von Luise Loges
Renate Künast, Anja Reschke und Alice Hasters diskutieren über Anti-Feminismus und Sexismus Foto: Henning Schacht |
Meinungsfreiheit und Debatte sind essentielle Bestandteile unserer Demokratie. Hasstiraden und sexualisierte Beschimpfungen müssen Journalistinnen und Politikerinnen dabei jedoch nicht hinnehmen. Um sich wirkungsvoll dagegen zu wehren, brauchen sie aber weit mehr Unterstützung als das derzeit der Fall ist. Da war sich das Podium einig: die Bundestagsabgeordnete Renate Künast, die Journalistinnen Anja Reschke und Alice Hasters sowie die Professorin für Genderforschung, Paula-Irene Villa Braslavsky.
Die aus Infektionsschutzgründen klein gehaltene Jahrestagung 2020 des Journalistinnenbundes (jb) am vergangenen Samstag begann anspruchsvoll mit einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin. Angelika Knop, Autorin im Watch-Salon, moderierte die Diskussion "Mutig gegen Hass und Hetze". Der Zeitpunkt hätte passender kaum sein können, "am Ende einer Woche, in der erst der Altherrenwitz sein x-tes Comeback feierte und schließlich eine Politikerin Opfer eines besonders widerlichen sexistischen Angriffs wurde, der dann aber auch durch parteiübergreifende Frauensolidarität endlich einmal Konsequenzen hatte", wie Juliane Seifert, Staatsekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in ihrem Impulsreferat sagte.
Schon Hedwig Dohm bekam Drohbriefe
Prophetische Fähigkeiten müssen den Organisatorinnen bei der Planung der Diskussion allerdings nicht angedichtet werden, denn sexistische Anfeindungen und Hasskampagnen im Netz sind geradezu alltäglich. Antifeministischer Backlash gegen Frauen, die ihre Rechte einfordern, ist nichts Neues: Schon die Publizistin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, Ikone des Journalistinnenbundes, bekam im 19. Jahrhundert Drohbriefe für ihr Engagement. Daran erinnerte jb-Vorsitzende Friederike Sittler in ihrer Begrüßung.
Alice Hasters hat als Schwarze Deutsche lebenslang Rassismuserfahrungen gemacht, doch besonders seit der Veröffentlichung ihres Buches "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten" ist sie Angriffen ausgesetzt. Paula-Irene Villa Braslavsky ist an der LMU München Professorin für Gender Studies – das Fach allein ist schon Hassobjekt für Antifeminist*innen.
Renate Künast, die im Netz Opfer übelster Beschimpfungen war, suchte mit denen, die das geschrieben hatten, den Dialog und machte daraus das Buch "Hass ist keine Meinung". Eine Zeitlang, so erzählt sie, ging es in jedem Interview nur um ihre persönliche Erfahrung – darauf hat sie keine Lust mehr. Die anderen Diskutantinnen stimmen zu: Keine von ihnen möchte nur als Opfer gesehen werden.
Um aus der Opferrolle herauszukommen, geht jede auf ihre Art in die Offensive. Renate Künast, selbst Juristin, wehrt sich vor Gericht gegen Verleumdungen und Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte. Hatte 2019 noch das Berliner Landgericht geurteilt, dass sie selbst übelst sexualisierte Beschimpfungen in gewissen Debatten "aushalten" müsse, bekam sie im weiteren Verfahren zumindest teilweise Recht. Auch erhielt sie Daten zu den Verfassern, um diese zu identifizieren und zu verklagen. Die Entschädigungen, die sie so erstreiten will, gehen an HateAid, einen Verein, der Betroffene digitaler Gewalt unterstützt und den Künast mitgegründet hat.
Alice Hasters setzt sich beleidigenden Kommentaren auf Twitter gar nicht mehr aus, sondern lässt sie nach bestimmten Begriffen filtern und ausblenden. In der direkten Begegnung sucht sie durchaus manchmal die Konfrontation, zum Beispiel bei rassistischen Bemerkungen: "Es kostet weniger emotionale Energie, Konflikte offen anzusprechen, als sie allein zu tragen." Anja Reschke betont, wie wichtig es ist, sich in Redaktionen vor Kolleg*innen und Interviewpartner*innen zu stellen, die Hasskampagnen ausgesetzt sind. Denn deren Zweck ist die gezielte Zerstörung der Debattenkultur. Reschke stellte klar: Ein Angriff auf eine Kollegin ist ein Angriff auf uns alle und auf die Demokratie. Den Angreifenden gehe es darum, Themen von der Agenda zu nehmen und Menschen zum Schweigen zu bringen. Hasters und Künast betonen aber, dass da in manchen Redaktionen deutlich mehr getan werden sollte – insbesondere für freie Mitarbeiter*innen.
Angriff auf die Pressefreiheit
Dass die digitalen Hasstiraden keine zufälligen Entladungen, sondern ein zielgerichtet eingesetztes politisches Werkzeug sind, bestätigt auch Professorin Paula-Irene Villa-Braslavsky: Oft stehen sie mit der rechten "Identitären Bewegung" in Verbindung, die im Internet weltweit bestens vernetzt ist. Dadurch hat sie unverhältnismäßig viel Einfluss, obwohl sie nur eine winzige Minderheit darstellt.
