Mittwoch, 29. Mai 2019

Europa-Wahl 2019 #7. Astrid Corall: "Die Rechtspopulisten werden nicht viel bewirken können"

von Tina Stadlmayer

Vor der Europawahl fragten wir Kolleginnen nach einer Einschätzung. Kurz nach der Wahl habe ich mit Astrid Corall, Hörfunk-Korrespondentin im WDR/NDR-Studio Brüssel, über ihre Eindrücke gesprochen.

Journalistin Astrid Corall will "eine verständliche Sprache sprechen und die Kompliziertheit der Dinge auflösen."
Foto: privat


Bei der Wahl am vergangenen Wochenende erlitten Konservative und Sozialdemokraten europaweit empfindliche Stimmenverluste. Grüne, Liberale, Rechtsextreme und Rechtspopulisten schnitten dagegen gut ab. Radiojournalistin Astrid Corall berichtete in den vergangenen Tagen rund um die Uhr über das Wahlergebnis und seine Auswirkungen auf die Zukunft.


Die Rheinländerin ist seit September 2018 Hörfunk-Korrespondentin im WDR/NDR-Studio am Hauptsitz der EU. Sie absolvierte 2003 ein Volontariat beim NDR. Es folgten sieben Jahre bei NDR 90,3 in Hamburg. Zunächst in der Nachrichtenredaktion und als Sportreporterin, dann berichtete sie über politische und wirtschaftliche Themen in der Hansestadt. 2011 wurde Astrid Corall Redakteurin bei NDR Info, war verantwortlich für Medienthemen und Mitglied des Reporterpools. Zwischendurch sammelte sie erste Erfahrungen als Korrespondentin – bei Vertretungen in Berlin, Paris und Brüssel.

Haben Sie mit diesem Ergebnis gerechnet? Was bedeutet es für die Zukunft der EU?


Das Ergebnis habe ich tendenziell schon so erwartet, allerdings hat mich auch einiges überrascht – etwa dass die Grünen so deutlich zulegen konnten, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern. Und dass der Klimaschutz in diesen Zeiten doch für mehr Wähler als vielleicht gedacht eine wichtige Rolle spielt. Die hohe Wahlbeteiligung ist eine positive Überraschung – sie zeigt auch, die Menschen interessieren sich mehr für Europa. Ich denke, die EU muss nun die drängenden Fragen und Probleme angehen, sich um die wichtigen Themen kümmern – um Klimaschutz, die Asylpolitik, um soziale Fragen und einiges mehr.

Wird das gute Abschneiden der rechtspopulistischen, rechtsextremen und EU-kritischen Parteien die EU verändern?


Ich denke schon. In welchem Maße wird allerdings auch davon abhängen, wie geballt sie auftreten werden, ob die Rechtspopulisten zersplittert bleiben oder ob sie sich doch in einer Fraktion zusammenfinden. Die Diskussionskultur wird sich aber auf jeden Fall ändern und die Debatten werden schärfer werden. Die Rechtspopulisten könnten auch versuchen, Sand ins Getriebe zu streuen. Inhaltlich werden sie aber nicht viel bewirken können, denn die Arbeits- und Beschlussfähigkeit im Parlament ist durch sie nicht gefährdet. Die pro-europäischen Parteien bleiben in der Mehrheit, aber sie werden mehr Kompromisse eingehen müssen. Es wird spannend, wie sich die britischen Abgeordneten im Parlament verhalten werden. Werden sie alle ihre Rechte und Pflichten wahrnehmen, obwohl sie ja im Herbst – falls es zum Brexit kommt - wieder aus dem EU-Parlament ausscheiden werden?

Welche Themen waren bei der Europa-Wahl besonders wichtig?


Das war natürlich in den einzelnen Mitgliedsländern unterschiedlich. Aber die Themen Migration und Schutz der Außengrenzen spielten eine große Rolle. Wichtig war aber auch das Thema Klimaschutz. Und in einigen Ländern, auch in Deutschland, spielten der Nationalismus und der Populismus eine Rolle, wie man damit umgehen und ihnen begegnen kann, in Großbritannien natürlich auch das Thema Brexit.

