Freitag, 9. März 2012

Jüngste Vergewaltigungsprozesse Thema auf Internationalem Frauentag in Kassel

Schluss mit der Gewalt an Frauen und Mädchen! So wollen wir nicht mehr enden!
Foto: Spielzeugmuseum Bad Arolsen-Massenhausen
Was geschieht einer vergewaltigten Frau, wenn Sie sich traut, das Verbrechen vor Gericht zu bringen? Allzu oft wird sie zusätzlich durch die Mühlen der Justiz gedreht wie durch einen Fleischwolf. Dieses Thema fokussierte gestern der Interntionale Frauentag in Kassel.

Organisiert vom breit gefächerten Kasseler Frauenbündnis - Frauen-Organisationen und -Projekte vom Archiv der deutschen Frauenbewegung, Frauenhaus und FrauenLesbenzentrum über Frauen des Deutschen Gewerkschaftsbunds, der evangelischen Kirche von Kurhessen Waldeck bis zur städtischen Frauenbeauftragten sowie Einzelfrauen - zogen FrauenLesben traditionell in der Innenstadt auf die Straße, um auf dieses Dilemma aufmerksam zu machen.

Kämpferisch forderten die Bündnis-Frauen auf ihrem Flugblatt:

NEIN heißt NEIN!


101 Jahre Internationale Frauentage sind eine sichtbare Erinnerung daran, dass die politische und berufliche Teilhabe von Frauen, die Durchsetzung von Frauenrechten und das Recht auf ein gewaltfreies Leben nicht als eine Selbstverständlichkeit angesehen werden kann! All dies wurde von vielen mutigen und engagierten Frauen gemeinsam erstritten und muss immer wieder neu verteidigt werden.
Heute - am Internationalen Frauentag 2012 - setzen Kasseler Frauen gemeinsam ein solidarisches Zeichen gegen Gewalt an Frauen und möchten Frauen dazu ermutigen, sich zusammenzuschließen und für ihre Rechte einzutreten!


In den letzten Monaten gab es eine Reihe von mehr oder minder spektakulären Vergewaltigungsprozessen in Kassel und anderswo, die mit einem Freispruch der Beschuldigten, der Einstellung der Verfahren oder einer Bewährungsstrafe endeten. Was die Prozesse (wie z.B. Kachelmann, Pfeffermann, Strauß-Kahn, Türck) gezeigt haben, ist, dass die Angeklagten den Opfern häufig ökonomisch und situativ überlegen sind. Darüber hinaus haben die Angeklagten grundsätzlich das Recht zu schweigen, die Opfer aber müssen reden. Die von Gewalt betroffenen Frauen sind alleine in der Beweispflicht! Und dies bei Überfällen und Übergriffen, bei denen es häufig keinerlei objektiven Beweise oder Zeuginnen gibt.


Die Aberkennung der Glaubwürdigkeit des weiblichen Opfers bleibt auch im 3. Jahrtausend das zentrale Mittel eines „Freibriefs“ für sexuelle Gewalt gegen Frauen! Ein gängiges und zulässiges Mittel der Verteidigung ist dabei, vor Gericht die Glaubwürdigkeit der Vergewaltigungs- oder Gewaltopfer in häufig zutiefst demütigender Weise zu beschädigen. Die Prüfung und Infragestellung der Glaubwürdigkeit der Opfer (und nicht die der Täter!) ist auch bei Verfahren wegen sexuellem „Missbrauch“ und Gewalt gegen Frauen in Partnerschaften häufig von ausschlaggebender Bedeutung.
Ein derartiger Prozessablauf entmutigt die Opfer von sexualisierten Überfällen und „häuslicher Gewalt“ bereits im Vorfeld so sehr, dass sie es nicht wagen überhaupt Anzeige zu erstatten.


Entsprechend hoch ist die Dunkelziffer. Verlässliche Schätzungen gibt es nicht. Kommt es zu einer Anzeige, erhebt die Staatsanwaltschaft in nur 17 % aller angezeigten Fälle überhaupt Anklage. Die Verurteilungsquote ist seit dem Jahr 2000 von durchschnittlich 20% auf 13% gefallen. Entgegen bestehender Stereotype sind Falschanschuldigungen bei Vergewaltigung eher selten (Anteil von 3% in Deutschland).*


Erst 1997 stellte Deutschland (als eines der letzten europäischen Länder) Vergewaltigung in der Ehe als Sexualdelikt unter Strafe. Und bis heute klafft eine große Lücke zwischen dem gesellschaftlichen Klima, das Vergewaltigung grundsätzlich als Unrecht anerkennt und Frauen auch zur Anzeige ermutigt und dem tatsächlichen Umgang mit dem real existierenden Vergewaltigungsopfer vor Gericht.


