Montag, 3. Dezember 2018

Das Jahr der Töchter- Mütter- und Familiendramen - Büchertipps der Salonistas

Von Magdalena Köster (mk), Mareice Kaiser (mck) und Tina Stadlmayer (tst)

Und wenn wir schon wieder von der Einsamkeit reden, so wird immer klarer, wir sind einsam, meinte schon Rilke
Foto: Priscilla du Preez, Unsplash

Wirklich angenehm sind die schillernden Personen ja nicht, die uns dieses Jahr in neuen Büchern begegnen. Die Erzählungen muten uns einiges an Egozentrik zu, an Eifersucht und großer Einsamkeit. Aber durch Humor und leisen Spott gut verträglich. Ganz so, wie es die Dichterin Elizabeth Bishop einmal formulierte: "Das ganze ungeordnete Treiben geht weiter, schrecklich, doch fröhlich."



Fotos: Autorinnen oder Verlagscover
Mit Familienzwistigkeiten, so sagt sie selbst, kennt sich die Autorin Alexa Hennig von Lange als fünffache Mutter aus. In ihrem Buch "Kampfsterne" geht es um zwei Familien in ihren adretten Vorstadthäusern, bei denen scheinbar alle miteinander befreundet sind, sich aber gleichzeitig verachten, beneiden, begehren. Die Männer bleiben eher schwach im Hintergrund, die Frauen wägen täglich Aussehen und Begabung ihrer Kinder gegen die der anderen ab. Ablenkung von den eigenen Sehnsüchten. Nach unten treten als Ventil für bohrende Unzufriedenheit.

Ob die 80er Jahre im Westen der BRD wirklich so eine Hölle waren, würde ich ja bezweifeln. Auch die Kinder sind hier immer ein wenig over. Zu begabt, zu frühreif, zu reflektiert, zu nymphomanisch. Aber ihre Charaktere hat Hennig von Lange sehr gut herausgearbeitet und lässt ihnen in eigenen Kapiteln viel Platz.

Und leider gibt es sie ja noch immer, "die hungrigen erwachsenen Frauen", die so viel wollen und so frustriert sind, weil der Dreiklang Arbeit, Mutter- und Geliebtsein gar nicht so sinnerfüllend ist, wie sie es sich einmal erhofften. (mk)

Alexa Hennig von Lange,  Kampfsterne, Dumont Buchverlag, 2018, 224 Seiten.


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Um Liebe, Recht und Gerechtigkeit in Zeiten der Globalisierung dreht sich der Roman von Kamila Chamsie.


Aneeka ist eine mehr oder weniger fromme Muslimin aus Nord-London. Ihr Zwillingsbruder Parvaiz hat sich dem IS in Syrien angeschlossen, aber schnell erkannt, dass er lieber wieder in sein altes Leben nach London zurück möchte. Der britische Innenminister Lone könnte ihm helfen. Um ihn beeinflussen zu können, verführt Aneeka seinen Sohn Eamon, in den auch ihre Schwester verliebt ist. Wen das an eine griechische Erzählung erinnert, liegt nicht falsch. Die Autorin Kamila Shamsie hat mit "Hausbrand" die Neuauflage einer Tragödie von Sophokles geschrieben. Aneeka ist Antigone.

In ihrem Roman "Hausbrand" geht es um den Widerspruch zwischen Recht und Gerechtigkeit. Und es geht um die Liebe und darum, welche Opfer Liebende bereit sind, zu bringen. Kamila Shamsie wurde 1973 in Pakistan geboren und ist dort aufgewachsen, heute lebt die Autorin in Großbritannien. In "Hausbrand" ist es ihr gelungen, ihre muslimischen Protagonist*innen differenziert und klischeefrei zu beschreiben: Die Kopftuchträgerin führt ein modernes Leben, der Terrorist ist ein sympathischer 19-Jähriger und der aus Pakistan stammende britische Innenminister hadert mit seiner Rolle als Hardliner. Kamila Shamsies Roman ist ungeheuer aktuell. 2018, ein Jahr nachdem das Buch in Großbritannien mit dem Titel "Home Fire" erschienen ist, wurde mit Sajid Javid tatsächlich der erste aus Pakistan stammende Brite zum Innenminister ernannt.

