Montag, 5. Mai 2014

Beliebt und unterbezahlt: Was bei den Hebammen schief läuft

Schöner Beruf, schnöde Entlohnung - freiberufliche Hebammen. Foto: Gabor Fejes, CC0

Am heutigen 5. Mai ist internationaler Hebammentag. Zeit, sich mal genau anzuschauen, wie es um die Entlohnung der selbstständigen Hebammen steht.

Es ist ein Stück mit nahezu rein weiblicher Besetzung: Hebammen und Gebärende sind in den Hauptrollen. Und das Drama, das gespielt wird, heißt: zu niedrige Entlohnung. Wir verfolgen dieses Theater nun schon seit Jahren, denn die Haftpflichtversicherungsprämie der selbstständigen Geburtshelferinnen steigt auf immer aberwitzigere Werte in den Tausendern. Zuletzt drohte sogar das komplette Aus der Versicherung. Da gab es dann - wie in der Vergangenheit auch - mal wieder eine Petition.

Das besondere: Bei dieser neuesten Petition ging es im Wesentlichen darum, dass es bitte überhaupt weiter eine Versicherung geben solle. (Nebenbei: Ohne solch eine Versicherung darf eine Hebamme keine Entbindungen begleiten.) Es klang, als ginge es nur noch ums nackte Überleben des Hebammenberufs. Egal zu welchen Bedingungen.

Die Petition war erfolgreich: Es wird weiterhin eine Haftpflichtversicherung für Hebammen geben, wurde Anfang April bekannt. Die FAZ titelte etwas unglücklich: "Neue Hoffnung für freiberufliche Hebammen". Tatsächlich geht die Weiterversicherung natürlich wiedermal mit einer Steigerung der Prämie einher. So richtig hoffnungsvoll stimmt das also nicht.

Zu ehrlich oder zu nett? Oder warum zu schlecht bezahlt?


Wie Anne Roth im FAZ-Blog schrieb: "Irgendetwas verhindert im Fall der Hebammen eine dauerhafte Lösung." Und Helga Hansen mutmaßt in ihrem Blog: "Vielleicht waren die Hebammen zu ehrlich". Ihre These: Es gab nicht wie sonst im Arbeitskampf erst überzogene Forderungen und dann eine Einigung in der Mitte. Anders gesagt: Die Hebammen bzw. der Deutsche Hebammenverband verhandeln zu nett.

Tatsächlich genießen die Hebammen zwar großen Zuspruch in der Bevölkerung (siehe Klickzahlen bei den Petitionen) und in der Presse (siehe regelmäßige Berichterstattung). Aber mehr kommt nicht dabei rum. Vor allem nicht mehr Geld.

Um nicht weiter Gründe zu raten, hier zur Abwechslung ein paar Fakten: Die Haftpflichtprämie für selbstständige, in der Geburtshilfe tätige Hebammen hat sich von rund 30 Euro im Jahr 1981 auf über 5000 Euro ab Sommer 2014 erhöht, genaue Zahlen siehe folgende Tabelle:

Quelle: Haftpflicht-Factsheet des Deutschen Hebammenverbandes. Download über diesen Link.

"Diese Prämiensteigerungen gleichen die gesetzlichen Krankenkassen seit Jahren aus", heißt es beim GKV-Spitzenverband, dem Bundesverband der Angestellten-Krankenkassen. Zu deutsch: Die Krankenversicherungen erhöhen regelmäßig die Vergütung, die sie einer selbstständigen Hebamme pro begleiteter Geburt zahlen, um so deren gestiegene Versicherungsprämie aufzufangen. Oder so sollte es jedenfalls sein.