Ein Vergewaltigungsverfahren muss für die betroffenen Frauen eine faire Erfahrung von Gerechtigkeit und öffentlicher Anerkennung ihres Leidens sein! Und sie müssen ausreichend Bedenkzeit für die Erstattung einer Anzeige haben, um sich auch den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gewachsen zu fühlen.


Deshalb fordert das Kasseler Frauenbündnis…


… die Möglichkeit der anonymen Spuren- und Beweissicherung bei Opfern von Vergewaltigungen! Betroffene können damit ihre Befunde unmittelbar nach der Tat von einer Frauenärztin/Frauenarzt ihres Vertrauens erheben und kostenfrei aufbewahren lassen. Das hat den Vorteil, dass die Opfer sich nicht in einer emotional sehr aufgewühlten Situation für oder gegen eine Anzeige entscheiden müssen, sondern sich auch noch zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Anzeige entschließen können. Die dafür wichtigen Beweise bleiben durch die anonyme Sicherung erhalten!


Hilfreiche Hinweise…
…wenn Sie eine Frau unterstützen möchten, der Gewalt angetan wurde
  • Treffen Sie keine Entscheidungen über den Kopf der Frau hinweg!
  • Drängen Sie sie nicht, über die Tat und Ihre Gefühle zu sprechen!
  • Teilen Sie Ihre Bereitschaft mit, ihr zuzuhören, für sie da zu sein, aber lassen Sie die Frau den Zeitpunkt selbst bestimmen.
  • Machen Sie ihr keine Vorwürfe. Stellen Sie keine Fragen, die die Frau in eine Verteidigungsposition drängen würden.
  • Vermitteln Sie, dass die Verantwortung für die Tat beim Täter liegt!
  • Fragen Sie, welche Unterstützung sie von Ihnen möchte: Informationen, Adressen besorgen, Begleitung, etc.
  • Respektieren Sie die Entscheidungen der Frau, auch wenn Sie selbst eine andere Einschätzung haben (z.B. in Bezug auf eine Anzeige). Häufig reagieren gerade Männer mit großer Wut auf die Schilderungen der Betroffenen und drängen zur Anzeige, zu sonstigen Aktivitäten oder drohen damit, selbst aktiv zu werden. Auch wenn heftige Gefühle verständlich sind, ist die Folge häufig, dass die betroffene Frau schweigt, um die Angehörigen/ Freunde zu beruhigen. Die Wut auf den Täter und der Versuch, die Frau unter Druck zu setzen, irgendetwas zu unternehmen, bietet einen scheinbaren Ausweg für Angehörige/ Freunde, mit dem Gefühl der eigenen Ohnmacht und Hilflosigkeit umzugehen. In der Konsequenz hilft das jedoch der Betroffenen dies nicht weiter.
  • Sie können sich als Angehörige, FreundInnen, Vertrauenspersonen, Fachkräfte und MultiplikatorInnen bei den entsprechenden Unterstützungseinrichtungen beraten lassen, wenn Sie merken, dass Sie mit dem Geschehen an die Grenzen dessen stoßen, was für Sie verständlich, nachvollziehbar oder zu bewältigen ist.
  • Männliche Angehörige verweisen wir in der Regel an spezielle Beratungseinrichtungen für Männer weiter.
Weitere Hilfe und Unterstützung finden Sie hier
  • Frauenhaus Kassel e.V. 0561 – 89 88 89
  • Frauenhaus im Landkreis Kassel 0561 - 491 01 94
  • Frauen informieren Frauen e.V – Beratung nach dem Gewaltschutzgesetz 0561 - 89 31 36
  • Mädchenhaus Kassel. 0561 - 717 85
  • Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen 0561 - 77 22 44
  • WENDO – feministische Selbstverteidigung für Frauen und Mädchen Kontakt über Frauenhaus Kassel oder 0561 – 820 31 32
Flugblatt vom 8. März 2012. Herausgegeben vom Kasseler Frauenbündnis.
Kontakt: frauenhaus-kassel[at]web.de

 
*Corinna Seith, Joanna Lovett & Liz Kelly (2009): Unterschiedliche Systeme, ähnliche Resultate? Strafverfolgung von Vergewaltigung in elf europäischen Ländern. Länderbericht Deutschland.




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