Sonntag, 17. März 2019

Wenig Transparenz - keine Gleichheit. Eine Bilanz des Entgelttransparenzgesetzes zum Equal Pay Day

von Angelika Knop

Gleiche Rolle - gleiches Geld? Schön wär's! - Equal Pay Aktion auf dem Münchner Marienplatz / Foto: A. Knop

Wir haben das Dutzend voll - und die Nase sowieso. Auch zum 12. Equal Pay Day in Deutschland hat sich praktisch nichts getan. Zwar ist das Thema mittlerweile nicht nur rund um den 18. März hipp. Die #metoo-Debatte hat es weiter angeschoben. Kaum eine Person in Wirtschaft und Politik gibt nicht wenigstens ein Lippenbekenntnis für Entgeltgleichheit ab. Doch im Durchschnitt verdienen Frauen pro Arbeitsstunde noch immer rund 21 Prozent weniger als Männer. Daran wird auch das Entgelttransparenzgesetzt nichts ändern, solange es nicht reformiert und von den Beschäftigen besser genutzt wird.

Ein  Fallbeispiel: In einem großen Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche gibt es eine Frauengruppe - und reges Interesse am Auskunftsanspruch, der seit Januar 2018 in Kraft ist. Als viele Frauen anfragen, ist die Personalabteilung schon etwas "genervt" über den Arbeitsaufwand, erzählt eine Angestellte, die nicht genannt werden will. Auch sie schreibt eine Mail. "Eine Kollegin hatte sich glücklicherweise schon reingefuchst, so konnte ich das weitgehend übernehmen", sagt sie. (Wie Beschäftigte den Antrag stellen, erklärt unter anderem ein Dossier, das ich für den Deutschen Journalistenverband miterstellt habe.)

Nach etwa drei Wochen bekommt sie Antwort. Ihr Bruttogehalt liegt etwas unter dem Median der männlichen Beschäftigten in einer vergleichbaren Tätigkeit. Der Median, der nach dem Gesetz angegeben werden muss, ist eben nicht der Durchschnitt, sondern der mittlere Wert. Nehmen wir an, es sind neun Angestellte, dann also das Gehalt auf Platz fünf. Jetzt weiß sie nicht, ob vier andere Kollegen kaum oder deutlich mehr verdienen und vielleicht vier weitere ebenso wie sie oder sogar weniger. Sie hat auch keine Ahnung, was die Frauen in ihrem Job bekommen. Aber die Mitarbeiterin aus diesem Beispiel hört sich um im Frauennetzwerk, spricht mit Kolleginnen. Alle, die von ihrer Auskunft erzählen, liegen unter dem Median, eine sogar 25 Prozent. "Da reicht auch meine kleine Stichprobe von zwölf oder 15 Frauen, um zu wissen: Das ist nicht gerecht", sagt sie. Einige Frauen, die sich beschweren, bekommen eine Gehaltserhöhung - "ein Tropfen auf den heißen Stein", meint die Betroffene. Sie selber nicht. Vor Gericht ziehen will keine. "Aber einige einige denken schon, dass das hier nicht das richtige Unternehmen für sie ist und sehen sich nach einem neuen Job um."

Gemeinsamkeit macht stark beim Auskunftsanspruch


Das genannte Beispiel ist kein perfektes, aber schon ein verhältnismäßig gutes für eine gemeinsame Aktion. Eigentlich sollten seit einem Jahr Frauen und Männer die zuständigen Anlaufstellen im Unternehmen - Betriebsrat oder Personalabteilung - mit Anfragen fluten, wo doch alle für Transparenz sind. Denn wenn viele gemeinsam handeln, kann auch niemand stigmatisiert werden als "unbequem". (Eine Anleitung dazu stand schon letztes Jahr im Watch-Salon.) Betriebsräte, Frauennetzwerke, Kolleg*innen könnten beraten, Musterschreiben entwerfen. Und auch wenn die einzelne Auskunft nicht viel aussagt - die Masse dann eben schon. Und es könnte zum Nach- oder Umdenken im Unternehmen führen.

