Sonntag, 22. Juni 2014

Massenvergewaltigungen, eine Konferenz - und nun? Was bleibt vom Londoner Weltgipfel gegen sexuelle Gewalt in Konflikten?


Sie zog das Medieninteresse auf sich ….

…und lenkte es auf die Opfer: Angelina Jolie   Fotos: A. Knop

Sie kam gegen Ende der Veranstaltung - und viele zückten die Smartphones oder Fotoapparate. Ich ebenfalls, auch wenn sich das seltsam anfühlte, da eine Schauspielerin im Zuschauerraum abzulichten, während vorne auf dem Podium Frauen aus Uganda darüber sprachen, wie sie noch immer mit den Folgen des Bürgerkriegs kämpften. Damals entführt und vergewaltigt von der Lord's Resistance Army, heute heimgekehrt aber geächtet von der Gemeinschaft. 

Und dann bat die Moderatorin eine von ihnen, Esther Atim, noch einmal zu erzählen, was ihr widerfahren war - damit es auch Angelina Jolie und der britische Außenminister William Hague hören konnten. So als wäre das hier Hollywood, wo man eine Szene einfach wiederholt, wenn sie noch nicht richtig im Kasten war, dachte ich. Eine Inszenierung für die Schirmherren und für die Medien. Doch dann begann Esther Atim erneut zu erzählen - und ich änderte meine Meinung.


Geteilter Gipfel


Das war am 11. Juni im ExCel, einer Messehalle an der Themse. Die Szene ereignete sich auf dem Fringe Summit, dem offenen Programm der Konferenz gegen sexuelle Gewalt in Konflikten. Sie stand unter dem Motto #timetoact - Zeit zu handeln.

Man kam nicht vorbei an dieser Konferenz in London. Plakate hingen überall und der Evening Standard, die kostenlos in der U-Bahn verteilte Zeitung, widmete ihr jeden Tag mehrere Seiten. Obwohl ich für eine ganz andere Veranstaltung in London war, nahm ich die Bahn in die Docklands, um mir das anzusehen und zuzuhören. Der Fringe Summit gehörte den NGOs - ihren Ständen, Filmen, Diskussionen, Lesungen und Aktionen. Nebenan tagten die Politiker und Diplomaten - eine Trennung, die viele Aktivisten-SprecherInnen kritisierten. Sie hatten sich mehr Einfluss und Mitsprache gewünscht

Vom Opfer zur Anwältin


Was sie bekamen, war dann erst einmal "nur" eine Bühne und eine Stimme. Für die Überlebenden kann das aber viel bedeuten. "We don't have a voice in Uganda", sagte Esther Atim auf der Bühne mit lauter Stimme. Wenn die Mädchen und Frauen aus der Gefangenschaft heimkehren, gelten sie als Verbündete des Feindes, der in ihrem Dorf gemordet hat. Sie und ihre Kinder, die sie nach Vergewaltigungen zur Welt bringen, werden ausgegrenzt. Wiederaufbauprogramme - auch mit Mitteln aus dem Ausland - finanzieren Straßen, aber nicht ihr Schulgeld, das sie brauchen, um die verlorenen Monate und Jahre aufzuholen und sich eine Existenz aufzubauen. Um Gerechtigkeit und Hilfe für sich und andere Opfer zu bekommen, ist Esther Atim zur "Anwältin für Geschlechtergerechtigkeit" geworden, für die Organisation "Greater North Women’s Voices for Peace Network". Sie spricht für die, die (noch) nicht sprechen können, auf Veranstaltungen. 

Wie schwer es ist, seine Stimme zu erheben, zeigte ein Artikel im Evening Standard über Frauen, die eigentlich wissen, wie man Worte nutzt. Er handelte von fünf Journalistinnen, die vergewaltigt wurden, als sie von bewaffneten Konflikten berichteten. Jineth Bedoya Lima, entführt von Paramilitärs in Kolumbien, war zwei Wochen später wieder am Arbeitsplatz - schwieg aber, wie andere Kolleginnen, viele Jahre über die eigene Vergewaltigung. Heute redet sie darüber - auch um anderen eine Stimme zu geben. 

"Schande" wirkt länger als Schuld


Sexuelle Gewalt ist - nicht nur im Krieg - ein Verbrechen, bei dem die Opfer oft mehr zu befürchten haben als die Täter, wenn sie es öffentlich machen. Selbst im friedlichen Rechtsstaat Deutschland erleben nach eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Hannover nur 8,4 Prozent der Opfer nach einer Anzeige, dass der Täter verurteilt wird. (mehr dazu im Watch-Salon) Die Vereinten Nationen haben Bosnien-Herzegowina heftig dafür kritisiert, dass die Aufklärung der Massenvergewaltigungen noch 20 Jahre nach dem Bürgerkrieg so schleppend voran geht. Die Bilanz: 20.000 Opfer, 200 Anklagen, 29 Urteile. Die angebliche Schande wiegt oft schwerer als die Schuld. Die Betroffenen fürchten die Aussage, die Öffentlichkeit, die Scham - die Täter haben oft nichts zu befürchten. Lange Zeit war es ein totgeschwiegenes Verbrechen. Im Zuge der Londoner Konferenz gibt es nun zum Beispiel auch eine Debatte über die - bisher weitgehend unerforschte und tabuisierte - sexuelle Gewalt im Holocaust. Heute mangelt es nicht an Berichterstattung. Ob in Ruanda, im Sudan, im Kongo oder in Syrien - die Medien greifen das Thema auf. Aber sehen wir JournalistInnen auch dann noch hin, wenn der Konflikt abgeflaut ist? Fragen wir zum Beispiel deutsche Außen-, Wirtschafts- oder EntwicklungsministerInnen, wenn sie zu Besuch in Uganda waren, ob die deutsche Hilfe auch den vergewaltigen Frauen, Männern und Kindern zugute kommt? Wie es mit der Strafverfolgung der Verbrechen voran geht? Ob das überhaupt ein Thema der Gespräche war? 