Anja Reschke weist auf die "90-9-1-Regel" der sozialen Medien hin: 90 Prozent lesen nur mit, neun sharen und liken, nur ein Prozent engagiert sich wirklich. Krakeelen erzeugt dabei die meiste Aufmerksamkeit, Eskalation werde von den Algorithmen belohnt, so Irene Villa. Das liege auch daran, dass es heute in den sozialen Medien viel mehr Stimmen gibt und die Schwelle, sich Gehör zu verschaffen, höher ist.
Das Podium diskutiert lebhaft darüber, ob der Diskurs wirklich vielfältiger oder, wie Anja Reschke meint, eher eingeschränkter geworden ist: Die Angriffe kämen immer aus derselben Richtung. Hasters und die Moderatorin Angelika Knop weisen darauf hin, dass Aufmerksamkeitsökonomie und Emotionalisierung auch von klassischen Medien genutzt werden.
Als Lösungsstrategie wünscht sich vor allem Juristin Renate Künast robusteres Vorgehen gegen Hass im Netz. Das Netzwerk-Durchsetzungs-Gesetz nehme die Plattformen noch nicht genügend in die Haftung. Das Gesetz gegen Hasskriminalität zwingt sie nun dazu, schwere Rechtsverletzungen nicht nur auf Verlangen zu löschen, sondern von sich aus anzuzeigen. Doch weil mehrere Gutachten die Datenübermittlung an das Bundeskriminalamt für verfassungswidrig halten, hat es der Bundespräsident bisher nicht unterzeichnet. Vor allem aber stört Künast, dass Betroffenen und Nichtregierungsorganisationen, die sie unterstützen, zu wenig Mittel bekommen.
Ebenfalls Konsens: Redaktionen und andere Arbeitgeber*innen wie Universitäten müssen ihre Mitarbeiter*innen schützen und das Thema digitale Gewalt ernst nehmen. Für die Zukunft erhoffen sich die Podiumsteilnehmerinnen, dass das Thema von einer breiteren Öffentlichkeit als gefährlich erkannt wird. Es müsse klar werden, dass es meist keine spontanen Wutausbrüche sondern gut orchestrierte Kampagnen seien – und dass diese Kampagnen teils international finanziert seien.
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Hilfe und Unterstützung gegen digitale Gewalt
Wer sich gegen Hass im Netz engagieren möchte, kann das z.B. beim Verein ichbinhier oder der gleichnamigen Facebook-Gruppe tun. Dort geht es vor allem darum, in den Kommentarspalten der Hetze mit eigenen, sachlichen und freundlichen Statements etwas entgegen zu setzen.
Betroffene von digitaler Gewalt können sich an HateAid wenden. Dort bekommen sie Beratung und Unterstützung. Wer gegen Hass und Hetze zivilrechtlich vorgehen möchte, kann sich die Kosten für die Klage vorfinanzieren lassen. Hat sie Erfolg, wird die Entschädigung oder das Schmerzensgeld zurückgespendet und hilft anderen, vor Gericht zu ziehen.
Der Verein „Neue Deutsche Medienmacher“ vertritt seit 2016 in Deutschland die internationale Bewegung „No Hate Speech“ für eine hassfreie Sprache im Internet. Dieser hat ein Helpdesk und einen Leitfaden erarbeitet.
Ebenfalls aktiv gegen Hate Speech ist die Amadeu-Antonio-Stiftung.
Soforthilfe für Betroffene
Unsere Tipps:
1. Achtsamkeit
Bei Hasskommentaren wahrnehmen: Was macht das mit mir?
2. Abstand
Immer daran denken: Nicht du bist Schuld an hasserfüllten Kommentaren, wenn du selbst einen respektvollen Umgangston gepflegt hast. Es geht in der Regel gar nicht um dich, sondern du bist eine Projektionsfläche für Probleme, die diejenigen haben, die Hass und Hetze verbreiten. Und du bist nicht allein. Viele andere bekommen solche Kommentare. Es ist die traurige Wirklichkeit.
Du musst das auch nicht lesen. Du kannst zum Beispiel jemanden bitten, deinen Account zu übernehmen und gegebenenfalls zu dokumentieren, was da kommt. Du kannst bewusst eine Auszeit nehmen, wenn du das brauchst – dir etwas Gutes tun, nette Menschen treffen etc.
3. Beistand
Wende dich an Stellen, die weiterhelfen, wenn du das für richtig hältst. Aktiviere deine Freunde, deine Community: bitte sie, dir öffentlich beizustehen. Das funktioniert auch mit sachlichen Kommentaren ohne Replik – einfach, um zu zeigen, dass es auch anders geht.
4. Reaktion
Entscheide, wie du reagieren möchtest. Lass dich dabei auf keinen Fall auf endlose Diskussionen ein und auf keinen Austausch, der dich weiter verletzt. Ignorieren ist eine Möglichkeit, Anzeige und Ziviklage sind ebenso immer eine Option.
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Die jb-Jahrestagung 2020: Mut wurde ausgezeichnet
Im Anschluss an die Podiumsdiskussion fand die Verleihung der jb-Medienpreise statt. Ausgezeichnet wurden vier mutige Journalistinnen. Petra Gerster, langjährige ZDF-Anchorwoman, erhielt die Hedwig-Dohm-Urkunde für ihr Lebenswerk.
Friederike Sittler übergibt Petra Gerster die Hedwig-Dohm-Urkunde. Links: Laudatorin Andrea Stoll Foto: Henning Schacht |
Danke für diese fundierte Zusammenfassung. Danke an den jb für die außerordentliche Tagung in außerordentlichen Zeiten. Und perfekt: Der Videomitschnitt.
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