Laut der aktuellen Randstad ifo Personalleiterbefragung gibt es bei jeder siebten Anfrage eine Gehaltsanpassung. 90 Prozent der Befragten gaben allerdings an, in ihren Betrieben habe überhaupt niemand den Auskunftsanspruch genutzt. Andere Studien kommen zu etwas geringeren Zahlen - aber die große Evaluierung der Bundesregierung im Juli wird vermutlich ergeben, dass es in weit über der Hälfte keine Anfragen gibt. Und selbst bei großen Firmen bewegen die sich eher im zweistelligen Bereich. Dass es auch anders geht, zeigt der Software-Konzern SAP. Dort haben rund 1.100 Mitarbeiter*innen Auskunft verlangt - per App, die das Unternehmen zur Verfügung stellt. „So können wir 25.000 Mitarbeitern in Deutschland einen guten Service bieten und unseren Aufwand überschaubar halten“, sagt Susanne Loeffler, Head of Total Rewards Germany. „Aber wenn das so einfach geht, kommen auch mehr Anfragen, das war uns klar.“ Das IT-Unternehmen DATEV gibt freiwillig auch den Gehaltsdurchschnitt an, nicht nur den Median.

Das ZDF als Negativbeispiel


Es geht also schon etwas, wenn Unternehmen die Zeichen der Zeit erkennen. Aber vielerorts wird intern gestritten. Beim Bundesarbeitsgericht liegen mindestens drei Verfahren, wo sich Betriebsrat und Firmenleitung darüber auseinandersetzen, wie die Gehaltslisten und Einsichtsrechte aussehen, die das Entgelttransparenzgesetz für die Arbeitnehmervertretungen vorsieht. Und viele Arbeitgeber geben sich alle Mühe, vergleichbare Tätigkeiten anzuzweifeln und Gehaltsunterschiede nur zu rechtfertigen, nicht zu ändern. So auch das ZDF, das seit 2015 mit der Frontal21-Reporterin Birte Meier im Clinch liegt. Der Arbeitgeber bestreitet gar nicht, dass die Männer im gleichen Job mehr verdienen - begründet das aber mit verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen, Tarifverträgen und anderen, wechselnden Argumenten. Insider meinen, das liege auch daran, dass dem Sender sonst sein ganzes Beschäftigung- und Gehaltssystem, das Nebeneinander von Festangestellten und arbeitnehmerähnlichen Mitarbeiter*innen verschiedener Klassen im gleichen Job "um die Ohren fliege". Und die Gewerkschaften lehnen sich auch nicht aus dem Fenster, möglicherweise, weil sie die mühsam ausgehandelten Tarifverträge nicht gefährden mögen. Transparenz und Gerechtigkeit geht aber anders.

Im Streitfall bleiben Frauen auf sich allein gestellt


Das Entgelttransparenzgesetz lässt Birte Meier und mit ihr rund 13.400 Arbeitnehmer*innenähnliche beim Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk - und viele, viele mehr anderswo - da übrigens total im Stich. Es erwähnt sie einfach nicht. Und so urteilte die Richterin am Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, der Auskunftsanspruch gelte nicht für sie. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und das Europarecht hatte sie dabei wohl nicht richtig im Blick. (Eine ausführliche Analyse des Urteils gibt es im Beitrag "Ein Schlag ins Gesicht" hier im Blog.) Birte Meier wird dagegen in Revision vors Bundesarbeitsgericht gehen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die sie unterstützt, rechnet mit etwa 20.000 Euro Kosten, um das Verfahren "juristisch angemessen begleiten zu können und den komplexen Fall sowohl für juristische Fachkreise als auch für die allgemeine Öffentlichkeit aufzubereiten". Dafür kann Frau und Mann übrigens spenden. Der Fall zeigt aber auch: Wenn es keinen guten Willen im Unternehmen gibt, dann ist Frau nach wie vor auf sich allein gestellt - mal abgesehen von individuellem Rechtsbeistand. Das Entgelttransparenzgesetz sieht überhaupt keine Verfahren oder Sanktionen bei ungleicher Bezahlung vor, es gibt keine Sammel- oder Kollektivklagen. Sie muss den Arbeitgeber selbst verklagen - und bekommt nicht einmal genügend Unterlagen in die Hand, ihren Anspruch zu untermauern.

