Kurze Atempause - Flüchtende Frauen auf einer Fähre nach Athen Foto: C. Olderdissen |
Zum bundesweiten Tag des Flüchtlings sei an die Frauen auf der Flucht gemahnt. In dem Bemühen allen ankommenden Flüchtlingen eine Unterkunft zu bieten, werden die besonderen Bedürfnisse von geflüchteten Frauen oft übersehen. Dabei gibt es viele Medienberichte wie auch Forschung, Resolutionen und offene Briefe mit der Forderung, weibliche Flüchtlinge besser zu schützen. Im Aufnahmeland Deutschland darf sich die auf der Flucht erlebte Gewalt nicht fortsetzen.
Die Bilder, die uns seit Wochen erreichen, täuschen. Wir sehen meist Männern um einen Platz in überfüllten Zügen kämpfen, wir sehen sie zu Hunderten Schlange stehen an den Registrierungsstellen. Flüchten wirklich überwiegend Männer aus ihrer Heimat? Nein, sagen, die HelferInnen, die die Situationen mit eigenen Augen beobachten und nicht gefiltert durch den Tunnelblick der Kameras. Es gibt eine geschlechtstypische Arbeitsteilung während der Flucht. Die Frauen halten sich im Hintergrund, sie beaufsichtigen die Kinder, während sich die Männer in den ersten Reihen tummeln. Tatsächlich sind mehr Frauen auf der Flucht als wir wahrnehmen.
Die Flucht von Frauen ist anders
Von den Flüchtlingen, die in Deutschland ankommen, sind 30 Prozent weiblich. Weltweit aber sind die Hälfte aller Flüchtenden Frauen. „Die Flucht von Frauen ist anders,“ sagt Rejane Herwig, Fluchtforscherin und Aktivistin. Sie bleiben oft in der Nähe ihres Wohnortes, zunächst im Heimatland, oder retten sich in ein Lager kurz hinter der Landesgrenze. Auf den abenteuerlichen Weg nach Nordeuropa werden die Männer geschickt, die jungen und kräftigen, mit der Absicht Frauen und Kinder nachzuholen. Im Sommer 2015 allerdings haben sich vermehrt Frauen auf diesen Weg gemacht, oft genug schwanger oder mit sehr kleinen Kindern – und, was die Bilder nicht erzählen können, einige sind allein unterwegs, ohne Ehemann, Bruder, Vater, Cousin. Zigtausende Frauen aber bleiben zurück, in bitterster Armut. Die UNO zählt 145 000 syrische Frauen als „alleiniger Familienvorstand“ in den Flüchtlingscamps des nahen Ostens.
Über 145.000 syrische #Flüchtlingsfrauen müssen allein für ihre Familie sorgen. UNHCR-Bericht: http://t.co/4NEquidlFV pic.twitter.com/jklpFUyK7F
— UNO-Flüchtlingshilfe (@unoflucht) 8. Juli 2014
Ungeschützt zuhause, auf der Flucht und in den Unterkünften
Schon im Heimatland oft schutzlos vor häuslicher Gewalt, sind Frauen im Krieg massiv sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Auch auf der Flucht erleben Frauen
alle Formen der Gewalt, von Vergewaltigung
bis hin zu Zwangsverheiratung und Zwangsprostitution. Im asylgebenden Land
angekommen, sind Frauen und Mädchen trotz alledem nicht sicher. Viele Flüchtlingsunterkünfte
treffen keine Vorkehrungen für die Schutzbedürftigkeit von Frauen. Dabei sind, wie Heike Rabe vom Deutschen Institut für Menschenrechte hinweist, "die Aufnahmestaaten menschenrechtlich verpflichtet, effektiv zu gewährleisten, dass sich für geflüchtete Frauen die Gewalt nicht fortsetzt". Toiletten und Waschräume sind oft nicht abschließbar, manchmal auch nicht die
Zimmer, wenn es denn überhaupt Rückzugsmöglichkeiten gibt. Von der UNO-Flüchtlingshilfe
bis hin zu der Bundesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Gleichstellungsstellen in Deutschland – viele weisen auf den dringenden Handlungsbedarf hin.
Zusammenschau wichtiger (Medien)-Berichte:
Der tägliche Kampf – Frauen in deutschenFlüchtlingsunterkünften. Online-Reportage von Felicitas Kock und Anna
Fischhaber.
Nach der Flucht ist vor der Flucht - Flüchtlinge im Frauenhaus.
Simone Schmollack in der taz vom 1.7.2015.
Flucht im Schatten - Gewalt gegen weibliche Flüchtlinge. Simone
Schmollack in der taz vom 19.9.2015.
Warum Flucht von Frauen anders ist. Oona Kroisleitner in Der Standard.at vom 19.9.2015.
Im Netzwerk Flüchtlingsforschung schreibt Ulrike Krause über
die „(un)sichtbaren Flüchtlingsfrauen“, mit vielen weiteren Links.
Umfassend die Zeitschrift Frauenrat 2/2015 über frauenrelevante
Aspekte zum Thema Flucht und Asyl: Die Ausgabe ist noch nicht vergriffen.
Einige Artikel sind auch online zu lesen.
Woman alone - the fight for survival by syria´s refugee women. Online-Reportage des UNHCR mit Angelina Jolie.
We can’t go back. We have nothing left: Syrian refugee women on the border, von Priyali
Sur.
Warum es nicht einfach ist, über geflüchtete Frauen zu
berichten - Stephanie Laartz und Simon Tanner in der Online-Ausgabe der Neuen
Züricher Zeitung: Angekommen im Land der Hoffnung (Tipp: bis zum vorletzten Absatz scrollen)
Effektiver Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt. Heike
Rabe für das Deutsche Institut für Menschenrechte.
Aktionspapier vom Deutschen Frauenrat zur Situation der Frauen auf der Flucht: "Deutsche Flüchtlingspolitik ist der Gleichstellung verpflichtet". Bundeskanzlerin Merkel am 29.9.2015 bei einem Gespräch vorgelegt.
Der Kindesmissbrauchbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, hat eine Checkliste zur Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften an Landesministerien, Verbände und über 5000 NGOs verschickt. Interview bei Spiegel Online.
Aktionspapier vom Deutschen Frauenrat zur Situation der Frauen auf der Flucht: "Deutsche Flüchtlingspolitik ist der Gleichstellung verpflichtet". Bundeskanzlerin Merkel am 29.9.2015 bei einem Gespräch vorgelegt.
Der Kindesmissbrauchbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, hat eine Checkliste zur Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften an Landesministerien, Verbände und über 5000 NGOs verschickt. Interview bei Spiegel Online.
UNO Flüchtlingshilfe über Besondere Bedürfnisse von Flüchtlingsfrauen.
Wie Sie den geflüchteten Frauen helfen können. Konkrete Aktionsideen, aufgelistet von der Journalistin Birte Vogel. Sie führt ehrenamtlich ein Online-Informationsportal über Flüchtlinge in Deutschland.
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AntwortenLöschenKommentar der Deutschen Welle:
SchutzfürFrauen
AntwortenLöschenUnd ein Interview der Soziologin Sabine Hark, die auch bei der Konferenz Dare the im_possible des Gunda-Werner-Instituts auftritt.
Feminismus und Flüchtlinge