Mittwoch, 6. November 2019

30 Jahre Mauerfall - Wie haben wir ihn erlebt?

Eine Zusammenschau von Christine Olderdissen

Zehn jb-Kolleginnen und ihre Erinnerung an den Tag, der die Wende brachte. / Collage: C.Olderdissen

Es gibt Tage, an die können wir uns alle erinnern, so ist es auch beim Mauerfall. Allerdings nur diejenigen, die alt genug sind; er ist immerhin schon 30 Jahre her. Damit ist er ein Fall für die Geschichtsschreibung und deshalb habe ich im Journalistinnenbund herumgefragt – wie hast du den 9. November 1989 erlebt? Als Zeitzeugin, als Frau, als Journalistin? Geantwortet haben mir vor allem jb-Kolleginnen mit einer westdeutschen Biografie. Interessante Geschichten, die ein Schlaglicht werfen, persönlich wie politisch. Kolleginnen, die ´89 in der DDR lebten, waren dagegen mit ihren Antworten zögerlich.



Die einen fanden den privaten Blick auf ihre Erinnerung als zu unbedeutend. Für andere hat dieser Tag ihr Leben so grundlegend auf den Kopf gestellt, dass sie die Erlebnisse des Mauerfalls nicht in einen kurzen Text fassen mochten. Da geht es uns Westfrauen anders. Es hat uns, seien wir ehrlich, nicht so tief getroffen, wir konnten so weitermachen wie bisher und mussten uns nicht in ein komplett anderes Staats- und Gesellschaftssystem einfinden.

Diese Zusammenstellung hat deshalb Schlagseite – zahlenmäßig enthält sie mehr Erinnerungen aus BRD-Sicht als aus DDR-Sicht. Zum Ausgleich bringen wir im Watch-Salon eine Woche später einen ausführlichen Wendebericht unserer jb-Kollegin Gislinde Schwarz, zunächst 1990 in der EMMA veröffentlicht.


Sabine Zurmühl

„Der Mauerfall ist das wichtigste politische Erlebnis meines Lebens.“


Sabine Zurmühl als Zuhörerin bei einer Diskussionsveranstaltung in den 90ern

1989 war Sabine Zurmühl freie Fernsehautorin und Dokumentarfilmerin mit Wohnsitz West-Berlin. Sie ist heute vor allem als Mediatorin tätig.


Ich war in Berlin und habe die Abendschau geguckt. Da war der Bürgermeister mit dem roten Schal (Walter Momper) in einer Studiorunde und stand plötzlich auf, er müsse gehen, die Mauer sei auf. Ich bin dann zum U-Bahnhof Lehrter Straße gefahren, wo von der Gegenseite Ostberliner*innen aus der U-Bahn stiegen und fragten, ob hier schon Westen sei. Ja, ja , jaaa! Ich habe die ganze Nacht zunächst dort und dann am Ku’damm mit Leuten aus Ostberlin gesprochen, Kaffee getrunken. Große Aufregung und Euphorie meinerseits, der Mauerfall ist das wichtigste politische Erlebnis meines Lebens.

Das Medientreffen der Frauen von ARD und ZDF, das in der Hochschule der Künste an der Straße des 17. Juni stattfand, platzte dann am Abend an dieser neuen Situation. Inmitten einer noch angefangenen Podiumsdiskussion meldeten sich einige, frau könne doch nicht einfach weitermachen, während draußen so Unerhörtes passiere, sie wollten zum Brandenburger Tor:„Ich muss da jetzt hin ...“

Bei einem Dreh mit NDR-KameramannNils-Peter Mahlau
Als Journalistin hatte ich schon vorher öfter aus der DDR berichtet, über Theater in Weimar, über das Hygienemuseum, über einzelne Künstler*innen. Das alles war immer mit etlichen Einschränkungen verbunden gewesen und ich war total begeistert, dass ich nun einfach Treffen würde herstellen können und reisen dürfte in die Städte.

In der Arbeit ergab sich für mich, dass ich zu einem der nächsten Frauentage am 8. März, an dem der WDR den ganzen Tag Frauenthemen sendete, ein Fernsehfeature machen durfte: „Rote Nelken. Die DDR und ihre Frauen“. Da bin ich dann schon sehr viel im Land herumgereist und unsere jeweiligen Begegnungen waren sehr intensiv und von gegenseitiger Neugier geprägt.

Ich war neugierig darauf, die Frauen direkt zu erleben, insbesondere auf die Frauen der Bürgerrechtsbewegung, über die wir schon vorher berichtet hatten. Durch den jb entstanden auch sofort interessante Kontakte zu DDR-Kolleginnen, in denen auch die unterschiedlichen Arbeitsweisen und Ansichten deutlich werden konnten.



Gislinde Schwarz

„Ich hatte die Hoffnung, endlich schreiben zu können, was ist.“


Gislinde Schwarz auf dem Balkon ihrer Eltern Ende der 80er Jahre / Foto: Katja Worch

1989 war Gislinde Schwarz Redakteurin bei der DDR-Frauenzeitschrift „Für Dich“ und wohnte in  Berlin-Ost. Später gründete sie mit Rosemarie Mieder das Journalistinnenbüro Berlin.


