Freitag, 22. März 2013

Equal Pay Day: Kranke Gesellschaft

EPD im Münchner Rathaus - auch der JB informiert. Foto: Knop

Seit fünf Jahren zieht kurz nach der Grippewelle ein Unwohlsein durchs Land: Die Debatte, dass Frauen in Deutschland rund ein Fünftel weniger Stundenlohn bekommen als Männer. Und wie bei der Grippe scheint es einfach kein vernünftiges Heilmittel zu geben. Kaum erobern Frauen eine Branche, die mehr Geld verspricht, schwupps gehen da die Löhne nach unten - so wie die Grippeviren mutieren. Vielleicht sollte man also doch impfen, sprich mal grundlegend die Einstellung zu ein paar Dingen ändern. Doch das könnte eben pieksen.

"Viel Dienst - wenig Verdienst. Lohnfindung im Gesundheitswesen" lautete diesmal das Motto beim Equal Pay Day (EPD). Denn ein Grund für den Lohnunterschied ist eben, dass Frauen öfter in Branchen und Berufen arbeiten, die per se schlechter bezahlt sind. Die Frage nach der Henne und dem Ei habe ich weiter oben schon beantwortet. Und jede/r geistig Gesunde kann sich auch ausrechnen, dass eine Gesellschaft nicht funktioniert, in der plötzlich alle Krankenschwestern Programmiererinnen werden.

Was also tun? 

Die EPD-Debatte im Münchner Rathaus gab da durchaus ein paar Denkanstöße:
Im Gesundheitssektor sind die Mittel knapp. Es tobt ein Verteilungskampf, bei dem die Schwächsten auf der Strecke bleiben. Das sind auch MitarbeiterInnen in der Pflege, aber mehr noch die Medizinischen Fachangestellten (MFA), früher ArzthelferInnen genannt. Und das hat Gründe, bei denen man ansetzen könnte.
  • In Betrieben mit bis zu zehn MitarbeiterInnen gilt nur ein eingeschränkter Kündigungsschutz.
  • Auch deshalb sind Streiks dort schwierig.
  • Bei den ZahnarzthelferInnen gibt es außerhalb von Hamburg, Hessen, Westfalen-Lippe und dem Saarland gar keinen Tarifvertrag. Die Frauen müssen hier selbst ihre Gehälter verhandeln. Und die liegen dann auch schon mal unter dem derzeit diskutierten Mindestlohn von 8,50€.
  • In den Gebührenordnungen tauchen die Leistungen der (Zahn-)ArzthelferInnen fast nicht auf. Die ÄrztInnen entscheiden also frei, welchen Anteil sie Ihren Angestellten abgeben. 
  • Einige Praxen arbeiten ausschließlich mit Angestellten auf Mini-Job-Basis. 
  • Bei den niedrigen Gehältern stellt sich in der Regel nicht die Frage, ob der andere Ehepartner wegen der Kinder zuhause bleibt - auch nicht teil- oder zeitweise. 
Vielleicht sollten wir also auch bei unseren HausärztInnen mal nachfragen und überlegen - so wie wir das bei Amazon oder anderen Großbetrieben tun, die ihre Mitarbeiter schlecht behandeln. Oder die gesetzlichen Krankenkassen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigung geben beim nächsten Ärztestreik nur nach, wenn ein gerechter Teil der Honorar-Erhöhung auch an die Fachangestellten geht. Aber das ist wohl zu nah am Fiebertraum. 

Ewig aktuell

Sehr schön passt übrigens auch dazu ein Zitat von Hedwig Dohm, dieser offenbar ewig aktuellen Publizistin: 
„Ich bin überzeugt, wenn das tägliche Honorar für eine Krankenwärterin zehn Goldstücke betrüge, so würde kein Beruf der Welt weniger für eine Frau geeignet sein, als dieser; keiner würde die Schamhaftigkeit mehr verletzen, den Ekel stärker erregen, und in gewohnter Huld würde man nimmer mehr der schwächlichen Frau die Last der Krankenpflege aufgebürdet haben.“
Das Zitat stammt aus dem Jahr 1874. Die Sache mit der schlechten Bezahlung von "Frauenberufen" ist offenbar hartnäckig - so wie die Grippe. 

Anmerkungen:
Zitat von Hedwig Dohm zur Arbeitsteilung von Mann und Frau (1874). Zitiert aus Claudia Bischoff: Frauen in der Krankenpflege, CAMPUS 1992 
Der Journalistinnenbund verleiht jährlich die Hedwig-Dohm-Urkunde an eine verdiente Journalistin.

Mehr zum Equal Pay Day im Watch-Salon:

Der fiese Bankautomat (2013)


3 Kommentare

  1. Es sind ja nicht nur die Arzthelferinnen, die schlecht bezahlt werden, sondern auch die Fachärztinnen in den Krankenhäusern. Von den Hebammen wollen wir mal gar nicht mehr sprechen – deren Situation ist desolat; man fühlt sich an den mittelalterlichen Kampf zwischen Ärzten und Heilerinnen = Hexen erinnert. Ich finde das diesjährige EPD-Thema jedenfalls sehr gut gewählt, denn damit rühren wir an die Grenzen unseres Systems. Es muss endlich diejenige Arbeit höher bewertet werden, die für das Wohl der Menschen unersetzlich ist, als diejenige, die nur dem Profit dient.

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  2. Männer sollten die Lohngerechtigkeit zu ihrem Thema machen. In ihrem ureigensten Interesse. Fast ein Drittel des Familieneinkommens bestreiten Frauen, sagt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DWI). Würden die Frauen mehr verdienen, hätten Familien mehr Geld. Die Männer müssten weniger arbeiten und hätten mehr Zeit für ihre Kinder – und die Hausarbeit.

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  3. Dass Frauen in Deutschland durchschnittlich 23 Prozent weniger als Männer verdienen, scheint sich in den Köpfen der Gesellschaft noch nicht visualiesiert zu haben. Dabei ist in kaum einem anderen EU-Land die Entgeltlücke so enorm. Der übergroße grüne 77-Euro-Schein, den der DGB anlässlich des EPD gedruckt hat, schien zu wirken. Selbst männliche Passanten hielten es für ungerecht und fragten, ob sie so einen Schein mitnehmen dürfen um ihn anderen zu zeigen.

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