher das übliche Prozedere: Wenn es schon woanders steht, dann können wir auch.
    Heute auf jeden Fall liest man unter "Ein Heiliger mit sehr irdischen Bedürfnissen" über die Aktivitäten von Ernani Barretta (oder manchmal auch ErnanO - so ganz einig sind sich Autor und BU-Texter da wohl nicht) und Helg Sgarbi. Gut zu sehen auch das nette Anwesen bei Pescara. Bild von Ernani ist - noch? - gepixelt.

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  3. Ich finde ja, dass Helg S. oder auch Sgarbi wie ein Schluck Wasser aussieht. Während sich Susanne Klatten sehr wohl sehen lassen kann. Muss mir direkt mal die "Bunte" kaufen ...

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  4. Noch öffentlicher geht´s in Italien zu, wie sich auf Sandro Mattiolis Romblog nachlesen lässt ...
    Ich habe übrigens meine Neugier bezähmt und ncht in das pdf geguckt.

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