 

Europa hat gewählt


Neue Sitzverteilung im EU-Parlament
vorläufig:

EVP (Christdemokraten): 177 (-40)
S&D (Sozialdemokraten): 150 (-37)
ALDE (Liberale): 107 (+39)
Grüne: 69 (+17)
EKR (Euroskeptiker): 63 (-12)
ENF (Rechtsextreme): 58 (+21)
EFDD (Populisten): 54 (+13)
Quelle: Europaparlament/News

Hat die EU bei den Brexit-Verhandlungen bisher alles richtig gemacht oder gibt es aus ihrer Sicht Kritikpunkte?


Aus meiner Sicht hätte die EU nicht mehr tun können. Zum einen, weil die Verhandlungen schon sehr lang und zäh waren. Am Ende gab es eine Einigung, auch für das Problem der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland. Dafür gab es dann keine Mehrheit im britischen Parlament. Aber es kamen auch keine Alternativ-Vorschläge aus Großbritannien. Es war schon erstaunlich, dass alle EU-Mitgliedsstaaten in diesen Verhandlungen zusammengehalten haben. Hätte man das Abkommen wieder aufgeschnürt, dann wäre diese Einigkeit bedroht gewesen.

Waren sie selbst manchmal genervt von den Verhandlungen?


Genervt würde ich nicht sagen. Aber ich war überrascht über die immer neuen Wendungen. Erst hieß es ja, im Herbst muss alles durch sein, dann wurde es Dezember, dann Januar, dann hat das britische Parlament die Vorlage mehrmals abgelehnt. Ich gehe nicht davon aus, dass es den Brexit so schnell geben wird.

Was ist das Spannende und was ist das Anstrengende an der Arbeit als Korrespondentin in Brüssel?


Ich finde das Internationale sehr spannend, dass ich in Brüssel so viele Menschen aus verschiedenen Ländern kennen lerne, ihre Mentalitäten und ihre Sichtweisen. Zum Beispiel die der britischen Abgeordneten auf den Brexit. Das eröffnet neue Horizonte und führt dazu, dass ich Themen von verschiedenen Seiten beleuchten kann. Interessant ist auch, dass ich viele Entwicklungen ganz nah mitbekomme und dadurch besser verstehen kann. Das ist sowieso das Tolle an unserem Beruf, dass wir immer wieder mit neuen Themen zu tun haben. Das ist aber natürlich auch das Anstrengende: sich innerhalb kurzer Zeit auf Neues einstellen, den Überblick behalten und komplexe, ressortübergreifende Zusammenhänge erkennen.

Es ist auch schön, dass ich nicht nur für die EU zuständig bin, sondern auch für die Berichterstattung aus Belgien. Neulich habe ich zum Beispiel einen Beitrag über Jacques Brel gemacht, das war mal etwas anderes als harte EU-Politik. Manchmal empfinde ich es als anstrengend, dass man nie aufhören könnte zu arbeiten. Es ist dann wichtig zu sagen: Ich mache jetzt Schluss für heute.

Versuchen Sie der Europa-Verdrossenheit entgegen zu wirken? Wenn ja, wie?


Nicht bewusst, das sehe ich auch nicht als unsere Aufgabe an. Grundsätzlich sollten sich die Hörerinnen und Hörer ein gesamtes Bild von der EU machen können. Meine Aufgabe sehe ich darin, darzustellen, was die EU macht, was sie im Alltag bewirkt und natürlich auch, wo die Probleme liegen. Grundsätzlich denke ich, dass es ein Wahrnehmungsproblem gibt: Wenn etwas nicht gut läuft, dann heißt es: "Brüssel ist schuld". Aber wenn etwas gut läuft, dann wird es oft nicht der EU zugeschrieben. In diesem Punkt müssten die Politiker ehrlicher sein – und klar machen, dass es zum Beispiel die Mitgliedstaaten selbst sind, die weiterreichende Beschlüsse der EU in manchen Feldern verhindern.