Die Stärke des Buches liegt darin, dass die Figuren ihr Handeln selbst erklären, ohne dass die Autorin das Geschehen bewertet. Kamila Shamsie erzählt die Geschichte aus den wechselnden Perspektiven der einzelnen Personen. Das macht die Handlung so vielschichtig und zwingt die Leser*in dazu, ihre eigene Meinung zum Geschehen immer wieder zu überdenken und eigene Wertmuster zu hinterfragen. Kamila Shamsie hat mit der englischen Erstausgabe "Home Fire" sehr verdient den "Women´s Price for Fiction 2018" gewonnen und es auch auf die Longlist des "Man-Booker-Preises" geschafft. Das Buch ist auch in der englischen Originalversion sehr gut zu lesen. (tst)


Kamila Shamsie, Hausbrand, Berlin, 2018, 256 Seiten 

Kamila Shamsie: Home Fire, Bloomsbury Paperback, 2017, 272 Seiten


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Alles sinnlos da draußen. Weg mit der Welt. "Ich setze mein Leben gern aufs Spiel, wenn ich dafür den ganzen Tag schlafen und zu einem neuen Menschen werden kann." So müde, so angeekelt von ihrem oberflächlichen New Yorker Leben agiert die 26jährige Tochter aus schwierigem, reichen Hause, die als Kunsthistorikern in einer Galerie in Chelsea schon zu viel durchgeknallten Menschen aus der "Kulturelite" begegnet ist. Den Rest gibt ihr der Suizid ihrer eitlen, selbstsüchtigen Mutter wie der kurz darauf folgende Tod des desinteressierten Vaters. "Anfangs wollte ich nur ein paar Downer, um meine ewig kritischen Gedanken zu ersticken; der stetige negative Ansturm in meinem Hirn machte es mir schwer, nicht alles und jeden zu hassen." Daraus wird ein Jahr im Bett, umgeben von Dutzenden Packungen voll Beruhigungs- und Schlafmitteln, mit alten Filmkassetten und nächtlichem Binge-Surfen.

Ganz klappt es mit dem Rückzug aber nicht. Immer wieder sieht sich die Hauptperson nach einer vollgedröhnten Nacht mit den Ergebnissen nächtlicher Eskapismen konfrontiert, an die sie sich nicht erinnert. Auf dem Tisch liegt mengenweise bestelltes, stinkendes Fastfood neben halbausgepackten neuen Kleidern herum. Der Blick in den Spiegel zeigt "ich war beim Friseur", der Blick in den Computer "ich habe mit wildfremden Männern gechattet". Irgendwann wird die Leserin ungeduldig. Schafft sie es noch, sich "in eine Person zu verwandeln, die in der Welt lebt, anstatt ständig davon zu träumen, sich daraus zu entfernen"? Am Ende gibt es Hoffnung. Stimmt, was der Guardian schreibt: Das ist diamantharte Unterhaltung.

Ottessa Moshfegh, Foto: Krystal Griffiths
Ottessa Moshfegh, 37jährige Schriftstellerin aus Boston mit kroatisch-iranischen Wurzeln, hat schon in ihren ersten erfolgreichen Büchern eine Vorliebe für gestörte Persönlichkeiten gezeigt, die sich vom Bedürfnis nach menschlichem Kontakt frei machen möchten. In einem Interview ärgert sich Moshfegh darüber, dass sie immer wieder gefragt werde: "Woher nehmen Sie die Kühnheit, über eine so ekelhafte weibliche Figur zu schreiben?" Man brauche aber Härte, um in einer Gesellschaft der Mittelmäßigkeit über Menschen und ihre Lebenskämpfe zu schreiben. "Das ist die Art von Autorin, die ich schon immer sein wollte, eine Unruhestifterin." Moshfegh steht auf der Liste der besten jungen Autor*innen der USA.

