Freitag, 15. November 2019

Das geht gar nicht! Eine Diskussion über Feminismus, Intersektionalität und Journalismus

von Gastautorin Sissi Pitzer

Auf dem Podium (v.l.n.r.): jb-Vorsitzende Friederike Sittler, Bloggerin Kübra Gümüşay, Chefredakteurin Anna Mayrhauser, Journalistin Konstantina Vassiliou-Enz, Moderatorin Franziska Hilfenhaus / Foto: Stefan Röhl

Eine Diskussion über 280 Zeichen hinaus. Dazu hatte der jb gemeinsam mit der Heinrich Böll Stiftung am 11. November in Berlin eingeladen. Anlass: Die Auseinandersetzung um die Hedwig-Dohm-Urkunde für die Karikaturistin Franziska Becker im Sommer, die vor allem auf Twitter zu heftigen Diskussionen und auch Anfeindungen gegen den jb geführt hatte. Aber, so betonte jb-Vorsitzende Friederike Sittler in ihrer Begrüßung, die Veranstaltung solle das Thema weiten: Wie arbeiten wir handwerklich sauber in Zeiten, in denen viele viral gehende Beiträge sehr subjektiv sind? Wie umgehen mit dem Streit im Feminismus, auch um die Bedeutung von Intersektionalität?

„Wenn ich bei Rot über die Straße gehe, dann geht der ganze Islam hinter mir“. Kübra Gümüşay, Journalistin und Netzaktivistin, weiß, was Intersektionalität bedeutet: Sie wird angefeindet und diskriminiert als Frau, als Muslima, als Kopftuchträgerin, als Journalistin, als Deutsch-Türkin, wie sie sich selbst bezeichnet. Sie kreidet das Vorgehen vieler im Journalismus an, einzelne Personen als Repräsentant*in einer ganzen Gruppe darzustellen, sie auf ein Thema zu reduzieren und Menschen somit Komplexität abzusprechen. Auch jemand, der Kopftuch trägt oder aus dem Iran stammt, hat individuelle Fachkenntnisse, kann Expert*in sein, für ganz unterschiedliche Themen.

„Wir sind keine Experten für Islam, Integration und Gemüsehandel“ titelten die Neuen deutschen Medienmacher über Journalist*innen mit Migrationshintergrund schon vor Jahren, plakativ auf ihrer Broschüre zur Expert*innendatenbank „Vielfaltfinder“. Konstantina Vassiliou-Enz betont auf dem Podium erneut, wie wichtig die unterschiedlichen Perspektiven in den Redaktionen sind. Doch selbst Anna Mayrhauser, Chefredakteurin des feministischen Missy-Magazines, muss einräumen, dass es mit Diversität in der Redaktion noch nicht so weit sei wie erhofft und gewünscht. Friederike Sittler versucht als Journalistin und Theologin, Wein ins Wasser zu gießen: „Es ist in den vergangenen 40 Jahren doch schon viel geschehen, wir fangen nicht bei Null an“.

Was dürfen Karikaturen?


Über das Lebenswerk von Franziska Becker wurde eher am Rande, vor allem aber sachlich diskutiert. Unter ihren Karikaturen sind vor allem einige aus den 80er Jahren, die kopftuchtragende Frauen als Islamistinnen anprangern, in die Kritik geraten - als klischeehaft, islamfeindlich, rassistisch. Konstantina Vassilou-Enz weist darauf hin, dass damit das Narrativ eines islamisierten Deutschlands bedient werde, das von den Rechten komme.

Während Friederike Sittler bei allen Religionen kritisch darauf schauen will, ob und wenn sie für Machtansprüche missbraucht werden, verweist Anna Mayrhauser darauf, dass bei Zeichnungen, die das Christentum aufspießen, gegen die Würdenträger, also gegen die da oben, nicht gegen die da unten ausgeteilt werde. Das ist auch der Punkt von Kübra Gümüşay: Karikaturen könnten sich gerne auch über Extremisten im Islam lustig machen – und das passiere sogar durch Künstler*innen in der islamisch Welt -, aber kopftuchtragende Frauen dürften nicht das Ziel sein. Sie könnten sich nicht wehren, würden entmenschlicht, zur Zielscheibe von Hass. Dass Kontext wichtig ist und dass die Medien, die Karikaturen veröffentlichen, dafür auch die Verantwortung übernehmen müssen, wie von Konstantina Vassilou-Enz angemahnt, darauf können sich auf dem Podium alle verständigen.

Wie verbessern wir die Berichterstattung?


