Freitag, 13. Dezember 2019

Unbias the News - Vielfalt zwischen zwei Buchdeckeln

von Angelika Knop

Unbias the News. Why Diversity matters - Warum Journalismus Vielfalt braucht.
Das Buch von Hostwriter und CORRECTIV ist auf Englisch und Deutsch erschienen. / Foto: hostwriter

Menschen haben Vorurteile. Ich als Journalistin kläre auf und kann sie ausräumen. Das stimmt und ist gleichzeitig doch ziemlicher Quatsch. Natürlich sitzen auch zwischen meinen Ohren Stereotypen, Ressentiments und eine Portion Unwissenheit. Und wenn ich mir dessen nicht bewusst bin, schaffe oder bestärke ich mit meiner Arbeit erst Vorurteile. Wie viele blinde Flecken ich habe, aber auch wie sehr Kolleg*innen in aller Welt mit ähnlichen Problemen kämpfen, und dass es sich deswegen oder trotzdem zu kämpfen lohnt, hat mir das Buch "Unbias the News" gezeigt.

"Es ist wichtig, sich die Dinge durch verschiedene Brillen anzuschauen. Niemand betrachtet die Welt mit bloßen Augen, und da es unvermeidlich ist, dass wir durch unseren Werdegang befangen sind, sollten wir zumindest wissen, welche Farbe unsere Brillengläser haben. Für uns Journalist*innen ist das Bewusstsein um die eigene Befangenheit umso wichtiger, weil wir dazu da sind, Brücken zwischen den Räumen zu bauen: Wir sind die Hör- und Sehhilfen der Öffentlichkeit."
Das schreibt die chinesische Autorin und Redakteurin Qian Sun, die in Berlin lebt und arbeitet, in einem Beitrag über die unterschiedliche Sicht auf Privatsphäre bei uns in Deutschland und in ihrem Heimatland. Diese Ansicht ist wie ein Roter Faden, der sich durch den orangefarbigen Band zieht. In 30 Artikeln machen sich Journalist*innen aus vielen Ländern, quer durch Medientypen und Ressorts, Gedanken über ihre Arbeitsbedingungen, Berichterstattung und deren Wirkung.

Diversität als Thema und im Team


Hostwriter, ein in Deutschland gegründetes Netzwerk zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Journalist*innen, hat das Projekt initiiert und durchgeführt, unterstützt vom Recherchezentrum CORRECTIV, in dessen Verlag es erschienen ist. Koordiniert vom sogenannten Ambassador-Netzwerk bei Hostwriter konnten Autor*innen aus aller Welt sich mit ihren Themen bewerben. Chefredakteurin Tina Lee hat das Buch in wenigen Monaten mit einem 20köpfigen Team aus Redaktion, Lektorat und Übersetzung fertiggestellt. Auch in Nachtarbeit, wie sie berichtet. Mit kleinem Budget, aber alle Autor*innen bekamen ein Honorar. Sie ist stolz darauf, geschafft zu haben, was viele Redaktionen nicht zustande bringen: Beitragende mit einer Vielfalt an Nationalität, Geschlecht, Rasse und gesellschaftlichem Hintergrund zusammenzubringen. "Es geht also", sagt sie.

Chefredakteurin Tina Lee präsentiert "Unbias the News" auf dem News Impact Summit des European Journalism Centre (EJC) im Dezember 2019 in München /Foto: Lars Hübner