An jenem Donnerstag habe ich, wie nahezu jeden Abend, die Tagesthemen geschaut. Was ich dort sah, konnte ich nicht fassen: ungläubig, fasziniert und wie gelähmt blieb ich vor dem Fernseher sitzen - bis nachts um drei. Auf die Idee selbst zur Grenze zu fahren, bin ich gar nicht gekommen. Meine beiden Söhne und ich lebten am Rande Berlins in Marzahn – weit weg von allem. Sie waren damals 10 und 13 Jahre alt, ich war für sie allein verantwortlich. Am nächsten Tag bin ich ganz normal zur Arbeit in die Redaktion an den Alex gegangen. Nachmittags – so war es lange geplant – fuhren wir mit dem Trabi nach Halle. Meine Mutter hat am 10. November Geburtstag, sie wartete auf Enkel und Tochter. Auf der Autobahn war irre was los, irgendwie hat sich keiner mehr an die Regeln gehalten. Da hatte ich zum ersten Mal Angst.

Es hat fast eine Woche gedauert, bis endlich Zeit war, mich mit den Kindern auf den Weg nach Westberlin zu machen. Zum dritten Mal in meinem Leben: Im Sommer 1960 war ich mit meinen Eltern zu einer halbtags-Stippvisite dort und dann erst wieder 14 Tage vor der Grenzöffnung. Ein hart erkämpftes Visum, um die Ausstellung meiner Kollegin und Freundin Katja Worch im Schöneberger Rathaus zu besuchen. Sie zeigte dort Frauenfotos aus der DDR – viele waren auf unseren gemeinsamen Reisen entstanden.

1985: Frauen beim Federnschleißen. Gislinde Schwarz (rechts) macht sich als Reporterin der "Für Dich" Notizen. 
Foto: Katja Worch

So spazierte ich wenige Tage vor dem Mauerfall den Ku’damm entlang und sog alles in mich auf. Den maßlosen Überfluss, aber auch die Freundlichkeit und Gelassenheit, die mir so anders erschien als bei uns. Und dann jenes verrückte andere Leben in Kreuzberg im Schatten der Mauer.

All das zeigte mir eine Westberliner Künstlerin, die ich in der Ausstellung kennen gelernt hatte. Ich wollte alles sehen, alles von ihr wissen! Es würde wohl Jahrzehnte dauern, bis ich so all das noch einmal erleben dürfte! Nun – nur 14 Tage danach – hatten meine Kinder und ich durch sie sogar einen Anlaufpunkt bei unserem ersten Besuch in Westberlin. Wir wurden erwartet und waren willkommen!

Vier Wochen später habe ich mit vielen hundert Frauen den Unabhängigen Frauenverband gegründet. Für mich war die Zeit nach dem Mauerfall journalistisch eine große Hoffnung: endlich schreiben können, was ist. Eine Zeit, in der alles, wirklich alles möglich schien. Auch die Realisierung eines Traums: Dass es eine DDR mit einem wahrhaft demokratischen Sozialismus geben könne, die ihre Bürger nicht einmauern muss. Es blieb eine Illusion.

Gislinde Schwarz hat im Oktober 1990 ihre Erlebnisse der Wendezeit für die EMMA aufgeschrieben. Ein berührendes Stück Zeitgeschichte, das wir im Watch-Salon kommenden Mittwoch, am 13. November 2019, noch einmal veröffentlichen.



Dana Savic

„Was für ein Deutschland wird das wohl in Zukunft sein?“


Collage: Werbepostkarte für Theaterstück "Kein Ort. Nirgends."/ Polaroid mit der jungen Regisseurin Dana Savic.

1989 war Dana Savic Theaterregisseurin in Köln. Seit 1992 arbeitet sie als freie Autorin und Filmemacherin für öffentlich-rechtliches Fernsehen. Geboren ist sie in Leskovac, Jugoslawien.


Am Tag des Mauerfalls war ich gerade als Regisseurin mit der Probe des Theaterstücks „Kein Ort. Nirgends.“ in Köln am Theater am Sachsenring beschäftigt. Die Erzählung von Christa Wolf war mir dafür die Vorlage. Sie beschreibt darin die fiktive Begegnung von Heinrich von Kleist und Karoline von Günderrode und ihr Scheitern an der Gesellschaft. Für Eingeweihte war klar, dass Christa Wolf hier nicht die Gesellschaft der Romantik kritisiert, sondern die der DDR.

Etwas später am Abend saß ich etwas fassungslos vor dem Fernseher und fühlte mich von der Freude der Menschen zwar berührt, aber ich hatte auch ein ungutes Gefühl. Vielleicht lag es daran, dass ich als eingewanderte Jugoslawin die deutsche Geschichte nicht meine eigene nennen konnte. Außer die, dass mein Vater als Partisan gegen die Deutschen Besatzer im Krieg kämpfte. Aber das war 45 Jahre her. Was für ein Deutschland wird das wohl in Zukunft sein, fragte ich mich? Und - ich dachte: Der Kapitalismus hat gesiegt.

Das Stück erfuhr aufgrund der Ereignisse ein großes Interesse. Wir gastierten damit erfolgreich in den Goethe-Instituten Belgien und Niederlande. Christa Wolf erklärte 1993, sie sei als IM Margarete von 1959 bis 1961 für die Stasi tätig gewesen. Erst nach einigen Jahren und nun auch journalistisch tätig, wurde mir klar, welche Wunden diese Teilung bei den Deutschen hinterlassen hat. Und - wie sehr eine Diktatur die Menschen prägt.