Schauen wir uns die selbstständigen Hebammen an, die Beleggeburten machen. Das sind Geburten, die zwar im Krankenhaus stattfinden, aber nicht von einer angestellten, sondern von einer selbstständigen Hebamme betreut werden. Aktuell erhält eine Hebamme pro Beleggeburt je nach genauer Situation zwischen 276,22 Euro und 346,42 Euro von der Krankenkasse der Gebärenden. (Von den rund 1000 Euro, die die Kasse pro Krankenhausgeburt ausgibt, kommt also nur rund ein Drittel bei der Hebamme an, der Rest bleibt im Krankenhaus.)

Eine Rechnung, die nicht aufgehen kann


Um nun zu überprüfen, ob diese Entlohnung und ihre jeweiligen Steigerungen in der Vergangenheit die beständig kletternde Versicherungsprämie ausgeglichen haben, bräuchte es in obiger Tabelle eine weitere Spalte, die die Vergütung zu jedem Zeitpunkt enthält. Diese Zahlen sind leider nicht zu bekommen. (Ich habe es beim Deutschen Hebammenverband, bei drei Krankenkassen und beim GKV-Spitzenverband vergeblich versucht.)

Exemplarisch habe ich aber gefunden, dass im Jahr 2010 die Vergütung um 8 Euro pro Geburt gestiegen ist. Das sollte die damalige Erhöhung der Versicherungsprämie von 2370 Euro auf 3689 Euro ausgleichen. Schnell nachgerechnet: Ein Ausgleich ergibt sich bei (3689-2370):8 ≈ 165 Geburten pro Jahr. Kommt mir ein bisschen viel vor. "Eine Hebamme leistet jährlich bei etwa 63 Frauen Geburtshilfe", schreibt denn auch das Statistische Bundesamt. (Und es ist davon auszugehen, dass die selbstständigen Hebammen unter diesem Gesamtmittelwert liegen.)

Aber rechnen wir stumpf weiter: Durchschnittlich betreut eine Hebamme eine Geburt elf Stunden lang. Die Hebamme, für die diese 8 Euro ein tatsächlicher Ausgleich waren, machte also im Jahr 2010 grob überschlagen 165x11 = 1815 Stunden lang nur Geburten. (Wohingegen ein durchschnittlicher Arbeitgeber 1664 Stunden pro Jahr auf Arbeit ist.) Ich wage mal die Aussage: Diese Hebamme gab und gibt es nicht.

Um auszuschließen, dass es sich um einen einmaligen Fauxpas handelt, noch eine zweite kurze Rechnung: Die neueste Prämiensteigung von 4242 Euro auf 5091 Euro gleichen die Krankenkassen durch eine Vergütungssteigerung um 8,50 Euro pro Beleggeburt aus. Damit sind jene theoretischen Hebammen aufgefangen, die (5091-4242):8,5 ≈ 100 Geburten pro Jahr begleiten.

Vielleicht kann der GKV-Spitzenverband nicht rechnen, vielleicht verlässt er sich auch darauf, dass die Hebammen nicht rechnen können. Oder das soll jedes Mal nur ein symbolischer Ausgleich sein. Unterm Strich aber ist sicher: Die Hebammen werden regelmäßig über den Tisch gezogen.

Trotz Sympathie keine Unterstützung


Kann man das mit Frauen einfach so machen? Laut Hebammenverband gibt es nur vier männliche Entbindungspfleger in Deutschland. Hält sich unser Mitleid in Grenzen, weil wir insgeheim davon ausgehen, dass eine Hebamme ja nicht das Familieneinkommen sichern muss? Tatsächlich streiken zwar hin und wieder auch (angestellte) Hebammen. Aber von Fluglotsenstreiks hört man doch etwas öfter.