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Erklärung zum sogenannten "bereinigten" Gender Pay Gap


Der Gender Pay Gap von 21 Prozent bezieht sich auf den Durchschnitt aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in Deutschland - nicht auf Mann und Frau, die den gleichen Job machen. Es gibt daher auch viele Berechnungen einer sogenannten "bereinigten" Lohnlücke. Die Wortwahl allein ist schon problematisch, klingen die Zahlen des Bundesamtes für Statistik doch dadurch irgendwie "unrein". Es werden dabei Faktoren herausgerechnet, die als Erklärung für die Lohn- und Gehaltsunterschiede gelten. Dabei liegen aber eben die traditionellen Bewertungsmaßstäbe für Arbeit an. Der von der Hans-Böckler-Stiftung definierte „Comparable Worth“-Index zeigt, dass dabei auch wieder Vorurteile am Werk sind. Auch die Managementberatung Kienbaum arbeitet in einer aktuellen Unternehmensstudie (noch nicht veröffentlicht, nur Vorab-Infos) mit einer "bereinigten" Entgeltlücke, die sie bei rund vier Prozent sieht - auf der Führungsebene allerdings schon bei elf Prozent. Vergütungsexpertin Dr. Katharina Dyballa interpretiert die Ergebnisse so: „Insgesamt sehen wir große Unterschiede zwischen der bereinigten und der unbereinigten Entgeltlücke. Das heißt aber nicht, dass es keine Benachteiligung von Frauen gibt. Denn im Zuge der Bereinigung treffen wir die Annahme, dass Frauen und Männer gleiche Zugangschancen zu exponierten Funktionen haben. Ob dies aber in jedem Unternehmen gelebt wird? Aus meiner Sicht herrscht hier noch deutliches Verbesserungspotential.“

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Weitere Beiträge zum Thema im Watch-Salon:
Ein Schlag ins Gesicht beim Recht auf gleiche Bezahlung für Frauen
Fair Pay ist die Zukunft
Entgeltgleichheit: Wir können Transparenz - eine Anleitung für Journalistinnen
Aufruhr in der BBC: Journalistinnen beweisen Gender Pay Gap
Kampagnenauftakt Equal Pay: Transparenz gewinnt?

Außerdem: 
Die Pressemeldung des Journalistinnenbundes zum Urteil ZDF/Birte Meier

2 Kommentare

  1. Liebe Angelika, danke für den toll übersichtlichen und informativen Artikel. Es ist eine Schande, wie sehr sich die Arbeitgeber da noch drücken und ja, es wird hoffentlich z.B. in den Sendern auf eine neue Struktur zwischen Festen und Freien herauslaufen. Es wäre so wichtig, die Frauen durch ihre Anfrage nicht zu verunsichern oder gar, dass ihr Arbeitsplatz resp. das Arbeitsklima gefährdet wären. Am konstruktivsten scheint mir aus Deinen Schilderungen eine vorgefertigte Formulierung, die die Anfragende dann als Teil einer Gruppe auswiese und nicht so sehr als individuelle (und deshalb besser zu schwächende) Einzelkämpferin. Könnte der JB zumindest für die Sender und größeren Verlage da nicht eine Vorlage erstellen und verbreiten?

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  2. Liebe Sabine,
    danke für die Anregung. Formulare für die Auskunft finden sich auf der Website des Bundesfrauenministeriums: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/das-neue-entgelttransparenzgesetz--mehr-chancen-fuer-beschaeftigte/118152
    Die abzufragenden Entgeltbestandteile können am besten Betriebsrat, Frauengruppe oder Beschäftigte in den einzelnen Häusern recherchieren. Aber es wäre ein Idee, eine Art gemeinsames Pilotprojekt zu starten - dort, wo wir viele Mitglieder haben vielleicht.

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