Angelika Lipp-Krüll

„Ich habe den Mauerfall ganz tief als politischer Mensch erlebt.“


Angelika Lipp-Krüll (links) im Büro beim SWF Baden-Baden, mit Annegret Goldammer, Redaktionsassistentin,
und Jean-Claude Zieger, ihr französischer Kollege in der Leitung des Projekts. / Foto: privat

1989 hatte Angelika Lipp-Krüll die Redaktionsleitung einer deutsch-französischen TV-Equipe für den Südwestfunk Baden-Baden inne, ein Kooperations-Projekt mit France Régions Alsace. Sie ist heute ehrenamtlich im Vorstand des Journalistinnenbundes engagiert.


Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich vor dem Fernseher saß und nur noch geheult habe, weil ich das alles nicht glauben konnte. Ich bin in Hannover aufgewachsen, die Zonengrenze sozusagen vor der Haustür und in unserem Leben allgegenwärtig. Flashartig erinnerte ich mich an meine Kindheit: 1957 war ein Kriegskamerad meines Vaters aus der DDR zu uns nach Hannover geflohen. Die beiden Töchter waren etwa gleich alt wie meine Schwester (damals 15 Jahre alt) und ich. Wir teilten uns ein Jahr lang das Kinderzimmer zu viert, das Elternschlafzimmer bekam das Ehepaar Uecker, und meine Eltern schliefen solange im Wohnzimmer auf Feldbetten. Ging irgendwie alles.

Zurück in die Gegenwart: Bei uns in Baden-Baden eingezogen war eine knappe Woche vor dem Mauerfall Ute Geisler, eine mir bis dato nicht bekannte Kollegin des DDR-Fernsehens. Einer meiner sehr geschätzten Kollegen aus der Produktionsleitung, auch ein „Ex-Ossi“, hatte mich gefragt, ob sie bei uns „unterkommen“ könnte. Sie war mit NICHTS, nichts in der Hand und nichts am Leib, am Wochenende zuvor geflohen, hatte alles zurückgelassen, was ihr lieb und wert war, weil sie den politischen Druck nicht mehr ausgehalten hatte. Und nun sieht sie, wie die Grenzen sich öffnen und die Mauer fällt. Ich kann Dir nicht sagen, was in ihr vorgegangen sein muss. Sie hat lange gebraucht, ihre Entscheidung zur Flucht und die politische Entwicklung für sich zu verarbeiten. Jetzt lebt sie in Westberlin, ist glückliche Großmutter und auch beruflich bestens gesettelt.

Ich habe den Mauerfall ganz tief als politischer Mensch erlebt, und auch als Journalistin. Mein Frausein spielte meiner Erinnerung nach überhaupt keine Rolle. Als Journalistin dachte ich, endlich kann ich mal den anderen Teil Deutschlands kennenlernen, in dem viele Menschen lebten, denen wir regelmäßig Pakete schickten. Das waren Kriegskameraden meines Vaters mit Familie, deren Kinder später sogar meine Eltern besuchten, um uns kennenzulernen.

Da mein Vater lange Jahre als Staatsanwalt im sensiblen Bereich der DDR-Spionage-Aufklärung gearbeitet hatte, standen wir auf der sogenannten „schwarzen Liste“ und durften die DDR aus Sicherheitsgründen nicht betreten. Meine Eltern schwärmten beide vor allem von Leipzig, von Weimar und von Dresden. Sie waren leider zu alt, beide Jahrgang 1909, um nach dem Mauerfall noch einmal die Orte zu besuchen, an die sie sehr schöne Vorkriegs-Erinnerungen hatten …



Karin Junker

„Am nächsten Tag war was los im Europäischen Parlament!“


1989 war Karin Junker Europaabgeordnete und als Sprecherin der sozialdemokratischen Fraktion mit Medienpolitik befasst. Sie ist Journalistin und war lange Jahre im Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks.


Karin Junker
Foto: WDR/Herbert Sachs
Als neu gewählte Europaabgeordnete und Mitglied des Außenwirtschaftsausschusses war ich mit einem, Polen und Ungarn betreffenden Hilfsprogramm beschäftigt. Um darüber zu beraten, traf ich mich am Abend des Mauerfalls mit einem Experten meiner Fraktion und einem Fachmann der Parlamentsverwaltung in einem italienischen Restaurant in Brüssel.

Der deutsche Experte kam etwas zu spät mit der irritierenden Information, in Berlin sei etwas mit der Mauer los, aber Genaueres wisse er nicht. Die italienische Crew konnte uns nicht helfen, Fernsehen gab es in dem Restaurant nicht.

Zurück im Hotel versuchte ich meinen Mann anzurufen, aber der war nicht zu Hause. Das Hotelfernsehen ließ mich im Stich, und ich quälte mich mit schlimmen Gedanken, bis ich endlich meinen Mann erwischte und auch das TV die ersten Bilder übertrug. Mein Mann hatte die Maueröffnung in unserem SPD-Ortsverein Düsseldorf gefeiert. Am nächsten Tag war was los im Europäischen Parlament!