Das Mitleid von CDU-Politiker Jens Spahn hält sich jedenfalls deshalb in Grenzen, weil er nur 1,6 Prozent der Geburten betroffen sieht. Er meint damit die Hausgeburten und Entbindungen in sogenannten Geburtshäusern. (Und so gesehen stimmt seine Zahl ziemlich genau.) Aber jetzt kommt noch ein Fakt: 20 Prozent aller Geburten sind Beleggeburten, so der Deutsche Hebammenverband. In Bayern sind es sogar 50 Prozent. Auch beziehungsweise gerade hier sind selbstständige Hebammen am Werk! Das Problem der Hebammen-Haftpflichtversicherung ist also mitnichten ein Randthema. Spahn hat offenbar die Beleghebammen übersehen.

Heute, am 5. Mai, ist internationaler Hebammentag. Der Deutsche Hebammenverband hat zu diesem Anlass eine neue Webseite gestartet: Meine Geburt: natürlich - sicher. Dort wird um Austausch und Unterstützung gebeten. (Man stelle sich vor, die IG-Metall würde im Arbeitskampf mit solch einer Webseite daherkommen.) Die Hebammen werben also um Sympathien. Dabei haben sie diese schon längst. Was man auf der Webseite mal wieder nicht findet: Knallharte Verhandlungen um mehr Geld. Schade. Die Zahlen sprechen nämlich für die Hebammen.

3 Kommentare

  1. Danke für die Zahlen und Rechnungen! Was mir aber nach wie vor nicht klar ist: Warum sind die Prämien derart gestiegen? Ist das Gebären so viel gefährlicher geworden als noch in den 1980-er Jahren? Sind die Eltern klagefreudiger geworden? Hat sich die Rechtsprechung verändert? Und wo kann ich die Antworten nachlesen?

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  2. Liebe Judith,

    die Standard-Antwort auf deine Frage lautet: Dank medizinischem Fortschritt überleben geburtsgeschädigte Kinder öfter und länger. Das führt zu höheren Folgekosten, die Gerichtlich erstritten und zugesprochen werden. Ausführlicher nachzulesen ist das gleich unter der ersten der FAQs des Deutschen Hebammenverbandes, die sich hier herunterladen lassen.

    Die maximale Deckungssumme der Hebammen-Haftpflicht wird daher schon mal nach oben korrigiert, aktuell liegt sie bei 6 Millionen Euro. Und doch, sagte mir die Sprecherin des Deutschen Hebammenverbandes, gab es schon mehr als 20 Fälle, bei denen die Rechtssprechung über diese 6 Millionen hinausging. Dagegen ist kein Kraut und keine Haftpflicht gewachsen - diese mehr als 20 Hebammen sind jetzt trotz Haftpflicht ruiniert.

    Zurück zu den Gründen. Neben dem oben genannten gibt es noch eine zweite Erklärung, die mir der Mitarbeiter einer Krankenkasse genannt hat: Es gebe in den letzten Jahren einen Trend zu mehr außerklinischen Geburten, also zu Haus- und Geburtshaus-Geburten, bei denen kein Arzt anwesend ist. (Das stimmt offenbar: hier eine kleine Statistik des GKV-Spitzenverbandes.) Dort könne Komplikationen womöglich nicht rechtzeitig medizinisch entgegengewirkt werden und obiges Problem werde verschärft.

    Allerdings wollte der Krankenkassen-Mitarbeiter mir das auf keinen Fall offiziell gesagt haben. Schließlich seien die Hebammen viel zu beliebt, mit so einer Aussage setze man sich also nur in die Nesseln. Auch das zeigt nochmal das Phänomen: Sympathie ja, Geld nein.

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  3. Seit Jahren geht es nicht nur den Hebammen an den Kragen. In einem Feature hat unsere Kollegin Eva Schindele gerade dokumentiert, mit welcher Härte ein Gericht über eine Geburtshelferin (Ärztin) geurteilt hat, die womöglich (!) Fehlentscheidungen getroffen hatte. Aber unklar ist, ob das überhaupt die Ursache war für den Tod des Neugeborenen.
    http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/tandem/swr2-tandem-chronik-eines-absturzes/-/id=8986864/nid=8986864/did=14718006/1v12p6l/index.html

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