Montag, 27. April 2020

Homeschooling und Homeoffice - immer ein schlechtes Gewissen

Journalistisch arbeiten in Corona-Zeiten: "Wie geht es dir beruflich?" haben wir jb-Kolleginnen gefragt. So unterschiedlich Job und Privates sind, so verschieden fallen die anonymisierten Antworten aus, die wir zu einer dreiteiligen Miniserie zusammengestellt haben.

 Kleine Kinder und zuhause arbeiten: #CoronaEltern im Dauerstress / Foto: Charles Deluvio - unsplash.com

#CoronaEltern - unter diesem Hashtag machen Eltern darauf aufmerksam, dass eher Autohäuser als Kitas und Grundschulen wieder öffnen. Für junge Familien wirken angedachte Lösungen konzeptionslos und nicht kindgemäß. Über den Spagat zwischen Homeschooling und Homeoffice berichtet unsere Gastautorin.


Freie Journalistin, verheiratet, zwei Kinder, seit sechs Wochen auch Hilfslehrerin


Klack-klack-klack, klack-klack … geben die Laptop-Tasten ein wohltuend-monotones Geräusch von sich, während auf dem Bildschirm eine Buchstabenreihe nach der anderen erscheint. Gleichmäßig tickend dreht der dünne lange Zeiger des alten Weckers neben mir seine Runden. Es ist kurz nach halb zwei – tiefdunkle Nacht. Stille. Ich arbeite an Texten und formuliere E-Mails, die ich am Morgen gegen acht Uhr versenden werde – damit es nicht so aussieht, als würde ich völlig übermüdet arbeiten.

Meine beiden Kinder sind drei und sieben Jahre alt. Sie haben ein starkes Mitteilungsbedürfnis, außerdem ständig Hunger, einen großen Bewegungsdrang und sie haben viel zu tun. Während die Schule Arbeitsblätter und Lernpläne in Hülle und Fülle schickt, kommen wöchentlich von der Kita Anregungen für Fingerspiele und lustige Zeitvertreibe wie Yoga im Freien, Mandala aus Naturmaterialen legen, Bilder aus Gewürzen malen, Regenbogen malen oder Bilder tupfen. Der Sportverein der Kinder schickt wöchentlich Trainingspläne mit Videos und Arbeitsblättern, auf denen neben den einzelnen Übungen auch die Anzahl der Wiederholungen und die empfohlene Dauer der einzelnen Übungen angegeben ist – in Sekunden. Danke für den Input. Und wie sieht´s mit dem Output aus?

Arbeit, die liegen bleibt


Je länger die Situation andauert, steigt mein Gefühl nicht zu genügen – weder im Job, noch in der Familie, trotz Leistungsbereitschaft und Optimismus. Es ist schön, die Kinder so viel um uns zu haben. Aber irgendwann passierte es dann doch: ich kam nicht mehr hinterher. Angefangen hatte es bei den beruflichen E-Mails, die ich nicht mehr zeitnah beantwortet habe, angefragte Angebote, die ich nicht schreiben konnte. Dann eine Aufgabe, die ich nicht bearbeitet habe, dann noch eine und noch eine. Die unerledigten Dinge im Job fallen mir – und anderen, mit denen ich zusammenarbeite – auf die Füße. Es gibt Konflikte, denn Kolleg*innen warten auf mich, weil sie sonst ihrerseits nicht weiter kommen. Jeden Tag denke ich: heute finde ich ganz sicher eine Zeitinsel und wenn nicht, dann spätestens am Abend. Und dieses Denken und Hoffen verhindert zu sagen: „Du, ich schaff es heute nicht.“ Stattdessen bleibt nur, in der Rückschau zugeben zu müssen: „Ich bin leider immer noch nicht dazu gekommen.“ Das ist peinlich, beschämend und schwer auszuhalten. Ich möchte nicht ständig Menschen, die in anderen Situationen leben, um Verständnis für meine Situation bitten, mag nicht immer alles mit den Kindern entschuldigen. 

Wir sind elterliche Hilfslehrkräfte


Aber warum ist es so schwer, einfach ein paar Dinge abzuarbeiten? Unser Erstklässler ist kein selbstständig arbeitender, disziplinierter Student. Er ist auch nicht besonders ehrgeizig, sondern ein Kind, das gerne spielt und laut tobt und es liebt mit der kleinen Schwester zu streiten. Die wiederum schätzt den lautstarken Streit mindestens genauso und hat bereits bei uns wütend Beschwerde über die vielen Schulaufgaben des Bruders eingelegt – da sind die zwei sich einig. Und wir elterlichen Hilfslehrkräfte? Wir sind unsicher und fragen uns ständig: wie viel Schulstoff muss so ein Knirps eigentlich schaffen am Tag? Wieviel Protest ist normal, wann ist es besser nachzugeben und wann sollte man lieber zum Durchhalten motivieren? Denn es wird nicht nur Bekanntes geübt, sondert auch Neues zur Vermittlung durch die Eltern bereitgestellt.