Tina Stadlmayer

"Die Westmedien interessierten sich nicht für die politischen Ideen der DDR-Oppositionellen."


1989 arbeitete Tina Stadlmayer in der Redaktion des Spiegel in Bonn. Sie lebt heute als freie Autorin in London und arbeitet im Watch-Salon mit.


Tina Stadlmayer 1989 / Foto: privat
Am Tag des Mauerfalls war ich als Spiegel-Redakteurin eindeutig am falschen Ort, weit im Westen, in Bonn. Ich sah die Bilder aus Berlin im Fernsehen: Tausende drängten an der Bornholmer Straße nach Westberlin und wurden dort jubelnd empfangen. Damit hatte niemand gerechnet, zumindest nicht, dass es so schnell passieren würde. Wenige Monate davor war ich im ARD-Presseclub eingeladen gewesen und hatte dafür plädiert, dass die Bundesregierung die DDR endlich als Staat anerkennen solle. Das war damals Konsens im rot-grünen Dunstkreis und auch die Position vieler DDR-Bürgerrechtler_innen.

Wenige Tage nach dem Mauerfall war ich dann endlich auf Recherchetour in Leipzig. Heute kommt mir das Ganze wie ein surrealer Traum vor: Die gelbe Luft in Leipzig, die heruntergekommenen Häuser in der Innenstadt, die hitzigen Diskussionen in den Wohnzimmern der DDR-Oppositionellen. Ich erinnere mich an ein Treffen mit Bürgerrechtler_innen. Heftig wurde darüber diskutiert, wie eine freie und demokratische DDR aussehen könne. Sie wollten keine Wiedervereinigung, sondern eine "Demokratische Republik Deutschland" als Alternative zur DDR. Ich war dabei, als eine Delegation West-Grüner einigen überraschten Oppositionellen Schreibmaschinen und Bücher von Marie Marcks schenkte. Eine Frau aus der Gruppe der Bürgerrechtler_innen erzählte mir von ihrem schwierigen Leben als alleinerziehende Mutter und SED-Kritikerin.

Von meinen Recherchen ist keine Zeile in den von mehreren Autor_innen verfassten  Spiegel-Titel "Leipzig - Hauptstadt der Revolution" eingeflossen. Das war ganz schön frustrierend. Aber die West-Medien interessierten sich damals genauso wenig wie die West-Politik für die politischen Ideen der DDR-Oppositionellen.

Ende 1989 begann die Arbeitsgruppe des Runden Tisches der DDR damit, eine neue Verfassung für die DDR zu schreiben. Doch dafür interessierte sich kaum jemand, hatte doch Helmut Kohl bereits sein 10-Punkte-Programm zur Vereinigung Deutschlands vorgestellt. Dem damaligen Spiegel-Chefredakteur war jedoch eine junge Frau aufgefallen, die als Vertreterin des Neuen Forums mit am Runden Tisch saß: Die Bürgerrechtlerin Ingrid Köppe. Also wurde ich losgeschickt, ein Portrait von ihr zu schreiben.

Es war nicht einfach sie zu kontaktieren, weil sie dauernd auf Achse war, Mobiltelefone gab es ja noch nicht. Auf der Demo vor der Berliner Stasi-Zentrale im Januar 1990 traf ich sie dann endlich. Meine Bitte um ein Gespräch lehnte sie rundheraus ab: Keine Zeit, heute nicht und auch sonst nicht. Ich war platt. Eine westdeutsche Politikerin hätte für ein Portrait im Spiegel sofort einen Termin frei geschaufelt. Aber die im Osten waren anders. Irgendwie cool, fand ich dann auch.

Wenige Wochen später führte ich in Ostberlin ein Gespräch mit Vertreterinnen des Unabhängigen Frauenverbandes. Ich war beeindruckt vom geballten feministischen Kampfgeist, der da rüber kam. Und von der Selbstverständlichkeit, mit der die Frauen Berufstätigkeit und Familie unter einen Hut brachten. Davon waren wir im Westen weit entfernt.

Die bittere Ironie der Geschichte: Nach der Wiedervereinigung verloren viele Kindergärtnerinnen im Osten ihre Jobs und bewarben sich als Kinderfrauen im Westen. Ich habe es einer von ihnen zu verdanken, dass ich, als meine Kinder klein waren, trotz der kurzen Öffnungszeiten der Kitas im Westen, als Redakteurin weiter arbeiten konnte.



Juliane Brumberg

„Als die Mauer fiel, war etwas Unvorstellbares geschehen.“


Juliane Brumberg mit ihren Kindern 1990 am Nordseestrand / Foto: privat

1989 war Juliane Brumberg Hausfrau und Mutter, später Redaktionsmitglied bei der evangelischen-frauen-information (efi) in Bayern. Juliane Brumberg ist Redakteurin im Philosphieforum beziehungsweise-weiterdenken und eine der Schirmfrauen des jb-Mentoring-Programms.


Zur Zeit des Mauerfalls war ich 36 Jahre alt, lebte in einer fränkischen Kleinstadt und hatte vier kleine Kinder. Mein Mann, dessen Familie aus Mecklenburg stammt, verfolgte das politische Geschehen jeden Abend zur Tagesschau-Zeit vor dem Fernseher. Das machte mich etwas ärgerlich, weil das die Ins-Bett-geh-Zeit der Kinder war und ich dann weitgehend alleine damit zu tun hatte.

