"Es macht einen Unterschied, ob man sich das Wissen um Minderheiten anrecherchiert und erfragt hat, oder ob man es seit Jahrzehnten mit sich trägt." - Vanessa Vu / Foto: privat |
Vanessa Vu hat "den Wunsch, Menschen zu verstehen. Am liebsten die, die nicht verstanden werden: Hassende und Gehasste, Ausgegrenzte und Andere". Die 26-jährige Redakteurin arbeitet bei ZEIT ONLINE im Ressort Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Ihre Schwerpunktthemen sind Migration, Feminismus und Südostasien. In ihrem Text "Meine Schrottcontainerkindheit" erzählt sie, wie es ist, wenn man mit der ständigen Angst aufwächst, abgeschoben zu werden.
"Vielseitig statt eintönig" – unter diesem Motto findet das diesjährige Medienlabor des Journalistinnenbundes statt. Vielfalt, was bedeutet das Wort für Dich?
Vielfalt bedeutet für mich anzuerkennen, dass wir in Deutschland sehr viele Lebensrealitäten haben: vom Schuhplattler über die vietnamesische Gemüsehändlerin bis hin zur queer-feministischen Berlinerin und dem Anzugträger im Siemensvorstand. Sie alle haben spannende Geschichten und wichtige Perspektiven. Leider kommt in den Medien aber vor allem der Anzugträger und seine Sicht auf die Welt vor.
Auf Twitter schreibst Du, dass Dein Text "Meine Schrottcontainerkindheit" deine bisher persönlichste Geschichte ist. Welche Reaktionen hast Du auf die Veröffentlichung bekommen?
Ich war überrascht, wer sich alles mit meinen Kindheitsanekdoten identifizieren konnte. Zunächst einmal schrieben mir viele Deutschvietnamesinnen und Einwandererkinder zum Teil sehr lange, persönliche Nachrichten mit sehr ähnlichen Geschichten. Mit einigen bin ich noch heute in Kontakt. Aber auch DDR-Flüchtlinge oder Menschen, deren Sexualität in ihrer Umgebung nicht akzeptiert war, haben sich in einigen Teilen wiedergefunden. Vermutlich sind Erfahrungen von Ausgrenzung, Orientierungslosigkeit und Assimilation doch sehr universale.
Wie geht vielfältiger Journalismus?
Ich glaube zwar, dass alle Journalistinnen und Journalisten vielfältigen Journalismus machen können, indem sie neugierig und offen auf alle Menschen zugehen und sich in Sachen Diskriminierung weiterbilden. Für einen tiefergreifenden Wandel glaube ich aber, führt kein Weg an vielfältigeren Redaktionen vorbei. Es macht eben doch einen Unterschied, ob man sich das Wissen um Minderheiten mal eben anrecherchiert und erfragt hat, oder ob man es seit Jahrzehnten mit sich trägt. Zum einen ist das Bild differenzierter, zum anderen erlebe ich persönlich auch, wie ich einen ganz anderen Zugang habe, andere Schwerpunkte setze, und auch ein ganz anderes Vertrauen von den Menschen bekomme, die ich für eine Geschichte befrage oder begleite.
Wie erreichen wir Vielfalt in den Redaktionen? Hast Du Ideen für Strategien?
Früher dachte ich: Ist doch ganz einfach, stellt uns einfach ein, macht uns gute Angebote, wir sind da, der Rest wird schon laufen. Heute sehe ich, wie kompliziert Personalentscheidungen sind, wie viel Bewegung jede neue Person in der Redaktion bedeutet. Vielfalt integrieren heißt ja gerade nicht, Leute zu finden, die sich perfekt in das schon immer bestehende Schema fügen. Sie sind anders, sie haben andere Qualifikationen, andere Ideen. Damit muss man erstmal umgehen können. Deswegen würde ich meine Einstellung aber nur soweit korrigieren: Ja, ist kompliziert, stellt uns trotzdem ein, macht uns gute Angebote, wir sind da, am Rest können wir zusammen arbeiten.
Die Autorin und Aktivistin Kübra Gümüsay sagte in einem Talk bei der re:publica 2017, dass sie sich so viel mit dem Hass im Netz beschäftigt, dass sie manchmal fast vergisst, mit welchen Themen sie sich beschäftigen würde, wenn es diesen Hass nicht gäbe. Geht es Dir ähnlich?
Ha, da spricht mir Kübra aus dem Herzen! Ich habe beim Schreiben oft das Gefühl, mich so sehr mit Abwehrkämpfen zu beschäftigen, mich nur zu erklären, dass jeder neue Gedanke von Gedanken um Hasskommentare gebremst wird. Das fühlt sich an wie geistige Verstümmelung. Besonders stark ist das bei Themen rund um Diskriminierung. Gleichzeitig regt sich in mir aber auch so ein Trotz: Dann erst recht, denke ich. Gäbe es diesen ganzen Hass nicht? Ich bin noch dabei, mich davon zu befreien, den Kommentaren weniger Raum zu geben. Aber das Fiese ist ja: Sie beschäftigen einen am meisten, wenn es einem gerade am schlechtesten geht und man sie am wenigsten brauchen kann.
Vielen Dank für das Gespräch.
Am Freitag, den 23. März 2018 spricht Vanessa Vu beim Medienlabor des Journalistinnenbundes in Köln zum Thema "Medien in der Einwanderungsgesellschaft".
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