Wie schaffen Sie es, komplizierte EU-Themen verständlich darzustellen?


Ich bemühe mich, eine verständliche Sprache zu sprechen und die Kompliziertheit der Dinge aufzulösen. Dabei ist es wichtig, nicht zu viel an Vorwissen vorauszusetzen und vor allem zu zeigen, welche konkreten Auswirkungen das Thema auf die einzelnen Menschen hat. Bei Themen wie "Zeitumstellung" oder " Plastikverbot" wissen alle, worum es geht. Aber bei anderen Themen muss ich erst mal erklären, was es damit auf sich hat. Ich versuche auch die Entscheidungswege zu erklären, die zu einem Gesetz führen. Oft heißt es zum Beispiel: "Die EU hat beschlossen ..." Aber in Wirklichkeit ist es nur ein Vorschlag der Kommission und noch lange kein Gesetz.

In Brüssel arbeiten deutlich mehr Männer als Frauen, sowohl in der Politik als auch in den Medien. Was bedeutet das für Ihre Arbeit? Wie ist die Zusammenarbeit mit den Politikerinnen und den Kolleginnen?


Es gibt einen Journalistinnen-Stammtisch für deutschsprachige Kolleginnen. Die Zusammenarbeit mit Politikerinnen empfinde ich nicht anders als die mit Politikern. Es gibt aber Themen, für die mehr Frauen zuständig sind und andere, die eher Männer-Bereiche sind. Ich kümmere mich um Außen- und Sicherheitspolitik. Da ist es manchmal nicht so leicht, Interview-Partnerinnen zu bekommen. Ich habe aber gemerkt, wenn ich suche, dann finde ich auch relativ viele Expertinnen, die sich mit diesem Themenbereich beschäftigen.


Ihre Schwerpunkte sind Außen- und Sicherheitspolitik. Korrespondentin Astrid Corall an ihrem Arbeitsplatz. / Foto:privat

Gibt es im Bereich Sicherheitspolitik und Nato Männerklüngel, von denen Sie als Frau ausgeschlossen sind?


Nein, es gibt Hintergrundgespräche, zu denen ich immer eingeladen werde. Anlässlich des Weltfrauentages hat die Nato zum Hintergrundgespräch mit Generalsekretär Jens Stoltenberg sogar ausschließlich Journalistinnen eingeladen. Thema war: "Frauen in der Nato" .

Was bedeutet die EU für Sie persönlich und wo sehen Sie Defizite?


Die EU ist für mich "Freiheit". Sie hat vieles erreicht, was uns zu Gute kommt: Das Reisen zwischen den Ländern ist heute so einfach; und in den meisten EU-Ländern gibt es den Euro. Wir verdanken der EU auch, dass seit Jahrzehnten Frieden herrscht. Das war ja gerade in Europa nicht immer so. Wir nehmen das alles für selbstverständlich. Das ist auch eines der Defizite, die mir einfallen: Die EU müsste das Erreichte und ihren Wert stärker betonen, Gemeinsamkeiten stärker herausstellen. Ein weiteres Defizit ist die Zerstrittenheit in Fragen der Migrations-, Außen- und Sicherheitspolitik.  Das macht mir Sorgen mit Blick auf die kommenden Jahre.

Wird es andere Länder geben, die wie die Briten aus der EU aussteigen wollen?


Zumindest hat der Brexit nicht dazu geführt, dass es derzeit Nachahmer gibt. Er wirkt abschreckend, weil klar geworden ist, wie schwer es ist, die EU zu verlassen. Nichtsdestotrotz ist aber die EU-Skepsis weithin verbreitet.


Das Interview mit Astrid Corall ist der Abschluss unserer Serie zur Europawahl. Bisher sind bereits erschienen:


Kommentare

  1. Liebe Salonistas, Kompliment für diese schöne und interessante Reihe! Hoffentlich haben sie viele gelesen.Ich teile die Artikel so oft wie möglich und verstehe nicht, warum nicht mehr Kolleginnen dies tun.Echt schade!

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