Ich war als junge Mutter so ausgelastet, dass ich wenig Zeit hatte, das politische Geschehen zu verfolgen oder mich darum zu sorgen. Als die Mauer dann wirklich fiel, war etwas irgendwie Unvorstellbares geschehen. Ich war in Schleswig-Holstein nur unweit der "Zonengrenze" aufgewachsen und so mancher Schulausflug hatte uns dort hingeführt. Diese Grenze war für mich immer "gesetzt" gewesen und für alle Zeiten unüberwindbar.

Da der Mauerfall noch in meiner "vor-feministischen" Zeit stattfand, gab es bei mir überhaupt keine Gedanken dazu, was dieses Ereignis für mich als Frau oder überhaupt für Frauen bedeuten könnte. Sehr bereichernd waren die Begegnungen mit der ostdeutschen Verwandtschaft meines Mannes, die wir vorher noch nie getroffen hatten. Ich erinnere mich an die Erleichterung einer Cousine, die Ärztin war und nun endlich halbtags arbeiten konnte und nicht mehr ihre Kinder den ganzen Tag in der Krippe lassen musste.

Was ich mir damals nicht vorstellen konnte war, dass so etwas wie die jahrelange "konservative" Forderung nach einer Wiedervereinigung realisiert werden könnte. Meine Erwartungen gingen in die Richtung, dass die DDR unter neuer Führung weiter bestehen und für uns zu einem deutschsprachigen Nachbarland wie Österreich oder die Schweiz werden würde.



Ulla Fröhling

„So schnell, so gewaltlos, das ist wie ein Wunder.“


Den Mauerfall aus der Ferne erlebt - Ulla Fröhling (links mit rotem T-Shirt) war gerade für eine
"Mein Mann ist Ausländer"-Reportage in Indonesien. / Fotos: Nomi Baumgartl (Brigitte)

1989 war Ulla Fröhling Reporterin der Frauenzeitschrift Brigitte, ihr Brigitte-Buch „Droge Glücksspiel“ machte Furore. Als Dozentin für Glücksspielsucht und Geschäftsführerin der „Anonymen Spieler“ vertiefte sie diesen Schwerpunkt. Schreiben war nie genug.


„Ein Schiff wird kommen“, schrammelt es blechern über den Tobasee: vom Festland tuckert ein bunt bemalter Holzdampfer herüber. Qualmend und alte Kassetten abdudelnd läuft er ein in den winzigen Hafen von Little Tuktuk. Rucksacktouristen klettern von Bord auf die tropische Vulkaninsel Samosir. An eine Reportagereise für die Brigitte habe ich einen Kurzurlaub mit meinem Mann gehängt. Zwei Tage sind wir jetzt auf Samosir.

Es ist der 10. November 1989, kurz vor sechs Uhr früh.

Zeitgleich drängeln sich 9500 km weiter nordwestlich Tausende Menschen vor Berliner Grenzübergängen, rufen: „Tor auf! Tor auf!“ In Berlin ist es kurz vor Mitternacht, der 9. November 1989. Alle Übergänge sind offen, Menschen strömen hinüber und herüber. Doch davon weiß ich nichts. Den Jubel nach Genschers Rede vom Balkon der Prager Botschaft am 30. September habe ich noch im Ohr. Geflüchteten DDR-Bürgern versprach der Außenminister die Fahrt in die Freiheit. Dass diese Reise so schnell Fahrt aufnimmt – ich ahne nichts.

Mein Mann aber hört auf Kurzwelle ständig BBC-Nachrichten: „Da tut sich was in Berlin“, sagt er. Doch ich bin als Autorin auf Sumatra, um eine Reportage für die Serie „Mein Mann ist Ausländer“ zu produzieren. Das füllt mich aus. Politisch korrekt ist der Titel nicht, aber das merkt noch kaum jemand: Hier in Indonesien ist die Deutsche Christa Girsang Ausländerin. Und nicht ihr indonesischer Ehemann Andy. Mit ihm und vier Kindern lebt sie seit 15 Jahren in Pemantangsiantar. Andy ist Chirurg.

Bei unserer Rückkehr vom Tobasee am 11. November empfängt er uns mit der ausgebreiteten „Jakarta Post“ in den Händen: Die Berliner Mauer zieht sich quer über die Titelseite, auf ihr lachende, tanzende, glückliche Menschen. Das Foto geht um die Welt. Die Mauer ist offen. So schnell, so gewaltlos, das ist wie ein Wunder.

Und wir sind auf Sumatra. In dieser Nacht schlafen wir nicht. Wir wollen nach Hause, wir packen, wir hören BBC: Zusätzliche Mauerdurchbrüche werden geschaffen – Im nächsten Monat ein Sonderparteitag der SED – Überall fehlen Leute, besonders in Krankenhäusern.

Ich bin in Thüringen geboren. Ein Zweig meiner Familie lebt dort seit Generationen. In den 50er und 60er Jahren besuchten sie uns hin und wieder. Als Rentner auf dem Motorrad von Mühlhausen nach Hamburg und zurück. 1982 machten mein Mann und ich Ferien in der DDR und lernten die jüngere Generation kennen. Wir hörten auch von Tragödien: Fluchtpläne eines  Paares wurden nicht verraten unter der Bedingung, dass die Großeltern das Enkelkind in der DDR behalten durften.

