Örtliche Arbeitsagenturen, so seine Recherche, vermitteln Arbeitslose an Callcenter - und die Kommunen zahlen zusätzliche Wirtschaftsförderung.
"Die Branche boomt, wo gibt es sonst schon Arbeitsplätze, und dann noch für Ungelernte?",fragt der Autor, dessen Name international bekannt ist. Nicht nur Studierenden und Volontären, sondern auch großen Teilen der Allgemeinheit. Sein Name gilt bereits als Methode. Nämlich "wallraffa". Der Begriff "wallraffa" ist weder schwäbisch noch badisch, sondern schwedisch (bzw. finnisch) und kaum ein Journalist verewigte sich zu Lebzeiten auf diese Art im Ausland. Es steht für seine unkonventionellen Recherchemethoden. Sein Gesicht ist nicht immer bekannt, da er ein erfahrener Verwandlungskünstler ist. Wenn auch mit Hilfe von einer Maskenbildnerin, die ihn, wie er im Buch freimütig einräumt, um 15 Jahre jünger gemacht hat. Dies war nötig, da er, Jahrgang 1942, einen Call-Center-Job annahm, der es erforderte, dass ein gewisses Alterslimit nicht überschritten wird.
Das Buch zeigt zwar nicht viele Fotos, aber die abgedruckten sagen mehr als tausend Worte. Wenngleich, insbesondere auf Seite 101, noch "photographierte Worte" (also Text) zu sehen ist. Das Foto zeigt einen beschrifteten Spiegel, das "sein Gesicht", beziehungsweise das des "Michael Fischer", reflektiert. Dort steht:
"Schau in diesen Spiegel. Was du siehst ist einmalig."Eine subtile Mitarbeitermotivation, schließlich sollen diese, so der Autor, motiviert verkaufen, zum Wohle der Firma.
Das Buch hat sprachlichen Biss! Egal, ob es sich um seine Reportagen über DB, Lidl, Starbucks, Edelgastronomie oder die "Anwälte des Schreckens" handelt. Auch wenn es, insbesondere im Kapitel "Bei Anruf Abzocke", zum Teil an den zermürbenden Zitaten der Callcenter-Agenten liegt. Zum Beispiel:
"Dann geb ich Ihnen jetzt meinen Namen, damit Sie wissen, mit wem Sie telefoniert haben. Das ist Michael Fischer. Nee, Michael wie der heilige Michael. Und Fischer, wie der Joschka Fischer, der Verbrecher. Bitte? Nee, ich bin der heilige Michael. So. Und für den Anfang der Bargeldgewinne ab 2500 Euro und für den monatlichen Spielbetrag i.H.v. 64 Euro muss ich noch wissen, mit welcher Bank Sie zusammenarbeiten..."
Allerdings gibt es auch Kapitel, in denen der Autor sich einfach dumm stellt, wie z.B. in seiner Rolle als Farbiger. Er schildert erschreckende Beispiele aus Ost und West. Dass man ihm weder Wohnung, noch (obwohl mit deutschem Auto vorfahrend) Campingplatz gewähren will - und selbst seinem Schäferhund keine Aufnahme in den Hundeausbildungsverein.
Viel Idealismus für einen Autor, der sich als vorbestrafter Ingenieur ausgibt, oder Mittelloser, der die kältesten Tage des Winters obdachlos erlebt. Trotz seinen Tarnungen wurde er erkannt. Zum Beispiel von einem Journalisten, der seine Ziele, Fremdenfeindlichkeit abzubauen, kollegial teilte - oder einem Lidl-Mitarbeiter. Letzterer wird zitiert mit den Worten:
"Ich wollte dich nicht verunsichern, du solltest deine Sache machen, ohne die Sorge, dass dich jemand verpfeift!"
Bei jenen bedankt er sich im Buch ausdrücklich. Angesichts der Tatsache, dass deutschlandweit täglich Privatpersonen aus allen Bevölkerungsschichten mit unliebsamen Werbeanrufen belästigt werden, hat es zudem einen hohen Nutzwert für alle Leserinnen und Leser. Die Fußnoten mit ausführlichen Quellenangaben bieten weitere Hintergrundinformationen und belegen gewissenhafte journalistische Arbeit. Dennoch schwingt eine subtile Ironie in der Art und Weise, wie er schreibt und Situationen beschreibt. Vermutlich liest es sich daher so spannend wie ein Krimi.
Günter Wallraff
Aus der schönen neuen Welt
Expeditionen ins Landesinnere
KiWi
ISBN: 978 3 462 040494
Preis: 13,95 Euro
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