Sexuelle Gewalt ist nichts, was in Konflikten halt "passiert", sie ist absichtsvoll. Die betroffenen Journalistinnen im Evening Standard berichten fast alle, dass es den Tätern darum ging, "eine Botschaft zu senden". Sie wollten die Frauen davon abbringen, an der Geschichte dran zu bleiben oder überhaupt als Journalistinnen zu arbeiten. Ebenso, wie es bei Vergewaltigung im Krieg meist darum geht, die Opfer - und damit ihre Familien, ihre Dörfer, ihre ethnische Gruppe oder ihre Gesellschaft zu demütigen und zu zerstören. 

Es lässt sich etwas tun - aber es muss auch getan werden


Die gute Nachricht: Absichten lassen sich durchkreuzen. Es lässt sich etwas tun. Und ein Anfang ist gemacht. Die schlechte Nachricht: Es muss viel mehr getan werden als jetzt - auch nach dieser Konferenz. Es fehlt vor allem Geld für die Opfer und die Organisationen, die sie unterstützen. Es fehlen auch Sanktionen und klare Worte. Einige Staaten legten bloß Lippenbekenntnisse ab - und bekamen dafür ihre Plattform. Es gibt aber auch konkrete Maßnahmen bei UN Action Against Sexual Violence in Conflict (UN ACTION), ein Zusammenschluss von 13 UN-Organisationen mit der gemeinsamen Sonderrepräsentantin Zainab Bangura: Ein Internationales Protokoll über die Standards, nach denen sexuelle Gewalt zu untersuchen ist, damit die Dokumentation für die Internationale Rechtsprechung verwertbar ist. Expertenteams und Trainings für UN- und andere Soldaten. Einfache Maßnahmen, die sexuelle Überfälle in Flüchtlingslagern eindämmen sollen: zum Beispiel kurze und sichere Wege zu den Toiletten. 

Wir Medien können etwas tun, indem wir bei den ExpertInnen nachfragen, uns genauer die Ursachen und Folgen der Gewalt ansehen - und vor allem am Thema dranbleiben, wenn der Fokus schon auf anderen Krisengebieten liegt. Jede und jeder kann übrigens bei "Stop Rape Now" mitmachen - Briefe schreiben oder ein Foto mit gekreuzten Armen auf Facebook posten. 



Und was hat nun Angelina Jolie getan? Sie hat zugehört - und mir und anderen damit die Chance gegeben, Esther Atim zuzuhören. Wer will, kann das auch jetzt noch tun. (Esther spricht ab Minute 6 des folgenden Videos). Es ist nicht einfach, aber es lohnt sich - um zu sehen, dass man zwar nichts ungeschehen machen, aber immer etwas ändern kann.

3 Kommentare

  1. Danke, Angelika,
    für diesen eindrucksvollen Bericht.Ja, wir dürfen nicht nachlassen mit unseren Fragen...ob mit oder ohne Angelina, sexuelle Gewalt als Mittel der Kriegsführung muss viel stärker ins Unrechtsbewußtsein gerückt werden und nicht als "Naturkatastrophe Krieg" hingenommen werden. Die Opfer müssen sprechen, und dies muss ihnen erleichtert werden. Wir haben das "Mikro".Dana

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  2. Die Vergewaltigung einer Kriegs- und Krisenberichterstatterin ist ganz klar der systematische Versuch, sie mundtot zu machen. Die vier im Artikel des Evening Standard genannten Journalistinnen haben dennoch weitergearbeitet. Aber erst dieser Weltgipfel zeigt auf, dass dies kein Einzelschicksal ist. Bittere Wahrheit: es wird mit großer Wahrscheinlichkeit etliche Kolleginnen mehr geben, die bei Ihrer Arbeit sexueller Gewalt ausgesetzt waren. Und es jeden Tag sind.

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  3. Danke Angelika für diese Zusammenfassung. Darüber habe ich in meiner Zeitung, der Süddeutschen, nichts gelesen. Als kleine historische Ergänzung: Helke Sander (eine der ersten Filmemacherinnen) hat meines Wissen Anfang der 90er Jahre zum ersten Mal über sexuelle Gewalt im Krieg ein Buch geschrieben: "Freier und Befreite". Es ging um Vergewaltigung im 2. Weltkrieg und sie hat sowohl deutsche Frauen als auch sowjetische Frauen interviewt. Das Buch war damals durchaus umstritten, da ihr von Teilen der linken Frauenbewegung auch vorgeworfen wurde, revanchistisch zu sein, da sie auch die Verbrechen der Sowjetsoldaten darstellte. Warum ich das hier nochmals aufgreife? Ich will damit sagen, dass das Sprechen über Vergewaltigung immer erst als ein so "großer Vorwurf" angesehen wird, dass unterstellt wird, es handele sich um eine manipulative Aussage der Frau und sie wolle damit "etwas anderes" erreichen. Frauen müssen es leider immer sehr sehr oft sagen, bevor einfach geglaubt wird, das es einfach passiert ist und sie Aufmerksamkeit und Einfühlung für ihren Schmerz bekommen. Elke

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