Noch im November besuchen uns meine Cousine Pia und ihr Mann Uli. Sie haben eine Panne auf der Autobahn. Doch 1989 bleibt ein Wartburg mit DDR-Nummernschild nicht lange liegen. Die Hilfsbereitschaft ist überwältigend. Unser Freundeskreis wird erweitert: wir haben jetzt einen Uli West und einen Uli Ost. Freundschaften werden geschlossen, manche halten.

Meine Erwartungen an DDR-Frauen sind hoch: fast alle berufstätig, das gibt frischen Wind und Selbstbewusstsein, glaube ich. Die DDR-Männer wirken offener, sensibler auf mich. Kann das sein? Die Zeitschrift Brigitte organisert eine Gesprächsrunde mit Ost- und West-Frauen. Pia ist dabei.

Weihnachten 1989 schickt mich das Reiseressort der Brigitte nach Thüringen. Am Schluss der Reise geht es zum Kyffhäuser. Der hat geschlossen. Trotzdem will ich dieses Denkmal deutschen Nationalstolzes sehen und klettere über die Pforte. Cousin Uli durchfährt ein Schreck ob dieser Grenzverletzung. Nun bin ich mit Barbarossa allein. Sehen kann ich ihn nicht, denn Nebelschwaden ziehen über das 81 Meter hohe Denkmal. Wind peitscht Wolkenfetzen an fahler Sonne vorbei. 30 Jahre und eine beunruhigende Landtagswahl in Thüringen später erscheint mir auch das bedeutsam.



Rosemarie Mieder

„Es herrschte eine ungeheuer euphorische Aufbruchstimmung.“


1989 war Rosemarie Mieder Redakteurin einer Betriebszeitung, Wohnsitz Berlin-Ost. Später gründete sie mit Gislinde Schwarz das Journalistinnenbüro Berlin.


Rosemarie Mieder / Foto: privat
Meine Erinnerung an den 9. November kann ich kaum von dieser atemlosen Zeit trennen. Ich wohnte damals mit meinem Mann und unseren beiden Söhnen mitten im Zentrum des Geschehens: Direkt an der Schönhauser Allee. Um die Ecke die Gethsemanekirche, wo sich seit Wochen Abend für Abend mehr Protestierende versammelten. Noch Anfang Oktober hatten Uniformierte regelrecht Jagd auf sie gemacht, und nachts mit scharfen Hunden Höfe und Hauseingänge durchkämmt.

Anfang November schien sich das Blatt völlig gewendet zu haben; Militär und Polizei waren nahezu von der Bildfläche verschwunden. Auf der Massenkundgebung am Alexanderplatz herrschte schon eine ungeheuer euphorische Aufbruchstimmung. Wir fragten uns: Was wird jetzt geschehen? Wie geht es weiter? Und ich erinnere mich an den trockenen Kommentar einer Freundin: „ist doch klar, die müssen die Mauer aufmachen.“ – Diese Idee schien uns absolut verrückt.

Und dann saßen wir wie so viele andere auch an diesem Abend des 9. November vorm Fernseher; niemand wollte die Nachrichten oder aktuellen Ankündigungen verpassen. Und natürlich sahen wir die entscheidende Pressekonferenz, hörten den unsicher gesprochenen Satz von Schabowski zum Reisen. – Und gingen ins Bett. Wir hatten die Tragweite absolut nicht begriffen.

Tausende andere reagierten prompt. Wir erwachten in der Nacht von einem seltsam anschwellenden Lärm auf der Schönhauser Allee. Und sahen, wie sich alles auf, neben und unter dem U-Bahn-Viadukt in eine Richtung schob und drängte. Autos und vor allem die Menschen. Überall in den Häusern waren die Fenster hell erleuchtet, Nachbarn rannten auf die Straße – und im Haus gegenüber verließ mitten in dieser kalten Novembernacht eine Familie mit ihren drei kleinen Kindern und Koffern in der Hand das Haus.

Dass sie mit all den anderen in Richtung Grenzübergang gelaufen waren, nur wenige hundert Meter von unserem Haus entfernt, wurde uns erst am nächsten Morgen wirklich klar. Und noch viel später begriffen wir: die Familie sie hatten von einer Stunde zur anderen gepackt und waren verschwunden.


Christine Olderdissen

"Der Mauerfall - ein Fernsehereignis."


Fotowände am früheren Grenzübergang Bornholmer Straße erinnern an den 9. November 1989 / Foto: C. Olderdissen

1989 war ich Praktikantin in einer Hörfunkredaktion des Hessischen Rundfunks. Ab den frühen 1990ern habe ich als Fernsehreporterin zahllose Geschichten über die Menschen zwischen Ostsee und Thüringer Wald gedreht.


