Freitag, 21. Dezember 2018

Weltneugier als Triebfeder – Nicola Graef im Gespräch

von Eva Hehemann

Neo Rauch erlaubte Nicola Graef und ihrem Team viele Besuche in seinem Leipziger Atelier / Foto: Alexander Rott

Neulich wurde auf ARTE der Kinofilm „Neo Rauch. Gefährten und Begleiter“ ausgestrahlt, der mich begeisterte und meine Neugierde auf die Macherin weckte. Wenige Tage später zeigte Das Erste von derselben Regisseurin einen Film zum Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: "Die Hand am Po". Mir war klar, dass ich hier auf eine geeignete Vorbild-Frau für den Watch-Salon gestoßen war. Ein Blick auf die lange Liste ihrer bisherigen Produktionen, durchsetzt mit feministisch anmutenden Themen, bestätigte meine Annahme. Die Liste zeigt eine beeindruckende Reihe von KünstlerInnen, DesignerInnen und anderen internationalen Persönlichkeiten sowie gesellschaftlichen und kulturellenThemen, mit denen sie sich für ihre Dokumentarfilme auseinandergesetzt hat.

Nicola Graef führt zusammen mit Kollegin Susanne Brand seit 15 Jahren sehr erfolgreich ihre eigene Produktionsfirma Lona•media. Ihr Kino-Dokumentarfilm von 2016 über den Leipziger Künstler wurde sehr positiv besprochen. Neo Rauch erlaubt eigentlich keine Beobachter im Atelier, doch Nicola Graef durfte ihn bei der Arbeit filmen und ihn über drei Jahre mit ihrer Filmcrew begleiten. Das Ergebnis erzählt nicht nur viel über die Innenwelt dieses Malers, sondern bietet auch seltene Einblicke in die internationale Kunstszene mit ihren Star-Galeristen und wichtigen Sammlern.

Die Fähigkeit der Regisseurin, ihre Interviewpartner dazu zu bringen sich ihr vertrauensvoll zu öffnen, zeigt beispielhaft auch ihre Reportage über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz „Die Hand am Po“. Zweieinhalb Jahre hat sie daran gearbeitet, also schon bevor #metoo das Thema in den Fokus rückte. Am Fall des Siegfried Mauser, dem wegen mehrerer Übergriffe entlassenen Direktor der Münchner Musikhochschule, führt sie die Mechanismen sexuellen Missbrauchs vor, dem Frauen in der Arbeitswelt ausgesetzt sind. Als Einzige lässt sie allerdings nicht nur die Opfer zu Wort kommen, sondern auch den Täter. Sie drängt den ZuschauerInnen dabei nicht ihre eigene Bewertung des Mannes auf, sondern – im Vertrauen auf die Intelligenz ihres Publikums – lässt sie ihm den Raum, sich selbst zu entlarven. Dadurch wird ihr Film ein überaus wichtiger Beitrag zur #metoo-Debatte.

Nicola Graef / Foto: Valeria Mittelmann
In ihrem TEDx-Talk in Leipzig vom Juni 2018 erklärt Nicola Graef ihre Weltneugier, die sie seit Kindertagen antreibt und wie intensives Fragen ihr die Lebenswelten anderer Menschen näher bringt, das Unsichtbare sichtbar werden lässt. In unserem Gespräch bekräftigt sie diese Prägung.

„Das liebe ich an meinem Beruf, am Journalismus, dass ich mich Menschen und gesellschaftlichen Themen nähern kann, die mir sonst verborgen bleiben würden, dass ich Lebenswelten kennenlerne, die so anders sind als meine eigene und genau deshalb meinen Blick öffnen und schärfen. Fragen stellen ist dabei der wesensbestimmende Modus, der für mich eine offene und kreative  Kommunikation ermöglicht. Angeregt durch das Gegenüber erwacht meine Neugier und ich nähere mich der Person und ihrem Leben Stück für Stück. Nahezu immer intuitiv, ich habe nie einen Fragezettel dabei. Durch den Dialog erweitere ich meine Persönlichkeit, meinen Blick auf die Welt. Dass ich diesen Beruf so ausüben kann, verdanke ich meinem Auftraggeber, dem Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen.