In einem sehr interessanten Interview im Guardian erzählt die Autorin von ihrem eigenen "Kampf", den sie als 17jährige mit einem bekannten Schriftsteller führte. #metoo à la Moshfegh. (mk)

Ottessa Moshfegh, Mein Jahr der Ruhe und Entspannung, Verlag Liebeskind, 2018, 320 Seiten


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"Manchmal bedauerte sie es, keinen Penis zu haben. Es wäre so viel leichter: Yves könnte sich rüberbeugen und ihr den Kopf zwischen die Beine schieben. Stattdessen tänzelte seine Hand über ihren rechten Oberschenkel, strich über die Stoffhose, deren obersten Knopf er längst geöffnet hatte, um mit seiner Hand hineinzufahren, bis sie anfing zu schwitzen. Würde er sein Sperma in den nächsten Tagen nicht noch benötigen, sie hätten vielleicht einen Zwischenstopp eingelegt."

Oft habe ich keine Geduld für Romane. Sie müssen wirklich gut sein, damit ich dran bleibe. Christian Dittloff hat das geschafft. In "Das Weiße Schloss" stellt er das Konzept Familie, wie wir es kennen, komplett auf den Kopf. Und denkt Familie weiter – zwischen Utopie und Dystopie. Ist Mutterliebe vielleicht nur eine Erfindung? Und ist es erlaubt, vom Leben nur die guten Dinge zu wollen, nicht aber die anstrengenden und die, die weh tun könnten?

"Aber ich finde es gut, dass wir ein Kind haben werden", sagte Yves. "Ich finde es auch gut." "Es wird ein großartiges Kind. Und immer wenn wir es besuchen, können wir es lieben. Wir können gute Eltern sein." (mck)

Christian Dittloff, Das weiße Schloss, Berlin Verlag, 2018, 304 Seiten


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Geh, Mädchen! Schau, was in dir steckt, sagte meine Mutter.

"Ich war stark und er nicht. Denn er war aus Wolle und ich aus Draht. Also bin ich und nicht er in den Krieg gezogen, um die Republik zu verteidigen." So erzählt es uns Ash, die eigentlich Constance heißt, die ihren Mann zurücklässt und als Soldat in den amerikanischen Bürgerkrieg zieht. Weil sie aus größter Entfernung nicht nur "einem Hasen den Kopf zwischen den Ohren wegschießen" kann, nehmen ihr alle den Kerl ab, nur die wenigen Frauen unterwegs schauen ihr in die Augen und nicken ihr unauffällig zu.

Ein Lob dem Autor Laird Hunt, der ein dermaßen klarsichtiges Porträt einer jungen Frau geschaffen hat und dabei alle Rollenmuster über Bord wirft. Er las alle Briefe und Berichte, die es von den vermutlich 400 Kämpferinnen in diesem Krieg gab und konnte sich so auf einen ganz besonderen Ton einschwingen. Zwar gewöhnungsbedürftig, sehr lakonisch, aber enorm fesselnd, wie mündlich erzählt. Ash zeigt sich uns unberührt und brutal wie alle, aber auch intelligent und listig, emotional in ihren inneren Monologen und den Briefen an den Mann auf der Farm. Sie wird ihn wiedersehen, aber es wird anders ausgehen, als sie es sich in vielen Nächten ausgemalt hat. Paul Auster fand das Buch "überwältigend". Ich auch. (mk)

Laird Hunt, Die Zweige der Esche, btb Verlag, 2017, 282 Seiten.


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Am nächsten Wochenende stellen wir fünf Sachbücher vor, ganz aktuell, politisch, streitbar.


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