Dienstag, 28. August 2018

100 Jahre „Damenwahl“ – Ausstellung zum Jubiläum des Frauenwahlrechts

von Gastautorin Margit Schlesinger-Stoll

Endlich dabei: die ersten weiblichen Abgeordneten der Weimarer Nationalversammlung, hier bei einer Kaffeepause
/ Foto: Historisches Museum Frankfurt

Wenn das Historische Museum Frankfurt/Main (HMF) jetzt mit der Ausstellung „Damenwahl - 100 Jahre  Frauenwahlrecht“ seine zweite große Wechselausstellung präsentiert, darf frau und man einiges erwarten. Eher etwas für historisch Interessierte? Keineswegs, denn gleichberechtigter Zugang zu Bildung, gleiche berufliche Chancen und Bezahlung, politische Teilhabe und sexuelle Selbstbestimmung sind auch 100 Jahre nach Ende des Wilhelminischen Kaiserreichs noch nicht selbstverständlich. Ich selbst werde mehr als einmal reingehen. Denn ich erfahre mehr z. B. über Johanna Tesch …


Der Reiz von „Damenwahl – 100 Jahre Frauenwahlrecht“ liegt für mich als Frankfurterin auch im lokalen Bezug. Ich denke an Johanna Tesch, führend beim Verband der Haus- und Büroangestellten tätig, die im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück starb, und nach der ein Platz in Frankfurt benannt ist, an dem ich in meiner Studentenzeit immer mit der Tram vorbeifuhr. Oder an die Publizistin und Frauenrechtlerin Henriette Fürth, die 200 Aufsätze zu sozialpolitischen Themen veröffentlichte und mit Bertha Pappenheim den Verein „Weibliche Fürsorge“ gründete. Auch nach ihr ist eine Straße nahe des Schwanheimer Mainufers benannt, dort bin ich mit meiner Familie oft entlanggeradelt. Doch der 3-D-Effekt, der sich durch die internationale wie auch die lokale Dimension ergibt, funktioniert auch ohne lokalen Hintergrund, er macht die Schau plastischer, differenzierter und dadurch spannend für alle an der Frauenbewegung Interessierte.


Kampf für Demokratie und Teilhabe


Die Ausstellung macht deutlich: Das Frauenwahlrecht war kein Geschenk der Novemberrevolution. Vielmehr hatten Frauen in vielen Ländern Europas für Abschaffung der Monarchie, Demokratie und Freiheit mit Worten und Taten gekämpft.

Wahlplakat 1919 / Entwurf Ludwig Kainer ©HMF
Es existierte also auch ein Wahlrecht vor dem offiziellen Wahlrecht. Frauen hatten sich entschieden, nicht zu schweigen, sich nicht mit den Verhältnissen, mit dem Gegebenen abzufinden, sondern aktiv Veränderungen zu bewirken. Zu ihnen gehörte die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, auf die sich der Journalistinnenbund nicht nur bei seinen jährlichen Preisvergaben bezieht.

Zu ihnen gehört auch Johanna Kirchner, Frankfurter SPD-Politikerin, Leiterin des Saar-Flüchtlingskomitees in der NS-Zeit, wegen Landesverrats hingerichtet am 9. Juni 1944 in Berlin-Plötzensee. Geboren am 24. April 1889, auf den Tag genau zehn Jahre vor meiner Großmutter. Sie hätten sich bei einem Spaziergang am Main, zum Beispiel im April 1919, als Frauen in Deutschland erstmals wählen durften, die Hand reichen können.

Ein faszinierendes Netzwerk wird in „Damenwahl“ ausgebreitet und analysiert. Persönliche Facetten und Beziehungen der Akteurinnen inklusive. Von den Zentren der Frauenbewegung in den Großstädten Deutschlands bewegt sich die Ausstellung sowohl in überregionale und internationale als auch in lokale Verästelungen. Ein Fokus liegt auf den Jahren 1918/19, auf den Forderungen, Erwartungen und Visionen der Protagonistinnen in der Zeit des Umbruchs.

Die Kuratorin Dorothee Linnemann legt Wert auf ihren aktuellen Bezug: „Wo Frauenpolitik und gender mainstreaming als abgehakt gelten oder queere Lebensentwürfe und ihre rechtliche Absicherung als überflüssige Rechtsforderungen bestritten werden, gilt es an die Errungenschaften von Freiheits- und Menschenrechten zu erinnern und für ihre Aufrechterhaltung zu streiten – wie die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm trefflich formulierte, sind Frauenrechte Menschenrechte.“


Das Frauenwahlrecht in einem wechselvollen Jahrhundert


Thematische Schwerpunkte, beispielsweise der Wandel der Geschlechterrollen sowie unterschiedliche Standpunkte innerhalb der Frauenbewegung im Ersten Weltkrieg, sind anhand der Biographien einzelner Politikerinnen erschlossen. Eine Fülle von Audio- und Filmquellen geben den Zeitzeuginnen und Protagonistinnen Stimme und Gesicht.