Nun ist mein Genre das Dokumentarische, was für mich weitestgehende Zurückhaltung mit der eigenen Bewertung und Haltung bedeutet; da geht es weniger um den journalistischen Kommentar als vielmehr um Beobachtung. Besonders bei sehr emotionalen Themen – wie zum Beispiel der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz – finde ich es wichtig, so weit als möglich beide Seiten zu Wort kommen zu lassen, also sowohl Opfer als auch Täter sozusagen kritisch zu betrachten, damit sich die Zuschauer am Ende ihre eigene Meinung bilden können.“

In Ihrem TEDx-Talk appellieren Sie am Schluss an die Frauen im Publikum, sich mehr an die Öffentlichkeit zu trauen, sichtbarer zu sein, sich Interview-Anfragen nicht zu verschließen. Trotz dieser weiblichen Zurückhaltung haben Sie aber eine spannende Liste starker Frauen für Ihre Interviews zusammen bekommen.


„Das stimmt zwar, aber dafür braucht es immer wieder sehr viel Überzeugungsarbeit. Gerade arbeite ich an einem 90-minütigen Film über die Kopftuch-Debatte, der nächstes Jahr fertig werden soll. Und wieder ist es schwierig, die eigentlichen Protagonistinnen vor die Kamera zu kriegen. Viele Frauen, die seit Jahren aktiv sind, die die gesellschaftliche Debatte bereichern und sich engagieren, möchten nicht im Fokus stehen. Es ist zwar in den letzten Jahren, auch dank der öffentlichen Diskussion darüber, besser geworden, aber ich würde mir doch wünschen, dass auch mal der Wissenschaftler durch eine Wissenschaftlerin, der Experte durch eine Expertin ersetzt würde, damit endlich sichtbar wird, dass Kompetenz nicht geschlechtlich orientiert ist. Die ARD hat jetzt eine Liste mit Expertinnen für verschiedene Themenbereiche zusammengestellt, die für Interview-Anfragen zur Verfügung stehen. Solche pragmatischen Schritte gehen in die richtige Richtung.

Szenenfoto mit Angelika Gifford aus dem 2013 für den WDR produzierten Dokumentarfilm "Chefinnen. Frauen in Weltkonzernen" von Nicola Graef / Foto: Lona media









Aber auch bei jungen Kolleginnen – und wir arbeiten sehr viel mit jungen Frauen zusammen, bilden auch Regisseurinnen aus – merke ich nach wie vor den Mangel an Bewusstsein dafür, dass sie sich äußern müssen, um wahrgenommen zu werden. Man darf nicht darauf warten, dass man entdeckt wird, sondern muss selbst nach vorne gehen, seine Energie auch weitergeben, vor allem an Frauen. Ich habe die Erfahrung gemacht, auch wenn man ja nie generalisieren soll, dass Frauen für meinen Beruf sehr prädestiniert sind, weil sie intuitiver und oft Empathie-fähiger sind als Männer, vielleicht auch gerade weil sie sich selbst nicht so in den Vordergrund stellen. Das ist der positive Aspekt weiblicher Zurücknahme, er schafft vielfach den Raum für den Anderen, um sich zu öffnen. Diese intuitive Kraft sollten Frauen nur noch deutlicher als ihre Stärke in den Vordergrund bringen.

Gesellschaftliche Teilhabe und Einflussnahme bedeuten aber auch, eine verantwortliche Position innezuhaben. Und noch sind Frauen in dieser Hinsicht benachteiligt. Deshalb befürworte ich auch die Quote. Nicht weil Frauen besser führen könnten oder bessere Menschen wären als Männer, sondern weil es schlicht und einfach eine Frage der Gerechtigkeit ist, dass Frauen genauso viele Führungsjobs innehaben wie Männer.“

Was tun Sie persönlich, um Frauen zu unterstützen?


„Wir arbeiten bei Lona•media nicht nur, aber hauptsächlich mit Frauen zusammen, sowohl im Team als auch bei Freelancern. Das ergibt sich immer wieder so. Nur bei den technischen Berufen wird es oft schwierig, Frauen zu finden. Besonders für Kamerafrauen ist die Vereinbarung von Familie und Beruf fast unmöglich. Das ist kein Beruf, den sie halbtags machen können; außerdem ist sehr viel Reisen involviert. Wenn sie dann nicht den richtigen Partner haben, können sie dem Job im dokumentarischen Kontext nur sehr schwer gerecht werden, sobald sie ein Kind haben. Und das ist ja sowieso ein Problem: es gibt offenbar immer noch viel zu wenige feministische Männer und Unternehmen, die Frauen als gleichberechtigt im Berufsleben unterstützen und diese Vereinbarkeit ermöglichen.