Die Beiträge handeln zum Beispiel von den Chancen und Schranken, die die Weltsprache Englisch mit sich bringt, wie der von Tanya Pamplona in Südafrika:
"Dass russische Journalist*innen bereits 2013 eine Trollfabrik in Sankt Petersburg entlarvt hatten, als diese noch damit beschäftigt war, die Meinung im eigenen Land zu beeinflussen und noch nicht den amerikanischen Wahlkampf, erfuhr die Welt erst, als ihre amerikanischen Kollegen ... darüber berichteten."
Außerdem habe ich bei der Lektüre des Buches gelernt, mit welchen Vorurteilen Kolleg*innen mit Behinderungen zu kämpfen haben. Dass zum Beispiel eine Bewegungseinschränkung dazu führt, dass man ihnen nicht zutraut, an einer Story dranzubleiben. Nun weiß ich auch, dass philippinischstämmige US-Amerikaner*innen in der Berichterstattung über asiatische Immigrant*innen völlig unterrepräsentiert sind. Dass wir Opfern, auch Reporter*innen aus einem Land, wo etwas passiert, oft keinen Glauben schenken, sie als voreingenommen betrachten. Daher haben wir die humanitäre Krise in Venezuela erst gesehen, als ausländische Berichterstatter*innen sie schilderten. Ich habe gelesen, dass man Diversität in Teams zwar herstellen kann, indem Frauen und Männer, regionale Herkunft und Hautfarben berücksichtigt, dass man aber "die Vielfalt des Denkens nicht mit Zahlen und Statistiken messen" kann. Und dass Journalist*innen verschiedener Medien mehr oder weniger bewusst ständig in Konkurrenz stehen, während es in der Wissenschaft anerkannte Prozesse gibt, sich gegenseitig in "Peer Reviews" zu begutachten und Fakten zu checken.

Beim Lesen lässt sich auch erfahren, wie es ist, als Frau im Journalismus Sexismus zu erleben. Unter anderem, dass Glass Cliffing eine Methode ist, Frauen zwar zu befördern, aber auf eine Schleudersitz, also in schwierige Postionen, die momentan niemand haben will. Und dass Freie Journalistinnen ihren oft prekären Status verschärft spüren, wenn sie Mutter werden. Sehr beeindruckend auch der Bericht von Riana Randrianarisoa Raymonde, die seit 19 Jahren als Investigativjournalistin in ihrem Heimatland Madagaskar arbeitet - oft unter Lebensgefahr - und das Fazit zieht:
"Sagen wir so: Es gibt sicher entspanntere Formen sein Leben zu verbringen, als ausgerechnet Investigativjournalistin zu werden. Es ist ein Leben voller Opfer, Hürden und Erniedrigung. Aber es ist auch ein Leben mit Sinn."

Stories für Werkzeuge und Strategien


"Bei manchen Themen hat jemand vielleicht mehr Erfahrung und denkt sich: Was weißt du schon darüber?", sagt Tina Lee. "Aber es gibt für alle auch Neues zu entdecken und ich hoffe, dass jede und jeder einen Aha-Moment hat. Wir wollten, dass Menschen über Journalismus und Diversity tiefer nachdenken. Nicht nur über Rassismus und Sexismus, sondern dass die Uniformität der Newsrooms es schwer macht, sich in andere hineinzuversetzen. Wie viele Geschichten gar nicht erzählt werden wegen dieser Vorurteile, wegen dieser blinden Flecken, die wir haben."

Falls das Buch jemals Profit für Hostwriter abwirft, soll das Geld wieder ins Projekt fließen - für einen Podcast oder ein Toolkit. "Die meisten der Geschichten beschreiben erst einmal das Problem, manche bieten Lösungsansätze", sagt Tina Lee.  "Wir würden das gerne als Sprungbrett benutzen, um Werkzeuge und Strategien zu entwickeln, diese Zustände zu bekämpfen."

Wer dazu beitragen möchte, sollte sich das Buch besorgen oder verschenken. Es ist nicht nur für Medienschaffende lesenswert, sondern für alle, die sich für Medien und Diversität interessieren. Die Beiträge sind prägnant und abwechslungsreich - geschrieben, ausgewählt und redigiert von Journalist*innen, die bei aller Diversität eben eines gemeinsam haben: Sie wissen und können, was sie tun.

Unbias the News - Warum Journalismus Vielfalt braucht
Herausgeber: Hostwriter/CORRECTIV
2019
gebundene Ausgabe 224 Seiten
ISBN-10: 3948013047
ISBN-13: 978-3948013042

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Mehr zum Projekt gibt es im Hostwriter-Blog und auf der englischsprachigen Website.

Weitere Artikel im Watch-Salon zu Diversität in Redaktionen:
Strategien für vielfältigen Journalismus
Das geht gar nicht: Eine Diskussion über Feminismus, Intersektionalität und Journalismus

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