Wenn die „Zuhause-Schule“ am Vormittag vorbei ist, müssen die Kinder essen, an die frische Luft oder sie wollen einfach ganz normal spielen – laut und wild. Doch die Eltern arbeiten seit Wochen Zuhause, bitten ständig um Ruhe und schauen angestrengt in schwarze Kisten. Zeit zum Spielen als Familie? Nur diese eine E-Mail noch fertig machen! Und dann muss noch das Essen zubereitet werden, die Wäsche und der Einkauf erledigt sein und die schmutzigen Böden gereinigt. Aber eigentlich ist dann auch schon fast wieder Schlafenszeit. Dann spielen wir eben morgen – wenn die Aufgaben für die Schule fertig sind, bzw. nach dem Essen…

Mit jedem Lernplan mehr, der für meinen Sohn per Mail hier eintrudelt, wächst der Druck dafür zu sorgen, dass er den Anschluss nicht verpasst. Und mit jeder beruflichen E-Mail in meinem Postfach steigt auch der Druck, meine Kolleg*innen und Auftraggeber*innen nicht im Stich zu lassen. Und dann sind da natürlich auch finanzielle Sorgen. Wann soll das Versäumte je wieder aufgearbeitet werden?

Den Umständen trotzen


Es wird schon gehen, machen mein Mann und ich uns gegenseitig Mut. Wir haben uns vorgenommen, dass es zukünftig besser klappen wird. Wir werden uns besser organisieren, zusammenreißen, um am Abend konzentriert zu arbeiten, die kleine Fernsehzeit der Kinder effektiver für Momente am Schreibtisch zu nutzen, morgens eher aufstehen und tagsüber die Kinder mit kreativen Ideen zu beschäftigen, damit wir Freiräume zum, ja, wieder Arbeiten zu haben. Und wir werden es trotzdem schaffen, gute Eltern zu sein und auch schöne Dinge gemeinsam erleben.

Die Krise hat auch etwas Gutes: Wir meistern das alle zusammen, als Familie. Und noch was: die Kinder helfen jetzt im Haushalt mit. Denn sie sehen: Wenn alle anpacken, bleibt mehr Zeit für schöne Dinge. Und während ich so darüber nachdenke, weicht die Müdigkeit einem neuen Tatendrang: nicht aufgeben. Packen wir es an! Gleich Morgen.


So geht es weiter

Dienstag, 28.4.2020:
Auftragseinbruch versus Viel zu tun - Eine Freie und eine Führungskraft berichten

Mittwoch, 29.4.2020:
Krise als Chance: Digitales Empowerment - Zwei Journalistinnen über das Abenteuer Online-Lehre

Kommentare

  1. Vielen Dank! Bei uns sieht es sehr ähnlich aus. Mir gehen vor allem die Tipps, was man alles tolles machen soll, wobei man mitmachen soll, was die Kinder alles "abarbeiten" sollen (auch an Youtube-Videos) ziemlich auf den Keks! Wie soll das denn noch alles gehen?! Und dann hat man immer das Gefühl man arbeitet zu viel und kümmert sich zu wenig um die Kinder. Wirklich aufregen kann ich mich auch über Kommentare: "Ja, ihr habt es doch gut, ihr seid doch beide im Homeoffice und habt einen Garten!" Ja und?! Konsequenz daraus? Kinder im Garten anbinden?
    Wir versuchen es ähnlich zu machen wie Sie und Ihr Mann und hoffen auch, dass wir uns irgendwie durchschlagen. Muss ja! Im Notfall werden wir auch weiterhin Arbeitszeiten und Meetings verschieben und ständig da eingreifen, wo es vermeintlich brennt - im Beruf und an der heimischen Baustelle... Wünschen würde ich mir aber schon, dass die nicht in derselben Situation befindlichen Personen verstehen, dass man sich gerade ziemlich aufreibt und eine Bitte nach Hilfe beim Einkauf keine Schikane ist, sondern genau das - eine Bitte um Hilfe!
    Viele Grüße & weiterhin alles Gute von einer ebenfalls gestressten Mutter

    AntwortenLöschen

Da dieses Blog nicht mehr aktualisiert wird, ist die Kommentarfunktion geschlossen. Herzlichen Dank an alle, die uns ihre Anmerkungen und ihre Meinung mitgeteilt haben.

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.