Susanne Brand und Nicola Graef sind zusammen Lona•media.
Hier bei der Premiere von Graefs Film „Gysi“ über Gregor Gysi 
und seine Familiengeschichte, 2018 im Babylon Kino in Berlin,
 Co Autor war Florian Huber  / Foto: privat
Meine Firmenpartnerin Susanne Brand und ich ergänzen uns ausgezeichnet, mittlerweile auch wegen unserer etwas unterschiedlichen Themenschwerpunkte. Wir sind aber beide seit jeher sehr an sozialgesellschaftlichen Themen interessiert, sind beide sehr energetisch und zielstrebig. Inzwischen haben wir zwei Büros, in Hamburg und Berlin, und die Zahl der Filme hat erfreulicherweise stetig zugenommen. Wo immer ich es kann, unterstütze ich Frauen in meinem Kompetenzbereich. Ich bewundere sehr, was Pro Quote erreicht hat, auch wenn der oftmals agitatorische Ton nicht unbedingt meiner wäre. Einen passenden Verband habe ich aber für mich noch nicht gefunden.

Ich berate auch Künstlerinnen und kuratiere Ausstellungen – vor zwei Jahren zum Beispiel eine Ausstellung in Berlin mit 170 weiblichen Positionen. In diesen Beratungsgesprächen wird immer wieder deutlich, was für ein Riesen-Thema auch das Verhältnis von Frauen zu Geld ist! Frauen müssen ihren Wert auch monetär benennen können. Wie wollen sie sonst in diesem wirtschaftlichen Kontext bestehen? Kein Mann irgendwo auf der Welt hätte ein Problem damit zu sagen, was er verdienen möchte.

Grundsätzlich sehe ich die Zukunft für Frauen in den deutschen Medien aber optimistisch. Frauen sollten sich daher nicht nur beklagen, sondern mehr selber machen, ihre eigenen Unternehmen gründen und ihr Ding durchziehen. Es braucht gerade in diesem Beruf Durchhaltevermögen und Geduld. Man braucht eine hohe Frustrationsgrenze, denn es werden ja auch ständig eigene Ideen abgelehnt. Aber davon darf man sich nicht entmutigen lassen, sonst ist man in der Freiberuflichkeit nicht gut beraten. Abgesehen davon sind wir in Deutschland mit unseren Öffentlich-Rechtlichen Anstalten und ihren zahlreichen Sendern, die für sehr viel Geld tausende Stunden an Neu-Produktionen in Auftrag geben, in einer phantastischen Lage! In welchem anderen Land gibt es noch solche Verhältnisse? Nirgendwo! Ich gehöre nicht zu den Produzenten, die sich dauernd beschweren. Ich vergleiche und sehe, was hier noch möglich ist und in welchem Umfang. Zwar sind Frauen in den leitenden Positionen nach wie vor eher rar, aber es bewegt sich doch etwas. Es gibt Intendantinnen, Chef-Redakteurinnen, Produzentinnen, bei neuen TV-Produktionen ganze Teams, die fast durchgängig weiblich besetzt sind … es geht also durchaus voran.“

Vielen Dank für das Gespräch und die ermutigenden Schlussworte. 



Weniger optimistisch schätzt die AG DOK die derzeitige Lage ein und hat in Leipzig im November diesen Jahres die neuesten Zahlen vorgelegt. Aktuell gehen ein knappes Drittel der Regieauträge und Förderentscheidungen an Frauen, letztere fallen zudem durchschnittlich um 25.000 € geringer aus als an Männer. In Zukunft soll aber alles besser werden. Pro Quote Film hat denn auch europaweit die Devise „50:50 by 2020“ ausgegeben, nachdem die ernüchternden Zahlen vorlagen. Schau’n mer mal …

2 Kommentare

  1. Liebe Eva,
    das ist wirklich ein schönes vorweihnachtliches Gespräch. Und es zeigt mal wieder, wie wichtig es ist, dass Frauen andere Frauen unterstützen, dass die Kinderfrage nach wie vor ungelöst ist usw. Gerade erzählte mir eine Bekannte, dass der Hort im Januar wegen ErzieherInnenmangel geschlossen ist, das Kind also um 13 Uhr nach Hause kommen wird ...

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    1. Liebe Elke,
      vielen Dank für Dein Lob. Und ich finde ja, dass Kinder und Karriere eigentlich vereinbar sein sollten, aber nicht weil die Betreuung bis in die Abendstunden abgegeben werden kann, sondern weil es für beide Eltern selbstverständlich ist, dass sie ihre Arbeitszeit je nach Bedarf flexibel reduzieren können. Das geht bei Nicht-Selbständigen natürlich nur, wenn der Arbeitgeber mitzieht. Aber als Mitglied in der IHK-Vollversammlung in Köln kann ich sagen, dass sich in dieser Hinsicht eine Menge bewegt. Schließlich haben wir FacharbeiterInnen-Mangel …

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