Von der Frage, ob wir schlechte Karikaturen aushalten müssen, ist es nicht weit zu der, was wir als Journalistinnen überhaupt aushalten müssen: Anfeindungen, Hass, Diskriminierung? Kübra Gümüşay hält dagegen: Wenn aus berechtigter Kritik Rassismus wird, sollen wir uns dem verweigern. Der Konflikt unserer Zeit sei der einer Diskrepanz zwischen Idealen – wir alle wollen frei von Rassismus oder Sexismus sein – und der Realität. Sie spricht von einem „eklatanten Mangel an Demut“, wenn wir unsere eigene Wahrnehmung anderen überstülpen. Ob etwas rassistisch oder sexistisch oder auf andere Art und Weise diskriminierend ist, könne nur der oder die Betroffene selbst beurteilen. Selbstkritik und ein Bewusstsein für unterschiedliche Perspektiven könne da hilfreich sein.

Wir sollten den Rechten nicht einfach das Mikrofon hinhalten – und den Satz von Konstantina Vassiliou-Enz verinnerlichen: „Rassismus ist keine Meinung wie jede andere auch“. Der Kritik, Journalist*innen machten sich gemein – mit der Klimabewegung, guter Flüchtlingspolitik, sozial Schwachen – entgegnet Kübra Gümüşay: "Wir machen uns mit dem Grundgesetz gemein. Die Würde des Menschen ist unantastbar.“


Unsere Gastautorin


Sissi Pitzer ist Medienredakteurin beim BR Hörfunk und aktive Netzwerkerin. Gemeinsam mit Kolleginnen vom jb und anderen Münchner Frauennetzwerken hat sie das Netzwerk Media Women Connect ins Leben gerufen. Es hat sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass der Frauenanteil auf den Podien der Medientage München in 2019 auf 36 Prozent gestiegen ist. Seit einigen Monaten arbeitet sie für den BR in Berlin.

Foto: Media Women Connect



Die komplette Diskussion und die einleitenden Worte von Friederike Sittler kann man auf YouTube ansehen, weitere Fotos und Infos gibt es auf der Homepage des Journalistinnenbundes.

Verwandte Themen im Watch-Salon:
Lale Akgün und der aufgeklärte Islam
Strategien für vielfältigen Journalismus

Zum Thema Intersektionalität gibt es beim Gunda Werner Institut der Heinrich Böll Stiftung ein umfangreiches Dossier

2 Kommentare

  1. "Ob etwas rassistisch oder sexistisch oder auf andere Art und Weise diskriminierend ist, könne nur der oder die Betroffene selbst beurteilen." Diesem Statement würde ich doch widersprechen. Auch Friederike Stiller hat versucht, konkrete Aussagen von Kübra Gümüşay zu erhalten, was für sie denn genau Rassismus ist. Die Abgrenzung zwischen Religionskritik am Islam und Rassismus ist nämlich für die Debatte zu Frauenrechten im Islam durchaus erheblich, wenn nicht sogar entscheidend. Wir können eine sachliche Debatte nicht führen, wenn jede Frau selbst bestimmen kann, was rassistisch oder anderswie diskriminierend ist oder nicht. Es gibt Definitionen und auf solche sollten sich Frauen in der Behandlung dieser Themen einigen. Das hat nichts mit Demut zu tun, aber viel mit Klarheit und Verständlichkeit.

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  2. Leider konnte ich am 11.11. nicht in Berlin sein, umso mehr habe ich mich gefreut, die Podiumsdiskussion später auf youtube zu verfolgen. Nach der Einführung und dem sehr guten Impulsreferat war ich nun wirklich gespannt. Doch keiner der angestoßenen Fragen ist wirklich diskutuert worden. Was sind denn nun die Interessenskonflikte? Wieso gibt es überhaupt ein "wir" und "ihr"? Findet eine Fragmentierung der Gesellschaft durch das Einfordern der Intersektionalität statt? Oder ist sie ohnehin schon da und wird durch sie nur sichtbarer? Gibt es nur weißen Rassismus? Wie sieht ein Journalismus aus, der versucht, allen Bevölkerungsgruppen gerecht zu werden? ist das wirklich erstrebenswert? Ich hätte mir auch eine Wissenschaftlerin gewünscht, die noch ein anderes Schlaglicht auf das Thema wirft. So ist ein ziemliches Ungleichgewicht entstanden - ich hatte den Eindruck, dass Friederike Sittler als jb Vorsitzende, aufgrund der Preisverleihung an F.Becker, zu sehr in die Rechtgertigungsecke gedrängt wurde, aus der sie nur schlecht herauskam. Da hätte eine andere Mischung der Gäste sicher gut getan. Und vor allem eine Moderatorin, die ein wenig kenntnisreicher gewesen wäre und das Gespräch auf wirklich weitere Themenfelder gelenkt hätte.So entstand auch bei mir der Eindruck, den Friedrike Sittler leider zu spät moniert hat: Der Journalistinnenbund hätte bislang geschlafen und sei überrascht, dass es noch eine Welt, jenseits seines weißen, priviligierten feministischen Tellerrands hüberhaupt gibt.Schade. Aber das Thema bleibt ja aktuell und vielleicht könnte der jb noch einmal eine Veranstaltung dazu machen.

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