Das ZDF zeigte in den Heute-Nachrichten die berühmt gewordene Pressekonferenz - und ich saß gebannt vorm Fernseher und erlebte, wie Günter Schabowski einen Zettel rausholt und irritiert sagt - ja die neue Reiseregelung gelte ab "sofort, unverzüglich". Bitte was? Meinte er das wirklich? Ich wartete bis zur Tagesschau um 20 Uhr, wieder Ausschnitte aus der Pressekonferenz und dann die Tagesthemen. Da stand Robin Lauterbach mit einer Liveschalte am Grenzübergang Invalidenstraße und sagte: Hier ist nichts los. Erst kurz nach 23:30 ging in der Bornholmer Straße der Schlagbaum hoch.

Und ich? Ich saß vorm Fernseher im fernen Frankfurt am Main, wo ich im Rahmen meiner Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule ein Praktikum beim Hessischen Rundfunk machte. Ich rief meine Berliner WG an. "Ja, wir sehen das gerade im Fernsehen und gehen jetzt ins Bett", sagten die. "Wieso geht Ihr nicht zur Mauer?" Ich konnte es nicht fassen, zehn Fahrradminuten entfernt und sie verpassen diesen grandiosen Moment der Geschichte. Ich machte das Radio an und und hörte die halbe Nacht lang die Liveberichte vom SFB.

Der Mauerfall machte es möglich:
Drehpause im Thüringer Wald, irgendwann in den 90ern.
Am nächsten Morgen kam ich aufgewühlt in die Redaktion, aber da reagierten alle nahezu desinteressiert - was will das Küken aus der Mauerstadt? Sie schickten mich dann zur ersten Straßenumfrage meines Lebens in die Frankfurter Innenstadt. "Die Mauer ist auf?" fragten die Leute unwirsch, "dann kommen ja die ganzen Arbeitslosen zu uns." Nur ein Ehepaar erzählte mir in mein Mikrofon: "Wir haben es heute morgen im Autoradio gehört und in den anderthalb Stunden Fahrt nach Frankfurt nur geweint."

Nachdem ich meine Umfrage geschnitten hatte, habe ich mich ins Auto gesetzt und bin fürs Wochenende nach Hause, nach Westberlin gefahren. Was für ein berauschender Moment am Grenzübergang Dreilinden mit Trabis und Wartburgs in der Schlange zu stehen und mit den Leuten aus der DDR zu scherzen und zu lachen.


Welche Erinnerungen haben Sie?
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2 Kommentare

  1. Was für ein tolles Kaleidoskop an Frauengeschichten mit und ohne Umbrüche(n)!Ich bin auch schon gespannt auf den historischen Bericht von Gislinde Schwarz.

    Meine eigene November-89-Geschichte bewegte sich in die Gegenrichtung. Ich arbeitete zu dieser Zeit als Trainee beim Institut für Medienentwicklung und Kommunikation (IMK), einer Tochtergesellschaft der FAZ in Frankfurt/Main. Den ganzen Freitag über versorgte uns die Sekretärin des Chefs, die ein Radio hatte, mit aktuellen Meldungen. Mein Freund hatte mir für das Wochenende 10. bis 12. November einen bereits vorbereiteten Wochenendtrip angekündigt. Überraschung - ich wusste nicht, wohin es gehen würde. Als wir am Donnerstagabend Nachrichten gesehen hatten, war unsere Freude riesig gewesen, obwohl wir keinerlei Kontakte in die DDR hatten. Am Freitagnachmittag fragte ich ihn am Bahnhof: "Und, fahren wir Richtung Osten?" Aber nein, wir stiegen in den Zug nach Straßburg, er hatte die Kurzreise Wochen zuvor geplant und gebucht. Schön war's in Straßburg - und doch wurden wir das Gefühl nicht los, in diesen Tagen wortwörtlich im falschen Zug zu sitzen.

    Erst im Januar 1990 fuhren wir voller Neugier über Suhl und Gotha nach Erfurt. Es war so neblig an dem Tag, dass wir Schwierigkeiten hatten, uns zu orientieren und nach einer Unterkunft Ausschau zu halten. Doch dann war da ein Schild an einem Zaun: Privatunterkünfte für Gäste aus dem Westen. Wir fanden die Vermittlungsstelle und landeten in einem Mietshaus bei einem Ehepaar um die 50, die sofort ihre Söhne verständigten. Mit dieser Familie saßen wir bei selbstgemachter Sülze lange zusammen und spürten Fremdheit und Nähe, ein bisschen Misstrauen, aber auch viel Sympathie. Der Sohn fragte uns, ob wir ihm raten würden, das Studium zu schmeißen. "Auf keinen Fall", riefen wir, er machte es aber dann trotzdem, besuchte uns ein Jahr später mit Frau und Kind in Frankfurt und kam mit der Marktwirtschaft augenscheinlich ganz gut zurecht.

    Diese erste Begegnung mit Menschen aus der DDR hat bei mir Spuren hinterlassen, gerade aus Frauensicht. Unsere Gastgeberin in Erfurt empfing uns mit Lockenwicklern, von einem Nylontuch überspannt, wie ich es von meiner eigenen Mutter aus den 1960ern gewohnt war. Das erschien mir gestrig, doch andererseits erzählte sie von ihrem nicht uninteressanten Berufsleben in einem Energiekombinat, ihre zwei Jungen waren von klein auf betreut worden. Als ich von der in dieser Beziehung viel schlechteren Versorgung im Westen erzählte, dass Mütter oft gar nicht oder wenn dann halbtags arbeiteten und dass Kindergärten in der Regel mittags schlossen, lachte sie. Wir fragten wir uns beide, was wohl der Mauerfall für die Beschäftigung von Frauen und die Unterbringung von Kindern in Ost und West in Zukunft bringen würde.