Der Etablierung von Frauen im politischen Geschehen der Weimarer Republik folgte der abrupte Einschnitt, den die NS-Zeit der jungen Demokratie und den Frauenrechten bescherte – beiden Abschnitten widmet sich die Ausstellung ebenfalls. Zwischen 1933 und 1945 wurden mehrere Gesetze verabschiedet, die Frauen aus bestimmten Berufen drängten, Anreize für die Aufgabe der Berufstätigkeit von Frauen schufen sowie das passive Wahlrecht für Frauen aufhoben. Viele, die für Gerechtigkeit und Frauenrechte gekämpft hatten, überlebten das NS-Regime nicht.

Vielfältig und lohnenswert ist auch das Begleitprogramm der Ausstellung. Mehrere Museen, Kirchen, Frankfurter Kulturinstitutionen, Frauenorganisationen in Frankfurt und Umgebung wirken mit. Und auch der Journalistinnenbund: Isabel Rohner und Rebecca Beerheide werden am 13. November ihr aktuelles Buch „100 Jahre Frauenwahlrecht. Ziel erreicht – und weiter?“  im HMF vorstellen. Zudem moderiert Dorothee Beck am 9. Januar 2019, ebenfalls im HMF, die Diskussion „Macht Merkel den Unterschied? Politikerinnen in den Medien“ mit Nicola Beer, Generalsekretärin der FDP, und Janine Wissler, stellvertretende Vorsitzende der Linken.

Wer die Schau „Damenwahl“ besucht, sollte auch der Architektur des 2017 eröffneten Neubaus des Historischen Museums Aufmerksamkeit schenken, der den im Volksmund geschmähten „Betonklotz“ aus den 1970-er Jahren ersetzt: ein ansprechendes Entree zur „neuen Altstadt“ von Frankfurt am Main.


Haltung zeigen


Um nochmal auf meine Großmutter zurückzukommen, die im Januar 1919 noch nicht demokratisch wählen durfte, da ihr drei Lebensmonate fehlten: Sie war nicht politisch, nicht in der Frauenbewegung aktiv. Ich glaube nicht, dass sie große Wahlmöglichkeiten hatte. Aber sie zeigte Haltung und ich weiß immerhin, wen sie nicht wählte. Auch 2018 wird wieder gewählt: Landtagswahlen in Hessen und Bayern stehen an, wobei das Bubenstück in Bayern, zwischen männlichen Spitzenpolitikern auf dem Rücken der Kanzlerin ausgetragen, Hessen eindeutig die Schau stiehlt.

„Damenwahl“ heißt ja eigentlich mehr als ankreuzen. Sich auszusuchen, mit wem man interagiert, kooperiert, auf wen man sich einlässt, mit wem man tanzt, ist eine gute Sache, sie sollte allerdings nicht auf Samstagabend beschränkt sein. Täglich können wir wählen: hinsehen oder wegsehen, sich engagieren oder nicht, sich arrangieren oder nicht. Unser Risiko ist begrenzt, auf jeden Fall geringer als das der Aktivistinnen der ersten Frauenbewegung.


„Damenwahl - 100 Jahre Frauenwahlrecht“
mit einem umfangreichen Begleitprogramm
30. August 2018 bis 20. Januar 2019
Historisches Museum Frankfurt

Saalhof 1, 60311 Frankfurt/M.

100 Jahre Frauenwahlrecht - Ziel erreicht! … und weiter?"
Herausgegeben von Isabel Rohner und Rebecca Beerheide
Ulrike Helmer Verlag, 2017


Überblick auf zahllose Aktionen zum Jubiläum des Frauenwahlrechts in Deutschland: 
https://www.100-jahre-frauenwahlrecht.de/jubilaeumskampagne.html

Fernsehtipp, u.a. mit Isabel Rohner als Studiogast:
https://www.planet-wissen.de/video--jahre-frauenwahlrecht--ziel-erreicht-100.html


Radiotipp: "Verspottet, verhöhnt und verfolgt" Über die Pionierinnen des Frauenwahlrechts:
https://www.kulturradio.de/programm/beitraege/frauenwahlrecht/frauenwahlrecht.html
 


Margit Schlesinger-Stoll 
Foto: Petra Mancuso

Unsere Gastautorin


Margit Schlesinger-Stoll arbeitet seit über 20 Jahren als freie Journalistin und Autorin im Raum Frankfurt am Main.

Sie schreibt regelmäßig Texte für die Zeitschrift "Psychologie Heute" sowie für Zeitschriften im Bereich Gesellschaft/Gesundheit. Außerdem arbeitet sie in der Unternehmenskommunikation und ist Dozentin für Deutsch als Fremdsprache. Sie ist aktiv in mehreren Frauennetzwerken.


2 Kommentare

  1. Danke für diesen ersten Einblick in die neu eröffnete Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt! Ich freue mich schon darauf, dorthin zu gehen. Ich finde es gut, dass es auch viele Tonaufnahmen gibt: Über die Stimme wird so viel mittransportiert, da rückt alles Ferne auf einmal überraschend nah.

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  2. Toller Artikel zum Thema Frauenwahlrecht - und er macht Lust auf einen Besuch im Historischen Museum. Danke!

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