    Bald darauf hatte ich ein Seminar mit dem Titel "PR im wilden Osten" zu organisieren, ja, ich schäme mich heute ein wenig für diesen Titel, aber es war so. Während dieses Seminars und eines Ost-West-Kongresses von PR-Leuten ein paar Wochen später lernte ich allerdings so gescheite, gut ausgebildete Menschen, vor allem Frauen kennen, dass es fast zweitrangig war, welches Ereignis mir den Anlass bot.

    Der Mauerfall hat mein Leben nicht umgekrempelt, aber verändert, erweitert, mir differenziertere Blicke auf (nicht nur) deutsche Befindlichkeiten gewährt. Diese geordnete Nachkriegswelt, in der ich aufgewachsen war, mit schwarz-weiß, Freund-Feind, fremd-bekannt, gut-schlecht kippte für mich endgültig, war vorbei.

    Und auch ein fremder Blick wirft Licht auf die Bedeutung des Mauerfalls. Eine südkoreanische Bekannte sagt zu mir: "Was ihr Deutschen geschafft habt, davon träumen wir."

    Margit Schlesinger-Stoll, Text und Presse, Oberursel

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  2. Inge von BoenninghausenDonnerstag, 14 November, 2019

    HIGH NOON!
    So hatten die Frauengruppen von SFB und RIAS zum 12. Herbsttreffen der Frauen in den Medien gerufen. 350 kamen aus allen ö.r. Rundfunkanstalten, ein paar aus Italien, Österreich, der Schweiz und zwei aus der Hauptstadt der DDR. High Noon vom 9. bis 12. November 1989 im Ernst-Reuter-Haus an der Straße des 17. Juni.

    Ich war nicht zum Begrüßungsumtrunk gegangen, musste mich noch vorbereiten auf das Gespräch in der SFB-Sendung „Zeitpunkte“ am nächsten Morgen. „Heute ist alles anders, das werdet ihr verstehen“ begrüßte die Moderatorin, deren Namen ich leider vergessen habe. Ihr, das waren, wie seit längerem geplant, Jutta Arnold, stellv. Chefredakteurin der größten DDR Frauenzeitschrift „Für Dich“ und ich, Redakteurin und Moderatorin der WDR-Sendung „Frauen-Fragen.“ Wir verstanden. „Was war euer erster Gedanke gestern Abend?“ Die Antwort kommt synchron: „Luft anhalten, abwarten“. Soweit ich mich erinnere, wollte keine von uns beiden Wünschelruten Laufen. Zu viel war in den letzten Monaten und Tagen passiert. Wir konnten Erfahrungen austauschen, auch über das Berlin vor dem Mauerbau. Jutta Arnold war in Ostberlin zur Schule gegangen und am Kudamm ins Kino. Ich hatte an der FU studiert und Unter den Linden Bücher gekauft. Und wir konnten die Lebenswirklichkeiten von Frauen in Ost und West vergleichen.

    Wütende HörerInnen riefen an. Eine Westdeutsche habe in der Sendung nicht zu suchen, denn dies sei ein Berliner Ereignis. Wir verabschiedeten uns auf bald. Das war ja jetzt möglich. Jutta Arnold ging zum Herbsttreffen in die AG „Frauen in den Medien östlicher Nachbarstaaten“. Ich versuchte zum RIAS in Dahlem zu kommen zu einem Gespräch in der „Kulturzeit“. Umsteigen am Wittenbergplatz. Der U-Bahnhof sah aus, roch und dröhnte wie drei Bierzelte. Beim RIAS war auch alles anders, aber ruhiger. Werden die Medienfrauen ihre Ostkontakte ausweiten können auf die DDR, vielleicht ein Herbsttreffen in Leipzig? Welche Kontakte gibt es jetzt schon?

    Am Abend zurück zu den Kolleginnen aus Redaktionen, Technik, Schnitt, Verwaltung. Alle Workshops hatten angefangen, Themen wurden aktuell erweitert, Diskussionen des Tages aufgegriffen und einige von der Redaktion los geschickt. Auch am Samstag ging es um Europäische Medienpolitik, Weiterbildung, Bildschirmarbeitsplätze, Macht und Frauenbilder. Der Europaworkshop informierte über eine Initiative F.E.M. Feminists in Europe. Bis heute habe ich darüber nichts mehr gehört. Schade. Oder immer noch eine gute Idee?

    Die Abschlussresolution vom Sonntag:
    Die Teilnehmerinnen des 12. Herbsttreffens der Frauen in den Medien freuen sich über den in Gang gekommenen demokratischen Prozeß in der DDR und über die Öffnung der Grenzen. Wir haben mit Zufriedenheit zur Kenntnis genommen, daß die Frauen sich sofort zu Wort gemeldet haben mit der Frage: „Geht die Erneuerung an uns vorbei?“ Ihre Forderungen wollen wir unterstützen. Wir hoffen auf Austausch und Zusammenarbeit mit den Medienfrauen der DDR in Zukunft.

    Inge von Boenninghausen, Köln

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